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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Politik in der Schule

Tatsache, daß die Weltinteressen des Mutterlandes oft schwer oder gar nicht
vereinbar sind mit den lokalen Lebensinteressen der großen sich selbst regierenden
Kolonien. Überall sind mächtige und sich entgegenstehende Kräfte vorhanden.
Im Falle der Stellung der Jndier in Transvaal hat sich dieses mit besondrer
Schärfe gezeigt; England erkennt das Recht der Transvaalkolonie, für sich
selbst zu entscheiden, ob das Land das Territorium einer mehr britischen oder
asiatischen Rasse sein soll, in Zukunft ohne weiteres an, andrerseits hat es
große Verpflichtungen seinen 300 Millionen indischer Reichsangehöriger gegen¬
über, die es selbst ermahnt hat, sich als britische Untertanen zu betrachten.

Das Problem wird nicht wieder verschwinden, es kann sich jederzeit in
den verschiedensten Teilen der Welt in der schärfsten Form wieder zeigen.
Die Japanerfrage in Vancouver ruht nur momentan, sie ist keineswegs gelöst.
Keine Staatskunst kann in dem Bestreben nach Versöhnung dieser entgegen¬
rv. paschen gesetzten Tendenzen groß genug sein.




Politik in der schule
Adolf Stamm von

W>nten Abend, verehrter Herr Professor! Sie waren so freundlich,
mir im Anschluß an unsre letzte Unterhaltung zu versprechen, daß
Sie mir Ihre Ansichten darüber, ob und wie Politik in der Schule
getrieben werden könne und solle, im Zusammenhang mitteilen
I wollten. Ich bin also hier, um zu hören und zu lernen.

Ob Sie was lernen können, weiß ich nicht, denn Sie haben sich ja zeit
ihres Lebens viel mehr mit Politik beschäftigt als ich. Aber es ist etwas ganz
andres, praktische Politik zu treiben und, wie Sie, mitten im politischen Leben
zu stehn, als Untersuchungen darüber anzustellen, wie die Politik in der Schule
behandelt werden soll.

Eben deshalb komme ich zu Ihnen, dem Manne, der uns im vertrauten
Kreise schon so manche Frucht seiner Studien und so manches Ergebnis seines
Nachdenkens vermittelt hat.

Nun, ich habe mir in den vergangnen Tagen die Sache reiflich überlegt
und will nun versuchen, das Lehrgebäude, dessen Grundriß fertig in meinen
Gedanken steht, vor Ihnen aufzubauen, und bitte Sie, mich auf Risse und sonstige
Fehler, die mein Bau aufweisen sollte, gütigst aufmerksam zu machen.

Gern werde ich das tun, wenn ich Veranlassung dazu zu haben glaube.
Welchen Anteil die Schule an der Erziehung überhaupt und insbesondre
an der politischen Erziehung hat oder haben soll, darüber gehn die Meinungen


Politik in der Schule

Tatsache, daß die Weltinteressen des Mutterlandes oft schwer oder gar nicht
vereinbar sind mit den lokalen Lebensinteressen der großen sich selbst regierenden
Kolonien. Überall sind mächtige und sich entgegenstehende Kräfte vorhanden.
Im Falle der Stellung der Jndier in Transvaal hat sich dieses mit besondrer
Schärfe gezeigt; England erkennt das Recht der Transvaalkolonie, für sich
selbst zu entscheiden, ob das Land das Territorium einer mehr britischen oder
asiatischen Rasse sein soll, in Zukunft ohne weiteres an, andrerseits hat es
große Verpflichtungen seinen 300 Millionen indischer Reichsangehöriger gegen¬
über, die es selbst ermahnt hat, sich als britische Untertanen zu betrachten.

Das Problem wird nicht wieder verschwinden, es kann sich jederzeit in
den verschiedensten Teilen der Welt in der schärfsten Form wieder zeigen.
Die Japanerfrage in Vancouver ruht nur momentan, sie ist keineswegs gelöst.
Keine Staatskunst kann in dem Bestreben nach Versöhnung dieser entgegen¬
rv. paschen gesetzten Tendenzen groß genug sein.




