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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Baleno, der Jagdfalk

ist. Diese Hauptkirche war ehemals der Dreifaltigkeit geweiht, und ein Schüler
des großen sonum hat sie erbaut. Sie liegt sehr malerisch zwischen alten Straßen
und ist doch jetzt so freigelegt worden, daß man sie von der Königstraße bewundern
kann. In dieser Kirche hielten die Königinnen, von denen ich vorhin berichtet habe,
ihren ersten Kirchgang, mancher dänische König hat sich hier an Gottes Wort erbauen
lassen, und auf diesem Kirchplatz stand im Jahre 1863 eine aufgeregte Menge, die
den ersten Geistlichen, der hier predigte, und der im Verdachte dänischer Gesinnung
stand, beinahe ermorden wollte. So ändern sich die Zeiten. Aber auch das dänische
Regiment war ein andres geworden, und die ehemalige väterliche Behaglichkeit
hatte sich, zumal in Schleswig, arg geändert. Weil aber Schleswig und Holstein
op ewig ungedeckt sein wollten, so zögerten die Altonaer nicht, sich ganz auf die
Seite der unterdrückten Schleswiger zu stellen, obgleich ihnen niemals so viel Un¬
gerechtigkeit geschehen ist wie ihren nordischen Stammesbrüdern.

Doch diese Vorgänge sind beinahe vergessen, was schade ist, denn nichts ist
lehrreicher, als den Blick einmal rückwärts zu wenden. In alten Zeiten ist das
dänische Regiment ein gutes und ein weises gewesen. Wo wurde die Religions¬
freiheit besser geschützt als in Altona? Noch heute kündet die "Freiheit" davon,
wo sich Katholiken, Reformierte und Mennoniten niederlassen durften, als diese
Glaubensgemeinschaften allerorten in evangelischen Landen ausgewiesen wurden.
Heute ist die "Freiheit" gerade keine Straße, in der man sich mit Vorliebe ergeht;
aber die Kirchen der Reformierten und der Katholiken sind noch immer da, und
hart an der Hauptstraße, der schon erwähnten Königstraße, liegt der alte israeli¬
tische Kirchhof, auf dem die aus Spanien und Portugal verjagte" Juden ihre fried¬
liche Ruhestätte gefunden haben.

Nein, das alte Regiment war so übel nicht; es war gut und brav und alt-
väterisch; wäre es nur so geblieben, dann wehte hier noch lange nicht der preußische
Adler. Da er uns aber einmal beschützen will, sollte er auch seine Fänge aus¬
strecken gegen alles, was ihm heimlich entgegenarbeiten möchte. Und seine scharfen
Augen möge er auf die Nordmark richten, in der es nicht so behaglich hergeht
wie hier am Ufer der Elbe. Denn noch immer heißt es "op ewig ungedeckt";
auch in der Stadt, in der ich wohne.




Valeno, der Jagdfalk
Julius R. Haarhaus Tine Geschichte aus der Rrähenhütte von
(Schluß)

>le lange ich auf der Anhöhe gestanden habe, ohne der zum Glück
nicht allzu dicht fallenden Tropfen zu achten, weiß ich nicht mehr.
Ich weiß nur, daß ich damals erst den rechten Begriff von einer
heroischen Landschaft im Sinne Prellers oder Rottmanns erhalten
habe. Die weite Erde schien eigentlich nur noch die Basis für die
! Gebilde der Luft zu sein, die sich am Horizont zu schwarzen, gold¬
umränderten Gebirgen emportürmten und im Zenit zu grauen formlosen Massen
zerflossen. Der heftige Wind löste sie in durchsichtige Schleier auf und trieb sie
in langausgesponnenen Streifen nordwärts. Hie und da brach eine Strahlengarbe
der untergehenden Sonne durch die Wolken; wo sie die Erde berührte, leuchteten


Baleno, der Jagdfalk

ist. Diese Hauptkirche war ehemals der Dreifaltigkeit geweiht, und ein Schüler
des großen sonum hat sie erbaut. Sie liegt sehr malerisch zwischen alten Straßen
und ist doch jetzt so freigelegt worden, daß man sie von der Königstraße bewundern
kann. In dieser Kirche hielten die Königinnen, von denen ich vorhin berichtet habe,
ihren ersten Kirchgang, mancher dänische König hat sich hier an Gottes Wort erbauen
lassen, und auf diesem Kirchplatz stand im Jahre 1863 eine aufgeregte Menge, die
den ersten Geistlichen, der hier predigte, und der im Verdachte dänischer Gesinnung
stand, beinahe ermorden wollte. So ändern sich die Zeiten. Aber auch das dänische
Regiment war ein andres geworden, und die ehemalige väterliche Behaglichkeit
hatte sich, zumal in Schleswig, arg geändert. Weil aber Schleswig und Holstein
op ewig ungedeckt sein wollten, so zögerten die Altonaer nicht, sich ganz auf die
Seite der unterdrückten Schleswiger zu stellen, obgleich ihnen niemals so viel Un¬
gerechtigkeit geschehen ist wie ihren nordischen Stammesbrüdern.

Doch diese Vorgänge sind beinahe vergessen, was schade ist, denn nichts ist
lehrreicher, als den Blick einmal rückwärts zu wenden. In alten Zeiten ist das
dänische Regiment ein gutes und ein weises gewesen. Wo wurde die Religions¬
freiheit besser geschützt als in Altona? Noch heute kündet die „Freiheit" davon,
wo sich Katholiken, Reformierte und Mennoniten niederlassen durften, als diese
Glaubensgemeinschaften allerorten in evangelischen Landen ausgewiesen wurden.
Heute ist die „Freiheit" gerade keine Straße, in der man sich mit Vorliebe ergeht;
aber die Kirchen der Reformierten und der Katholiken sind noch immer da, und
hart an der Hauptstraße, der schon erwähnten Königstraße, liegt der alte israeli¬
tische Kirchhof, auf dem die aus Spanien und Portugal verjagte» Juden ihre fried¬
liche Ruhestätte gefunden haben.

