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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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stammen". Wenn dem so ist, dann muß allerdings die Gesetzgebung ein¬
schreiten; aber mit den Bodenpreisen hat das, wie gesagt, nichts zu schaffen,
und mit der Stadterweiterung nur insofern, als freilich solche Betrügereien un¬
möglich würden, wenn die Kommunen selbst die Baustellen zu verkaufen und
womöglich auch zu bebauen Hütten. Mangoldt will übrigens den Gemeinden
und Gemeindeverbänden kein Monopol einräumen, sondern neben ihnen, als
Haupttrügern der Stadterweiterung, die konkurrierende Tätigkeit von Privat¬
Lari Jentsch unternehmern fortbestehn lassen.




Paul Gerhardt und der Große Kurfürst
Hermann Jacoby von in Königsberg i. pr.

WM^w>s^M^/in 12. März d. I. feierte das deutsche Volk den dreihundertjährigen
Geburtstag seines größten religiösen Dichters, Paul Gerhardts.
>Jn evangelischen Gottesdiensten wurde der Gemeinde vergegen¬
wärtigt, welche Erhebung des Gemütes, welche Stimmungen innern
Friedens, welche Kräfte der Tröstung sie aus dem Liederquell
> dieses Sängers geschöpft habe. Und auch Zeitungen und Zeit¬
schriften wie eigens ihm gewidmete Bücher, neue Ausgaben seiner Lieder suchten
das Lebensbild Gerhardts und seine dichterische Leistung im Bewußtsein der
Zeitgenossen neu zu beleben.

Der Charakter Gerhardts durfte, der Wirklichkeit entsprechend, als ein
Lichtbild bezeichnet werden. Auch der tragische Konflikt, in den er in den
letzten Jahren seines Lebens geriet, konnte, vom moralischen Standpunkt aus
betrachtet, auf ihn keinen Schatten werfen. Fällt aber deshalb der Schatten
ausschließlich auf den Kurfürsten?

Noch etwa vor einem halben Jahrhundert war dies die Meinung. Paul
Gerhardt erschien als ein Opfer religiöser Unduldsamkeit seines Herrschers. Er
wurde als ein Vorkämpfer der Gewissensfreiheit gefeiert. Wir vermögen so
nicht mehr zu urteilen. Unser geschichtlich gebildeter Blick verweilt mit lebhaften
Sympathien bei beiden Männern. Wer die Art und Weise mißbilligt, wie der
Fürst seinen Bestrebungen Wirklichkeit zu geben suchte, schenkt doch jenen viel¬
leicht vollen Beifall, und wer an dem engen religiösen Standpunkt Anstoß
nimmt, den der Dichter vertritt, vermag doch die zarte Gewissenhaftigkeit, die
ihn auszeichnet, zu würdigen.

Von diesem Standpunkt aus Pflegen wir jetzt den Konflikt zwischen Fürst
und Dichter zu beurteilen, wir lassen beiden Teilen Gerechtigkeit widerfahren.
Wenn das Verständnis des Konflikts, wie es gegenwärtig erreicht ist, doch noch,
wie uns scheint, eine Lücke zeigt, so bezieht sich diese auf die psychologische Ent¬
wicklung des Dichters. Denn Gerhardt wurde ein andrer, seitdem er in den
Streit eintrat. Dies zu erweisen, ist die Aufgabe, die sich dieser Aufsatz stellt.

Paul Gerhardts Wiege stand in Gräfenhainichen, einer kleinen Stadt Kur¬
sachsens, des Mittelpunkts der deutschen lutherischen Kirche. Wir dürfen es
als selbstverständlich voraussetzen, daß sich der Knabe und Jüngling den christlichen


Paul Gerhardt und der Große Kurfürst

stammen". Wenn dem so ist, dann muß allerdings die Gesetzgebung ein¬
schreiten; aber mit den Bodenpreisen hat das, wie gesagt, nichts zu schaffen,
und mit der Stadterweiterung nur insofern, als freilich solche Betrügereien un¬
möglich würden, wenn die Kommunen selbst die Baustellen zu verkaufen und
womöglich auch zu bebauen Hütten. Mangoldt will übrigens den Gemeinden
und Gemeindeverbänden kein Monopol einräumen, sondern neben ihnen, als
Haupttrügern der Stadterweiterung, die konkurrierende Tätigkeit von Privat¬
Lari Jentsch unternehmern fortbestehn lassen.




Paul Gerhardt und der Große Kurfürst
Hermann Jacoby von in Königsberg i. pr.

WM^w>s^M^/in 12. März d. I. feierte das deutsche Volk den dreihundertjährigen
Geburtstag seines größten religiösen Dichters, Paul Gerhardts.
>Jn evangelischen Gottesdiensten wurde der Gemeinde vergegen¬
wärtigt, welche Erhebung des Gemütes, welche Stimmungen innern
Friedens, welche Kräfte der Tröstung sie aus dem Liederquell
> dieses Sängers geschöpft habe. Und auch Zeitungen und Zeit¬
schriften wie eigens ihm gewidmete Bücher, neue Ausgaben seiner Lieder suchten
das Lebensbild Gerhardts und seine dichterische Leistung im Bewußtsein der
Zeitgenossen neu zu beleben.

Der Charakter Gerhardts durfte, der Wirklichkeit entsprechend, als ein
Lichtbild bezeichnet werden. Auch der tragische Konflikt, in den er in den
letzten Jahren seines Lebens geriet, konnte, vom moralischen Standpunkt aus
betrachtet, auf ihn keinen Schatten werfen. Fällt aber deshalb der Schatten
ausschließlich auf den Kurfürsten?