Politik in der schule
Adolf Stamm von

W>nten Abend, verehrter Herr Professor! Sie waren so freundlich,
mir im Anschluß an unsre letzte Unterhaltung zu versprechen, daß
Sie mir Ihre Ansichten darüber, ob und wie Politik in der Schule
getrieben werden könne und solle, im Zusammenhang mitteilen
I wollten. Ich bin also hier, um zu hören und zu lernen.

Ob Sie was lernen können, weiß ich nicht, denn Sie haben sich ja zeit
ihres Lebens viel mehr mit Politik beschäftigt als ich. Aber es ist etwas ganz
andres, praktische Politik zu treiben und, wie Sie, mitten im politischen Leben
zu stehn, als Untersuchungen darüber anzustellen, wie die Politik in der Schule
behandelt werden soll.

Eben deshalb komme ich zu Ihnen, dem Manne, der uns im vertrauten
Kreise schon so manche Frucht seiner Studien und so manches Ergebnis seines
Nachdenkens vermittelt hat.

Nun, ich habe mir in den vergangnen Tagen die Sache reiflich überlegt
und will nun versuchen, das Lehrgebäude, dessen Grundriß fertig in meinen
Gedanken steht, vor Ihnen aufzubauen, und bitte Sie, mich auf Risse und sonstige
Fehler, die mein Bau aufweisen sollte, gütigst aufmerksam zu machen.

Gern werde ich das tun, wenn ich Veranlassung dazu zu haben glaube.
Welchen Anteil die Schule an der Erziehung überhaupt und insbesondre
an der politischen Erziehung hat oder haben soll, darüber gehn die Meinungen


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[0178] Politik in der Schule Tatsache, daß die Weltinteressen des Mutterlandes oft schwer oder gar nicht vereinbar sind mit den lokalen Lebensinteressen der großen sich selbst regierenden Kolonien. Überall sind mächtige und sich entgegenstehende Kräfte vorhanden. Im Falle der Stellung der Jndier in Transvaal hat sich dieses mit besondrer Schärfe gezeigt; England erkennt das Recht der Transvaalkolonie, für sich selbst zu entscheiden, ob das Land das Territorium einer mehr britischen oder asiatischen Rasse sein soll, in Zukunft ohne weiteres an, andrerseits hat es große Verpflichtungen seinen 300 Millionen indischer Reichsangehöriger gegen¬ über, die es selbst ermahnt hat, sich als britische Untertanen zu betrachten. Das Problem wird nicht wieder verschwinden, es kann sich jederzeit in den verschiedensten Teilen der Welt in der schärfsten Form wieder zeigen. Die Japanerfrage in Vancouver ruht nur momentan, sie ist keineswegs gelöst. Keine Staatskunst kann in dem Bestreben nach Versöhnung dieser entgegen¬ rv. paschen gesetzten Tendenzen groß genug sein. Politik in der schule Adolf Stamm von W>nten Abend, verehrter Herr Professor! Sie waren so freundlich, mir im Anschluß an unsre letzte Unterhaltung zu versprechen, daß Sie mir Ihre Ansichten darüber, ob und wie Politik in der Schule getrieben werden könne und solle, im Zusammenhang mitteilen I wollten. Ich bin also hier, um zu hören und zu lernen. Ob Sie was lernen können, weiß ich nicht, denn Sie haben sich ja zeit ihres Lebens viel mehr mit Politik beschäftigt als ich. Aber es ist etwas ganz andres, praktische Politik zu treiben und, wie Sie, mitten im politischen Leben zu stehn, als Untersuchungen darüber anzustellen, wie die Politik in der Schule behandelt werden soll. Eben deshalb komme ich zu Ihnen, dem Manne, der uns im vertrauten Kreise schon so manche Frucht seiner Studien und so manches Ergebnis seines Nachdenkens vermittelt hat. Nun, ich habe mir in den vergangnen Tagen die Sache reiflich überlegt und will nun versuchen, das Lehrgebäude, dessen Grundriß fertig in meinen Gedanken steht, vor Ihnen aufzubauen, und bitte Sie, mich auf Risse und sonstige Fehler, die mein Bau aufweisen sollte, gütigst aufmerksam zu machen. Gern werde ich das tun, wenn ich Veranlassung dazu zu haben glaube. Welchen Anteil die Schule an der Erziehung überhaupt und insbesondre an der politischen Erziehung hat oder haben soll, darüber gehn die Meinungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/178>, abgerufen am 01.05.2024.