Nein, das alte Regiment war so übel nicht; es war gut und brav und alt-
väterisch; wäre es nur so geblieben, dann wehte hier noch lange nicht der preußische
Adler. Da er uns aber einmal beschützen will, sollte er auch seine Fänge aus¬
strecken gegen alles, was ihm heimlich entgegenarbeiten möchte. Und seine scharfen
Augen möge er auf die Nordmark richten, in der es nicht so behaglich hergeht
wie hier am Ufer der Elbe. Denn noch immer heißt es „op ewig ungedeckt";
auch in der Stadt, in der ich wohne.




Valeno, der Jagdfalk
Julius R. Haarhaus Tine Geschichte aus der Rrähenhütte von
(Schluß)

>le lange ich auf der Anhöhe gestanden habe, ohne der zum Glück
nicht allzu dicht fallenden Tropfen zu achten, weiß ich nicht mehr.
Ich weiß nur, daß ich damals erst den rechten Begriff von einer
heroischen Landschaft im Sinne Prellers oder Rottmanns erhalten
habe. Die weite Erde schien eigentlich nur noch die Basis für die
! Gebilde der Luft zu sein, die sich am Horizont zu schwarzen, gold¬
umränderten Gebirgen emportürmten und im Zenit zu grauen formlosen Massen
zerflossen. Der heftige Wind löste sie in durchsichtige Schleier auf und trieb sie
in langausgesponnenen Streifen nordwärts. Hie und da brach eine Strahlengarbe
der untergehenden Sonne durch die Wolken; wo sie die Erde berührte, leuchteten


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[0104] Baleno, der Jagdfalk ist. Diese Hauptkirche war ehemals der Dreifaltigkeit geweiht, und ein Schüler des großen sonum hat sie erbaut. Sie liegt sehr malerisch zwischen alten Straßen und ist doch jetzt so freigelegt worden, daß man sie von der Königstraße bewundern kann. In dieser Kirche hielten die Königinnen, von denen ich vorhin berichtet habe, ihren ersten Kirchgang, mancher dänische König hat sich hier an Gottes Wort erbauen lassen, und auf diesem Kirchplatz stand im Jahre 1863 eine aufgeregte Menge, die den ersten Geistlichen, der hier predigte, und der im Verdachte dänischer Gesinnung stand, beinahe ermorden wollte. So ändern sich die Zeiten. Aber auch das dänische Regiment war ein andres geworden, und die ehemalige väterliche Behaglichkeit hatte sich, zumal in Schleswig, arg geändert. Weil aber Schleswig und Holstein op ewig ungedeckt sein wollten, so zögerten die Altonaer nicht, sich ganz auf die Seite der unterdrückten Schleswiger zu stellen, obgleich ihnen niemals so viel Un¬ gerechtigkeit geschehen ist wie ihren nordischen Stammesbrüdern. Doch diese Vorgänge sind beinahe vergessen, was schade ist, denn nichts ist lehrreicher, als den Blick einmal rückwärts zu wenden. In alten Zeiten ist das dänische Regiment ein gutes und ein weises gewesen. Wo wurde die Religions¬ freiheit besser geschützt als in Altona? Noch heute kündet die „Freiheit" davon, wo sich Katholiken, Reformierte und Mennoniten niederlassen durften, als diese Glaubensgemeinschaften allerorten in evangelischen Landen ausgewiesen wurden. Heute ist die „Freiheit" gerade keine Straße, in der man sich mit Vorliebe ergeht; aber die Kirchen der Reformierten und der Katholiken sind noch immer da, und hart an der Hauptstraße, der schon erwähnten Königstraße, liegt der alte israeli¬ tische Kirchhof, auf dem die aus Spanien und Portugal verjagte» Juden ihre fried¬ liche Ruhestätte gefunden haben. Nein, das alte Regiment war so übel nicht; es war gut und brav und alt- väterisch; wäre es nur so geblieben, dann wehte hier noch lange nicht der preußische Adler. Da er uns aber einmal beschützen will, sollte er auch seine Fänge aus¬ strecken gegen alles, was ihm heimlich entgegenarbeiten möchte. Und seine scharfen Augen möge er auf die Nordmark richten, in der es nicht so behaglich hergeht wie hier am Ufer der Elbe. Denn noch immer heißt es „op ewig ungedeckt"; auch in der Stadt, in der ich wohne. Valeno, der Jagdfalk Julius R. Haarhaus Tine Geschichte aus der Rrähenhütte von (Schluß) >le lange ich auf der Anhöhe gestanden habe, ohne der zum Glück nicht allzu dicht fallenden Tropfen zu achten, weiß ich nicht mehr. Ich weiß nur, daß ich damals erst den rechten Begriff von einer heroischen Landschaft im Sinne Prellers oder Rottmanns erhalten habe. Die weite Erde schien eigentlich nur noch die Basis für die ! Gebilde der Luft zu sein, die sich am Horizont zu schwarzen, gold¬ umränderten Gebirgen emportürmten und im Zenit zu grauen formlosen Massen zerflossen. Der heftige Wind löste sie in durchsichtige Schleier auf und trieb sie in langausgesponnenen Streifen nordwärts. Hie und da brach eine Strahlengarbe der untergehenden Sonne durch die Wolken; wo sie die Erde berührte, leuchteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/104>, abgerufen am 01.05.2024.