Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Frühlingstage der Romantik in Jena

le Universität Jena schaut jetzt dreihundertundfunfzig Jahre zurück
auf den Tag, da die Söhne des Kurfürsten Johann Friedrich
das Werk des Vaters vollendeten und seiner Stiftung das kaiser¬
liche Privilegium überbrachten. Eine Sonderart hat sich diese
Universität allezeit zu wahren gewußt; aber ihre hohe Zeit hatte
sie in dem letzten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, Damals war die
Landstadt eine Weltstadt, und die großen Geister hielten hier ihren Fürstentag.
Dichter und Denker schlössen sich zu einer fruchtbaren Wechselwirkung zusammen.

Der "Universitätsbereiser" Friedrich Gedike, ein nüchtern beobachtender
Mann, der im Auftrage des preußischen Ministers von Zedlitz eine Orientierungs¬
reise durch vierzehn deutsche Universitäten machte, kam im Jahre 1789 auch
"ach Jena. Es war die zwölfte Akademie, die er sah. Das entsetzliche
Renvmmistentum, das man aus Zacharias komischem Heldengedicht kennt, war
tot, und er fand jetzt alles voll von Leben und frischer Jugendkraft hier. Und
dasselbe Gefühl, als sei der Frühling über die Berge gekommen, hatten alle,
die von nun an zu der kleinen Stadt wallfahrteten, nicht nur Deutsche, sondern
auch Ausländer in Menge. "Hier ist, so lautet ein entzückter Brief aus dem
Jahre 1792, eine vollkommene Freiheit, zu denken, zu lehren und zu schreiben...
Kein Inquisitor wittert hier mit gerümpfter Nase nach Heterodoxie und fletscht
hämisch den Mann an, der anders denkt als er."

Die Philosophie war damals die Macht, der sich alles unterwarf; ihre"
Namen trug. nach Herders Ausspruch, die ganze Zeit mit Scheidewasser an
der Stirn geschrieben. Die "Kantsche Morgenröte" leuchtete. Reinhold machte
Jena zur Werkstätte des Kritizismus; dann nahm Fichte sein Katheder ein, und
dem folgte Schelling. Diese beiden Philosophen haben hier den Boden für die
Dichtkunst wohnlich gemacht, aber für die neue Dichtkunst, für die Romantik.
Denn zum Sitze der klassischen Dichtung war Jena nicht geworden, trotz SctMer
und trotz der Allgemeinen Deutschen Literaturzeitung. Fichtes bis ins Unend¬
liche getriebner Subjektivismus wurde der Wegweiser ins romantische Land, und
Schellings Naturphilosophie war den jungen Dichtern eine wissenschaftliche Be¬
stätigung dessen, was in ihrem Bewußtsein lebte: Natur und Geist sind eins.

Das Jahr 1799 war das große Jahr der Romantik und das schönste in
Jenas ganzem Leben. Schon im Mai 1796 war Wilhelm Schlegel, der Patron
der neuen Dichtung, als erster gekommen. Vermöge seiner Verdienste um
Shakespeare wurde er 1798 außerordentlicher Professor, und er las gleich zuerst




Die Frühlingstage der Romantik in Jena

le Universität Jena schaut jetzt dreihundertundfunfzig Jahre zurück
auf den Tag, da die Söhne des Kurfürsten Johann Friedrich
das Werk des Vaters vollendeten und seiner Stiftung das kaiser¬
liche Privilegium überbrachten. Eine Sonderart hat sich diese
Universität allezeit zu wahren gewußt; aber ihre hohe Zeit hatte
sie in dem letzten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, Damals war die
Landstadt eine Weltstadt, und die großen Geister hielten hier ihren Fürstentag.
Dichter und Denker schlössen sich zu einer fruchtbaren Wechselwirkung zusammen.

Der „Universitätsbereiser" Friedrich Gedike, ein nüchtern beobachtender
Mann, der im Auftrage des preußischen Ministers von Zedlitz eine Orientierungs¬
reise durch vierzehn deutsche Universitäten machte, kam im Jahre 1789 auch
»ach Jena. Es war die zwölfte Akademie, die er sah. Das entsetzliche
Renvmmistentum, das man aus Zacharias komischem Heldengedicht kennt, war
tot, und er fand jetzt alles voll von Leben und frischer Jugendkraft hier. Und
dasselbe Gefühl, als sei der Frühling über die Berge gekommen, hatten alle,
die von nun an zu der kleinen Stadt wallfahrteten, nicht nur Deutsche, sondern
auch Ausländer in Menge. „Hier ist, so lautet ein entzückter Brief aus dem
Jahre 1792, eine vollkommene Freiheit, zu denken, zu lehren und zu schreiben...
Kein Inquisitor wittert hier mit gerümpfter Nase nach Heterodoxie und fletscht
hämisch den Mann an, der anders denkt als er."