Noch etwa vor einem halben Jahrhundert war dies die Meinung. Paul
Gerhardt erschien als ein Opfer religiöser Unduldsamkeit seines Herrschers. Er
wurde als ein Vorkämpfer der Gewissensfreiheit gefeiert. Wir vermögen so
nicht mehr zu urteilen. Unser geschichtlich gebildeter Blick verweilt mit lebhaften
Sympathien bei beiden Männern. Wer die Art und Weise mißbilligt, wie der
Fürst seinen Bestrebungen Wirklichkeit zu geben suchte, schenkt doch jenen viel¬
leicht vollen Beifall, und wer an dem engen religiösen Standpunkt Anstoß
nimmt, den der Dichter vertritt, vermag doch die zarte Gewissenhaftigkeit, die
ihn auszeichnet, zu würdigen.

Von diesem Standpunkt aus Pflegen wir jetzt den Konflikt zwischen Fürst
und Dichter zu beurteilen, wir lassen beiden Teilen Gerechtigkeit widerfahren.
Wenn das Verständnis des Konflikts, wie es gegenwärtig erreicht ist, doch noch,
wie uns scheint, eine Lücke zeigt, so bezieht sich diese auf die psychologische Ent¬
wicklung des Dichters. Denn Gerhardt wurde ein andrer, seitdem er in den
Streit eintrat. Dies zu erweisen, ist die Aufgabe, die sich dieser Aufsatz stellt.

Paul Gerhardts Wiege stand in Gräfenhainichen, einer kleinen Stadt Kur¬
sachsens, des Mittelpunkts der deutschen lutherischen Kirche. Wir dürfen es
als selbstverständlich voraussetzen, daß sich der Knabe und Jüngling den christlichen


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[0196] Paul Gerhardt und der Große Kurfürst stammen". Wenn dem so ist, dann muß allerdings die Gesetzgebung ein¬ schreiten; aber mit den Bodenpreisen hat das, wie gesagt, nichts zu schaffen, und mit der Stadterweiterung nur insofern, als freilich solche Betrügereien un¬ möglich würden, wenn die Kommunen selbst die Baustellen zu verkaufen und womöglich auch zu bebauen Hütten. Mangoldt will übrigens den Gemeinden und Gemeindeverbänden kein Monopol einräumen, sondern neben ihnen, als Haupttrügern der Stadterweiterung, die konkurrierende Tätigkeit von Privat¬ Lari Jentsch unternehmern fortbestehn lassen. Paul Gerhardt und der Große Kurfürst Hermann Jacoby von in Königsberg i. pr. WM^w>s^M^/in 12. März d. I. feierte das deutsche Volk den dreihundertjährigen Geburtstag seines größten religiösen Dichters, Paul Gerhardts. >Jn evangelischen Gottesdiensten wurde der Gemeinde vergegen¬ wärtigt, welche Erhebung des Gemütes, welche Stimmungen innern Friedens, welche Kräfte der Tröstung sie aus dem Liederquell > dieses Sängers geschöpft habe. Und auch Zeitungen und Zeit¬ schriften wie eigens ihm gewidmete Bücher, neue Ausgaben seiner Lieder suchten das Lebensbild Gerhardts und seine dichterische Leistung im Bewußtsein der Zeitgenossen neu zu beleben. Der Charakter Gerhardts durfte, der Wirklichkeit entsprechend, als ein Lichtbild bezeichnet werden. Auch der tragische Konflikt, in den er in den letzten Jahren seines Lebens geriet, konnte, vom moralischen Standpunkt aus betrachtet, auf ihn keinen Schatten werfen. Fällt aber deshalb der Schatten ausschließlich auf den Kurfürsten? Noch etwa vor einem halben Jahrhundert war dies die Meinung. Paul Gerhardt erschien als ein Opfer religiöser Unduldsamkeit seines Herrschers. Er wurde als ein Vorkämpfer der Gewissensfreiheit gefeiert. Wir vermögen so nicht mehr zu urteilen. Unser geschichtlich gebildeter Blick verweilt mit lebhaften Sympathien bei beiden Männern. Wer die Art und Weise mißbilligt, wie der Fürst seinen Bestrebungen Wirklichkeit zu geben suchte, schenkt doch jenen viel¬ leicht vollen Beifall, und wer an dem engen religiösen Standpunkt Anstoß nimmt, den der Dichter vertritt, vermag doch die zarte Gewissenhaftigkeit, die ihn auszeichnet, zu würdigen. Von diesem Standpunkt aus Pflegen wir jetzt den Konflikt zwischen Fürst und Dichter zu beurteilen, wir lassen beiden Teilen Gerechtigkeit widerfahren. Wenn das Verständnis des Konflikts, wie es gegenwärtig erreicht ist, doch noch, wie uns scheint, eine Lücke zeigt, so bezieht sich diese auf die psychologische Ent¬ wicklung des Dichters. Denn Gerhardt wurde ein andrer, seitdem er in den Streit eintrat. Dies zu erweisen, ist die Aufgabe, die sich dieser Aufsatz stellt. Paul Gerhardts Wiege stand in Gräfenhainichen, einer kleinen Stadt Kur¬ sachsens, des Mittelpunkts der deutschen lutherischen Kirche. Wir dürfen es als selbstverständlich voraussetzen, daß sich der Knabe und Jüngling den christlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/196>, abgerufen am 01.05.2024.