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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rose sträubte sich ein wenig, aber auch ihr erging es. wie es Pips ergangen
war. Sie wäre freilich imstande gewesen, die Diskussion fortzusetzen, und würde
sich in der Theorie vortrefflich ausgedrückt haben, in der Praxis aber hatte er die
Oberhand. Und dann war der liebe Mensch auch so wundersam ehrlich. Das
machte seine einheitliche Natur. Unbedingt hatte er die Oberhand. Und er behielt
sie auch. Sie machte sich frei von ihm, aber geschehen war geschehen.

Mit roten Köpfen standen sie sich im Sonnenschein gegenüber, heiß von dem
Kuß, zitternd vor Erregung und etwas schwer atmend, er infolge des Angriffs, sie
infolge der Ergebung. Dieser Augenblick war jedenfalls kein geeigneter Zeitpunkt,
um über seine Gefühle zu einer andern zu verhandeln.

Ich liebe dich, sagte er, und er, tat es auch wirklich.

Er liebt mich, dachte sie und glaubte es. -- --

Jörgen Steeufeld war mit Rose Martdauuer verlobt. Das machte ihn sicher
und wohlberedt; sie dagegen machte es still und zum Zuhören geneigt.

Und Ihre Gnaden und Seine Exzellenz machte es froh.

Es wäre banal und überflüssig, zu erzählen, was an diesem Tage uoch weiter
geschah; erwähnt mag nur werden, daß Kalt an diesem Abend ein Telegramm er¬
hielt, das folgendermaßen lautete:

Verloht.

Der Marquis von Carabas aber dachte in seinem Sinn, wie viel übler er
daran gewesen wäre, wenn etwa Ihre Gnaden ihn nach Pips gefragt und Rose
ihn in der Theologie vorgenommen hätte.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

(Die Enteiguungsvorlage im preußischen Herrenhause. Die
K°l°ni°ip°lM im Reichstage.)

Im preußischen Herrenhause ist die Entscheidung über die Enteigunngsvorlage
gefallen. Die Staatsregierung hat eiuen Sieg erfochten, einen Sieg, an den viele,
sonst nicht leicht zu beirrende Beurteiler kaum noch zu glauben gewagt hatten, da
die Gegnerschaft zu einer unerwarteten Stärke angewachsen schien. Der Beschluß
der Herrenhauskommission wollte der Vorlage bekanntlich eine Fassung geben, die
die Wirksamkeit der neuen Maßregel von vornherein unmöglich machte. Im Plenum
hatte deshalb Oberbürgermeister Adickes den Antrag eingebracht, die Fassung des
Abgeordnetenhauses mit einem geringfügigen Zusatz, der die Begräbnisstätten und
das früher erworbne Eigentum kirchlicher Gemeinschaften und milder Stiftungen
vor der Enteignung schützt, wiederherzustellen. In der Fassung des Antrags Adickes
nahm das Haus am zweiten Beratungstage, am 27. Februar, die Vorlage mit 143
gegen 111 Stimmen an- Dieses Ergebnis mußte um so größere Genugtuung erregen,
als gegen das Enteignungsprojekt sehr gewichtige Reden gehalten worden sind, sodaß
leicht der Eindruck entsteh" konnte, als ob die Gegner die stärkere Strömung im
Hause für sich hätte". Das war eine Täuschung. Das Herrenhaus bewährte seinen
alten Ruf, daß es in ernster Lage den Staat nicht im Stich läßt.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Rose sträubte sich ein wenig, aber auch ihr erging es. wie es Pips ergangen
war. Sie wäre freilich imstande gewesen, die Diskussion fortzusetzen, und würde
sich in der Theorie vortrefflich ausgedrückt haben, in der Praxis aber hatte er die
Oberhand. Und dann war der liebe Mensch auch so wundersam ehrlich. Das
machte seine einheitliche Natur. Unbedingt hatte er die Oberhand. Und er behielt
sie auch. Sie machte sich frei von ihm, aber geschehen war geschehen.

Mit roten Köpfen standen sie sich im Sonnenschein gegenüber, heiß von dem
Kuß, zitternd vor Erregung und etwas schwer atmend, er infolge des Angriffs, sie
infolge der Ergebung. Dieser Augenblick war jedenfalls kein geeigneter Zeitpunkt,
um über seine Gefühle zu einer andern zu verhandeln.

Ich liebe dich, sagte er, und er, tat es auch wirklich.

Er liebt mich, dachte sie und glaubte es. — —

Jörgen Steeufeld war mit Rose Martdauuer verlobt. Das machte ihn sicher
und wohlberedt; sie dagegen machte es still und zum Zuhören geneigt.

Und Ihre Gnaden und Seine Exzellenz machte es froh.

Es wäre banal und überflüssig, zu erzählen, was an diesem Tage uoch weiter
geschah; erwähnt mag nur werden, daß Kalt an diesem Abend ein Telegramm er¬
hielt, das folgendermaßen lautete:

Verloht.

Der Marquis von Carabas aber dachte in seinem Sinn, wie viel übler er
daran gewesen wäre, wenn etwa Ihre Gnaden ihn nach Pips gefragt und Rose
ihn in der Theologie vorgenommen hätte.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel.

(Die Enteiguungsvorlage im preußischen Herrenhause. Die
K°l°ni°ip°lM im Reichstage.)

Im preußischen Herrenhause ist die Entscheidung über die Enteigunngsvorlage
gefallen. Die Staatsregierung hat eiuen Sieg erfochten, einen Sieg, an den viele,
sonst nicht leicht zu beirrende Beurteiler kaum noch zu glauben gewagt hatten, da
die Gegnerschaft zu einer unerwarteten Stärke angewachsen schien. Der Beschluß
der Herrenhauskommission wollte der Vorlage bekanntlich eine Fassung geben, die
die Wirksamkeit der neuen Maßregel von vornherein unmöglich machte. Im Plenum
hatte deshalb Oberbürgermeister Adickes den Antrag eingebracht, die Fassung des
Abgeordnetenhauses mit einem geringfügigen Zusatz, der die Begräbnisstätten und
das früher erworbne Eigentum kirchlicher Gemeinschaften und milder Stiftungen
vor der Enteignung schützt, wiederherzustellen. In der Fassung des Antrags Adickes
nahm das Haus am zweiten Beratungstage, am 27. Februar, die Vorlage mit 143
gegen 111 Stimmen an- Dieses Ergebnis mußte um so größere Genugtuung erregen,
als gegen das Enteignungsprojekt sehr gewichtige Reden gehalten worden sind, sodaß
leicht der Eindruck entsteh» konnte, als ob die Gegner die stärkere Strömung im
Hause für sich hätte». Das war eine Täuschung. Das Herrenhaus bewährte seinen
alten Ruf, daß es in ernster Lage den Staat nicht im Stich läßt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/500>, abgerufen am 04.05.2024.