Die Philosophie war damals die Macht, der sich alles unterwarf; ihre»
Namen trug. nach Herders Ausspruch, die ganze Zeit mit Scheidewasser an
der Stirn geschrieben. Die „Kantsche Morgenröte" leuchtete. Reinhold machte
Jena zur Werkstätte des Kritizismus; dann nahm Fichte sein Katheder ein, und
dem folgte Schelling. Diese beiden Philosophen haben hier den Boden für die
Dichtkunst wohnlich gemacht, aber für die neue Dichtkunst, für die Romantik.
Denn zum Sitze der klassischen Dichtung war Jena nicht geworden, trotz SctMer
und trotz der Allgemeinen Deutschen Literaturzeitung. Fichtes bis ins Unend¬
liche getriebner Subjektivismus wurde der Wegweiser ins romantische Land, und
Schellings Naturphilosophie war den jungen Dichtern eine wissenschaftliche Be¬
stätigung dessen, was in ihrem Bewußtsein lebte: Natur und Geist sind eins.

Das Jahr 1799 war das große Jahr der Romantik und das schönste in
Jenas ganzem Leben. Schon im Mai 1796 war Wilhelm Schlegel, der Patron
der neuen Dichtung, als erster gekommen. Vermöge seiner Verdienste um
Shakespeare wurde er 1798 außerordentlicher Professor, und er las gleich zuerst


