Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Laleno, der Jagdfalk

Noch besser verstand es übrigens Dickens, da er schlau mit geschäftsgewandt
und überdies von einem ihm eng befreundeten Advokaten unterstützt wär- er
verdiente an seinen Büchern sogar mehr, als sein Buchhändler und machte dabei
das Unrecht, das ihm früher angetan worden war, wieder gut.

Forster hat in seinem IM ok vio^eus manche genaue Schilderungen über
seine Absonderlichkeiten gebracht: unter welchen Vorbereitungen er sich zum Bei¬
spiel an den Schreibtisch setzte, wie viele Stunden er dort saß, wie er in der
Arbeit nicht vorwärts kommen konnte, wenn er nicht bestimmte kleine Schmuck¬
sachen vor Augen hatte, und wie unentbehrlich ihm blaue Tinte und Kielfedern
waren. Wird ein einziger Leser durch die Berichte von solchen Wunderlich¬
keiten in seiner Verehrung und Liebe zu Dickens gestört oder abgekühlt?
Ich glaube kaum. Das Bild, das sie uns von einem höchst sorgfältig dich¬
tenden Autor geben, ist doch wesentlich verschieden von jenem, das uns den
behäbigen Trollope zeigt, wie er die zu schreibenden Worte nach der Minuten¬
zahl berechnet. Wahrlich: Trollope hat sich durch den Ton und Stil seiner
Memoiren sehr geschadet; sie bekunden deutlich eine Inferiorität des Geistes
und Charakters. Von Dickens Persönlichkeit erhält man einen entschieden
andern Eindruck- Wenn man auch weiß, daß er noch am Ende seines Lebens
habgierig danach trachtete, sein ohnehin ansehnliches Vermögen um ein erkleck¬
liches zu vermehren (wobei er leider nicht dem unseligen Einfluß seiner Zeiten
und seiner literarischen Genossen zu widerstehn vermochte), so bleibt man doch
begeistert für ihn in der Überzeugung, daß er seine Werke mit dem Genie und
dem Feuer eines rechten Künstlers geschaffen, was bei Trollope durchaus nicht
der Fall war, der sehr methodisch verfuhr. Dickens war auch methodisch, weil
ohne eine methodische Anlage große Romane nicht geschrieben werden können.
Aber auf ein Bemessen der Wortzahl nach der Uhr ließ er sich nicht ein. Das
Bild, das durch seine Briefe so anschaulich wird, wie er an seinem Schreibtisch
sitzt und arbeitet, ist so köstlich und bezaubernd wie kaum ein andres in der
Geschichte der Literatur. Es hat einen bemerkenswerten Platz in den Herzen
aller eingenommen, die Dickens mit Bewunderung gelesen und gründlich ver¬
standen haben. Und so wird es unvergeßlich für immer bleiben-




Baleno, der Jagdfalk
Julius R. Haarhaus Line Geschichte aus der Krähenhütte von , -

>c> sitze ich nun schon den ganzen Morgen in meiner Erdhütte und
bin noch nicht ein einzigesmal zu Schuß gekommen. Vögel zeigen
sich genug, der Hühnerhabicht, auf den ich es solange abgesehen
habe, ist schon zum drittenmal mit ungestümem Flug vorüber ge¬
strichen, drüben über dem Walde tauchen immer wieder von neuem
kein paar wütend krächzende Rabenkrähen auf, und über mir, hoch
in der blauen Frühlingsluft, zieht seit einer halben Stunde ein schwarzer Milan
seine Kreise. Manchmal scheint er unbeweglich zu stehn, nur wenn ich ihn durch
das Jagdglas scharf ins Auge fasse, erkenne ich das leise Zittern seiner Schwingen
und die geringen Veränderungen in der Stellung des gegabelten Stoßes, dessen
Federn sich bald fächerförmig ausbreiten, bald wieder zusammenlegen.


Laleno, der Jagdfalk

Noch besser verstand es übrigens Dickens, da er schlau mit geschäftsgewandt
und überdies von einem ihm eng befreundeten Advokaten unterstützt wär- er
verdiente an seinen Büchern sogar mehr, als sein Buchhändler und machte dabei
das Unrecht, das ihm früher angetan worden war, wieder gut.

Forster hat in seinem IM ok vio^eus manche genaue Schilderungen über
seine Absonderlichkeiten gebracht: unter welchen Vorbereitungen er sich zum Bei¬
spiel an den Schreibtisch setzte, wie viele Stunden er dort saß, wie er in der
Arbeit nicht vorwärts kommen konnte, wenn er nicht bestimmte kleine Schmuck¬
sachen vor Augen hatte, und wie unentbehrlich ihm blaue Tinte und Kielfedern
waren. Wird ein einziger Leser durch die Berichte von solchen Wunderlich¬
keiten in seiner Verehrung und Liebe zu Dickens gestört oder abgekühlt?
Ich glaube kaum. Das Bild, das sie uns von einem höchst sorgfältig dich¬
tenden Autor geben, ist doch wesentlich verschieden von jenem, das uns den
behäbigen Trollope zeigt, wie er die zu schreibenden Worte nach der Minuten¬
zahl berechnet. Wahrlich: Trollope hat sich durch den Ton und Stil seiner
Memoiren sehr geschadet; sie bekunden deutlich eine Inferiorität des Geistes
und Charakters. Von Dickens Persönlichkeit erhält man einen entschieden
andern Eindruck- Wenn man auch weiß, daß er noch am Ende seines Lebens
habgierig danach trachtete, sein ohnehin ansehnliches Vermögen um ein erkleck¬
liches zu vermehren (wobei er leider nicht dem unseligen Einfluß seiner Zeiten
und seiner literarischen Genossen zu widerstehn vermochte), so bleibt man doch
begeistert für ihn in der Überzeugung, daß er seine Werke mit dem Genie und
dem Feuer eines rechten Künstlers geschaffen, was bei Trollope durchaus nicht
der Fall war, der sehr methodisch verfuhr. Dickens war auch methodisch, weil
ohne eine methodische Anlage große Romane nicht geschrieben werden können.
Aber auf ein Bemessen der Wortzahl nach der Uhr ließ er sich nicht ein. Das
Bild, das durch seine Briefe so anschaulich wird, wie er an seinem Schreibtisch
sitzt und arbeitet, ist so köstlich und bezaubernd wie kaum ein andres in der
Geschichte der Literatur. Es hat einen bemerkenswerten Platz in den Herzen
aller eingenommen, die Dickens mit Bewunderung gelesen und gründlich ver¬
standen haben. Und so wird es unvergeßlich für immer bleiben-




