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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr.

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Die Frühlingstage der Romantik in Jena

Die Gesetze hatte schon General von Lignitz in anspruchsloser Form gebracht.*)
Wozu sie zweimal drucken!? Wenn wenigstens die Übersetzung durch die rus¬
sische Regierung authentisiert wäre. Da aber das Buch mit solchen Prätensionen
auftritt, wie ich sie oben angeführt habe, muß darauf aufmerksam gemacht
werden, daß ihm die Grundlagen dafür fehlen. Wer sich ernstlich über Ru߬
land unterrichten will, lese eins der von Herrn Schlesinger in Bausch und
Bogen verworfnen, von deutschen Autoren geschriebnen "Hilfsbücher", die ich
genannt habe, und noch manches andre. Keine von diesen Monographien und
Detailstudien wird durch Herrn Schlesingers Buch ersetzt.




Die Frühlingstage der Romantik in Jena")
Lrnst Borkowsky von in Naumburg a. s.
2

in Löbdergraben neben dem Roten Turm haben die Schlegels ge¬
wohnt. Gastlich standen die Türen auf. Wie eine große Familie
fühlten sich hier die Romantiker, und am liebsten hätten sie als
eine freie Lebensgemeinschaft alle unter einem Dache gehaust.

Es bedürfte das Geschlecht, das so reich an eigner Stimmung
war, noch nicht der Inspiration einer anspruchsvollen Jnterieurstimmung.
Nüchtern, ohne künstlerische Farbenempfindung boten sich die Zimmer mit ihrem
kalten, hellen Kalkanstrich, von dem die kleinen schwarzen Silhouetten blickten.
An den Fenstern hingen saubere Mullvorhänge. Die Möbel aus gelblichem
Kirschholz oder, wenn sie kostbarer waren, aus rotem Mahagoni mit Bronze¬
beschlägen waren von einer gespreizten Behaglichkeit. Auf der bauschigen
Kommode, die noch vom Rokoko sprach, tickte die Standuhr zwischen Alabaster-
säulchen. Das Schreibkabinett am Fenster mit seiner feinen Holzfurnierung
wies auf klassizistischen Geschmack, wie auch die Servante, hinter deren Glas¬
scheiben das bunte Porzellan geordnet war. Auf der Sofabank lagen perlen¬
gestickte Kissen. Der große runde Tisch ruhte schwer auf einer dicken Säule.
Um ihn standen die Stühle; ihr Sitz war mit gestreiftem Stoff überzogen, und
ihre Rückenlehnen zeigten zierlich gesetzte Stabmuster.

Karoline, die sich am gewandtesten der Häuslichkeit befleißigen kann, bereitet
den Tee. Die Herren halten die Tabaksdose. Es sind keine Seigneurs der
Mode. Mag alles, was man in Jena denkt und dichtet, Gesetzeskraft haben
in deutschen Landen -- die Mode wird von hier aus nicht beeinflußt. Aber




*) Rußlands innere Krisis. Berlin, Vossische Buchhandlung, 1906.
**) Vgl. Grenzboten Ur. 11.
Die Frühlingstage der Romantik in Jena

Die Gesetze hatte schon General von Lignitz in anspruchsloser Form gebracht.*)
Wozu sie zweimal drucken!? Wenn wenigstens die Übersetzung durch die rus¬
sische Regierung authentisiert wäre. Da aber das Buch mit solchen Prätensionen
auftritt, wie ich sie oben angeführt habe, muß darauf aufmerksam gemacht
werden, daß ihm die Grundlagen dafür fehlen. Wer sich ernstlich über Ru߬
land unterrichten will, lese eins der von Herrn Schlesinger in Bausch und
Bogen verworfnen, von deutschen Autoren geschriebnen „Hilfsbücher", die ich
genannt habe, und noch manches andre. Keine von diesen Monographien und
Detailstudien wird durch Herrn Schlesingers Buch ersetzt.




Die Frühlingstage der Romantik in Jena")
Lrnst Borkowsky von in Naumburg a. s.
2

in Löbdergraben neben dem Roten Turm haben die Schlegels ge¬
wohnt. Gastlich standen die Türen auf. Wie eine große Familie
fühlten sich hier die Romantiker, und am liebsten hätten sie als
eine freie Lebensgemeinschaft alle unter einem Dache gehaust.