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0527" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311608"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341887_311080/figures/grenzboten_341887_311080_311608_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Frühlingstage der Romantik in Jena</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2459"> le Universität Jena schaut jetzt dreihundertundfunfzig Jahre zurück<lb/>
auf den Tag, da die Söhne des Kurfürsten Johann Friedrich<lb/>
das Werk des Vaters vollendeten und seiner Stiftung das kaiser¬<lb/>
liche Privilegium überbrachten. Eine Sonderart hat sich diese<lb/>
Universität allezeit zu wahren gewußt; aber ihre hohe Zeit hatte<lb/>
sie in dem letzten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, Damals war die<lb/>
Landstadt eine Weltstadt, und die großen Geister hielten hier ihren Fürstentag.<lb/>
Dichter und Denker schlössen sich zu einer fruchtbaren Wechselwirkung zusammen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2460"> Der &#x201E;Universitätsbereiser" Friedrich Gedike, ein nüchtern beobachtender<lb/>
Mann, der im Auftrage des preußischen Ministers von Zedlitz eine Orientierungs¬<lb/>
reise durch vierzehn deutsche Universitäten machte, kam im Jahre 1789 auch<lb/>
»ach Jena. Es war die zwölfte Akademie, die er sah. Das entsetzliche<lb/>
Renvmmistentum, das man aus Zacharias komischem Heldengedicht kennt, war<lb/>
tot, und er fand jetzt alles voll von Leben und frischer Jugendkraft hier. Und<lb/>
dasselbe Gefühl, als sei der Frühling über die Berge gekommen, hatten alle,<lb/>
die von nun an zu der kleinen Stadt wallfahrteten, nicht nur Deutsche, sondern<lb/>
auch Ausländer in Menge. &#x201E;Hier ist, so lautet ein entzückter Brief aus dem<lb/>
Jahre 1792, eine vollkommene Freiheit, zu denken, zu lehren und zu schreiben...<lb/>
Kein Inquisitor wittert hier mit gerümpfter Nase nach Heterodoxie und fletscht<lb/>
hämisch den Mann an, der anders denkt als er."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2461"> Die Philosophie war damals die Macht, der sich alles unterwarf; ihre»<lb/>
Namen trug. nach Herders Ausspruch, die ganze Zeit mit Scheidewasser an<lb/>
der Stirn geschrieben. Die &#x201E;Kantsche Morgenröte" leuchtete. Reinhold machte<lb/>
Jena zur Werkstätte des Kritizismus; dann nahm Fichte sein Katheder ein, und<lb/>
dem folgte Schelling. Diese beiden Philosophen haben hier den Boden für die<lb/>
Dichtkunst wohnlich gemacht, aber für die neue Dichtkunst, für die Romantik.<lb/>
Denn zum Sitze der klassischen Dichtung war Jena nicht geworden, trotz SctMer<lb/>
und trotz der Allgemeinen Deutschen Literaturzeitung. Fichtes bis ins Unend¬<lb/>
liche getriebner Subjektivismus wurde der Wegweiser ins romantische Land, und<lb/>
Schellings Naturphilosophie war den jungen Dichtern eine wissenschaftliche Be¬<lb/>
stätigung dessen, was in ihrem Bewußtsein lebte: Natur und Geist sind eins.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2462" next="#ID_2463"> Das Jahr 1799 war das große Jahr der Romantik und das schönste in<lb/>
Jenas ganzem Leben. Schon im Mai 1796 war Wilhelm Schlegel, der Patron<lb/>
der neuen Dichtung, als erster gekommen. Vermöge seiner Verdienste um<lb/>
Shakespeare wurde er 1798 außerordentlicher Professor, und er las gleich zuerst</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0527] [Abbildung] Die Frühlingstage der Romantik in Jena le Universität Jena schaut jetzt dreihundertundfunfzig Jahre zurück auf den Tag, da die Söhne des Kurfürsten Johann Friedrich das Werk des Vaters vollendeten und seiner Stiftung das kaiser¬ liche Privilegium überbrachten. Eine Sonderart hat sich diese Universität allezeit zu wahren gewußt; aber ihre hohe Zeit hatte sie in dem letzten Jahrzehnt des achtzehnten Jahrhunderts, Damals war die Landstadt eine Weltstadt, und die großen Geister hielten hier ihren Fürstentag. Dichter und Denker schlössen sich zu einer fruchtbaren Wechselwirkung zusammen. Der „Universitätsbereiser" Friedrich Gedike, ein nüchtern beobachtender Mann, der im Auftrage des preußischen Ministers von Zedlitz eine Orientierungs¬ reise durch vierzehn deutsche Universitäten machte, kam im Jahre 1789 auch »ach Jena. Es war die zwölfte Akademie, die er sah. Das entsetzliche Renvmmistentum, das man aus Zacharias komischem Heldengedicht kennt, war tot, und er fand jetzt alles voll von Leben und frischer Jugendkraft hier. Und dasselbe Gefühl, als sei der Frühling über die Berge gekommen, hatten alle, die von nun an zu der kleinen Stadt wallfahrteten, nicht nur Deutsche, sondern auch Ausländer in Menge. „Hier ist, so lautet ein entzückter Brief aus dem Jahre 1792, eine vollkommene Freiheit, zu denken, zu lehren und zu schreiben... Kein Inquisitor wittert hier mit gerümpfter Nase nach Heterodoxie und fletscht hämisch den Mann an, der anders denkt als er." Die Philosophie war damals die Macht, der sich alles unterwarf; ihre» Namen trug. nach Herders Ausspruch, die ganze Zeit mit Scheidewasser an der Stirn geschrieben. Die „Kantsche Morgenröte" leuchtete. Reinhold machte Jena zur Werkstätte des Kritizismus; dann nahm Fichte sein Katheder ein, und dem folgte Schelling. Diese beiden Philosophen haben hier den Boden für die Dichtkunst wohnlich gemacht, aber für die neue Dichtkunst, für die Romantik. Denn zum Sitze der klassischen Dichtung war Jena nicht geworden, trotz SctMer und trotz der Allgemeinen Deutschen Literaturzeitung. Fichtes bis ins Unend¬ liche getriebner Subjektivismus wurde der Wegweiser ins romantische Land, und Schellings Naturphilosophie war den jungen Dichtern eine wissenschaftliche Be¬ stätigung dessen, was in ihrem Bewußtsein lebte: Natur und Geist sind eins. Das Jahr 1799 war das große Jahr der Romantik und das schönste in Jenas ganzem Leben. Schon im Mai 1796 war Wilhelm Schlegel, der Patron der neuen Dichtung, als erster gekommen. Vermöge seiner Verdienste um Shakespeare wurde er 1798 außerordentlicher Professor, und er las gleich zuerst

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/527
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/527>, abgerufen am 04.05.2024.