Es bedürfte das Geschlecht, das so reich an eigner Stimmung
war, noch nicht der Inspiration einer anspruchsvollen Jnterieurstimmung.
Nüchtern, ohne künstlerische Farbenempfindung boten sich die Zimmer mit ihrem
kalten, hellen Kalkanstrich, von dem die kleinen schwarzen Silhouetten blickten.
An den Fenstern hingen saubere Mullvorhänge. Die Möbel aus gelblichem
Kirschholz oder, wenn sie kostbarer waren, aus rotem Mahagoni mit Bronze¬
beschlägen waren von einer gespreizten Behaglichkeit. Auf der bauschigen
Kommode, die noch vom Rokoko sprach, tickte die Standuhr zwischen Alabaster-
säulchen. Das Schreibkabinett am Fenster mit seiner feinen Holzfurnierung
wies auf klassizistischen Geschmack, wie auch die Servante, hinter deren Glas¬
scheiben das bunte Porzellan geordnet war. Auf der Sofabank lagen perlen¬
gestickte Kissen. Der große runde Tisch ruhte schwer auf einer dicken Säule.
Um ihn standen die Stühle; ihr Sitz war mit gestreiftem Stoff überzogen, und
ihre Rückenlehnen zeigten zierlich gesetzte Stabmuster.

Karoline, die sich am gewandtesten der Häuslichkeit befleißigen kann, bereitet
den Tee. Die Herren halten die Tabaksdose. Es sind keine Seigneurs der
Mode. Mag alles, was man in Jena denkt und dichtet, Gesetzeskraft haben
in deutschen Landen — die Mode wird von hier aus nicht beeinflußt. Aber




*) Rußlands innere Krisis. Berlin, Vossische Buchhandlung, 1906.
**) Vgl. Grenzboten Ur. 11.
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[0618] Die Frühlingstage der Romantik in Jena Die Gesetze hatte schon General von Lignitz in anspruchsloser Form gebracht.*) Wozu sie zweimal drucken!? Wenn wenigstens die Übersetzung durch die rus¬ sische Regierung authentisiert wäre. Da aber das Buch mit solchen Prätensionen auftritt, wie ich sie oben angeführt habe, muß darauf aufmerksam gemacht werden, daß ihm die Grundlagen dafür fehlen. Wer sich ernstlich über Ru߬ land unterrichten will, lese eins der von Herrn Schlesinger in Bausch und Bogen verworfnen, von deutschen Autoren geschriebnen „Hilfsbücher", die ich genannt habe, und noch manches andre. Keine von diesen Monographien und Detailstudien wird durch Herrn Schlesingers Buch ersetzt. Die Frühlingstage der Romantik in Jena") Lrnst Borkowsky von in Naumburg a. s. 2 in Löbdergraben neben dem Roten Turm haben die Schlegels ge¬ wohnt. Gastlich standen die Türen auf. Wie eine große Familie fühlten sich hier die Romantiker, und am liebsten hätten sie als eine freie Lebensgemeinschaft alle unter einem Dache gehaust. Es bedürfte das Geschlecht, das so reich an eigner Stimmung war, noch nicht der Inspiration einer anspruchsvollen Jnterieurstimmung. Nüchtern, ohne künstlerische Farbenempfindung boten sich die Zimmer mit ihrem kalten, hellen Kalkanstrich, von dem die kleinen schwarzen Silhouetten blickten. An den Fenstern hingen saubere Mullvorhänge. Die Möbel aus gelblichem Kirschholz oder, wenn sie kostbarer waren, aus rotem Mahagoni mit Bronze¬ beschlägen waren von einer gespreizten Behaglichkeit. Auf der bauschigen Kommode, die noch vom Rokoko sprach, tickte die Standuhr zwischen Alabaster- säulchen. Das Schreibkabinett am Fenster mit seiner feinen Holzfurnierung wies auf klassizistischen Geschmack, wie auch die Servante, hinter deren Glas¬ scheiben das bunte Porzellan geordnet war. Auf der Sofabank lagen perlen¬ gestickte Kissen. Der große runde Tisch ruhte schwer auf einer dicken Säule. Um ihn standen die Stühle; ihr Sitz war mit gestreiftem Stoff überzogen, und ihre Rückenlehnen zeigten zierlich gesetzte Stabmuster. Karoline, die sich am gewandtesten der Häuslichkeit befleißigen kann, bereitet den Tee. Die Herren halten die Tabaksdose. Es sind keine Seigneurs der Mode. Mag alles, was man in Jena denkt und dichtet, Gesetzeskraft haben in deutschen Landen — die Mode wird von hier aus nicht beeinflußt. Aber *) Rußlands innere Krisis. Berlin, Vossische Buchhandlung, 1906. **) Vgl. Grenzboten Ur. 11.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311080/618>, abgerufen am 04.05.2024.