Baleno, der Jagdfalk
Julius R. Haarhaus Line Geschichte aus der Krähenhütte von , -

>c> sitze ich nun schon den ganzen Morgen in meiner Erdhütte und
bin noch nicht ein einzigesmal zu Schuß gekommen. Vögel zeigen
sich genug, der Hühnerhabicht, auf den ich es solange abgesehen
habe, ist schon zum drittenmal mit ungestümem Flug vorüber ge¬
strichen, drüben über dem Walde tauchen immer wieder von neuem
kein paar wütend krächzende Rabenkrähen auf, und über mir, hoch
in der blauen Frühlingsluft, zieht seit einer halben Stunde ein schwarzer Milan
seine Kreise. Manchmal scheint er unbeweglich zu stehn, nur wenn ich ihn durch
das Jagdglas scharf ins Auge fasse, erkenne ich das leise Zittern seiner Schwingen
und die geringen Veränderungen in der Stellung des gegabelten Stoßes, dessen
Federn sich bald fächerförmig ausbreiten, bald wieder zusammenlegen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0050" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/311791"/>
          <fw type="header" place="top"> Laleno, der Jagdfalk</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_144" prev="#ID_143"> Noch besser verstand es übrigens Dickens, da er schlau mit geschäftsgewandt<lb/>
und überdies von einem ihm eng befreundeten Advokaten unterstützt wär- er<lb/>
verdiente an seinen Büchern sogar mehr, als sein Buchhändler und machte dabei<lb/>
das Unrecht, das ihm früher angetan worden war, wieder gut.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_145"> Forster hat in seinem IM ok vio^eus manche genaue Schilderungen über<lb/>
seine Absonderlichkeiten gebracht: unter welchen Vorbereitungen er sich zum Bei¬<lb/>
spiel an den Schreibtisch setzte, wie viele Stunden er dort saß, wie er in der<lb/>
Arbeit nicht vorwärts kommen konnte, wenn er nicht bestimmte kleine Schmuck¬<lb/>
sachen vor Augen hatte, und wie unentbehrlich ihm blaue Tinte und Kielfedern<lb/>
waren. Wird ein einziger Leser durch die Berichte von solchen Wunderlich¬<lb/>
keiten in seiner Verehrung und Liebe zu Dickens gestört oder abgekühlt?<lb/>
Ich glaube kaum. Das Bild, das sie uns von einem höchst sorgfältig dich¬<lb/>
tenden Autor geben, ist doch wesentlich verschieden von jenem, das uns den<lb/>
behäbigen Trollope zeigt, wie er die zu schreibenden Worte nach der Minuten¬<lb/>
zahl berechnet. Wahrlich: Trollope hat sich durch den Ton und Stil seiner<lb/>
Memoiren sehr geschadet; sie bekunden deutlich eine Inferiorität des Geistes<lb/>
und Charakters. Von Dickens Persönlichkeit erhält man einen entschieden<lb/>
andern Eindruck- Wenn man auch weiß, daß er noch am Ende seines Lebens<lb/>
habgierig danach trachtete, sein ohnehin ansehnliches Vermögen um ein erkleck¬<lb/>
liches zu vermehren (wobei er leider nicht dem unseligen Einfluß seiner Zeiten<lb/>
und seiner literarischen Genossen zu widerstehn vermochte), so bleibt man doch<lb/>
begeistert für ihn in der Überzeugung, daß er seine Werke mit dem Genie und<lb/>
dem Feuer eines rechten Künstlers geschaffen, was bei Trollope durchaus nicht<lb/>
der Fall war, der sehr methodisch verfuhr. Dickens war auch methodisch, weil<lb/>
ohne eine methodische Anlage große Romane nicht geschrieben werden können.<lb/>
Aber auf ein Bemessen der Wortzahl nach der Uhr ließ er sich nicht ein. Das<lb/>
Bild, das durch seine Briefe so anschaulich wird, wie er an seinem Schreibtisch<lb/>
sitzt und arbeitet, ist so köstlich und bezaubernd wie kaum ein andres in der<lb/>
Geschichte der Literatur. Es hat einen bemerkenswerten Platz in den Herzen<lb/>
aller eingenommen, die Dickens mit Bewunderung gelesen und gründlich ver¬<lb/>
standen haben. Und so wird es unvergeßlich für immer bleiben-</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Baleno, der Jagdfalk<lb/><note type="byline"> Julius R. Haarhaus </note> Line Geschichte aus der Krähenhütte von   , -</head><lb/>
          <p xml:id="ID_146"> &gt;c&gt; sitze ich nun schon den ganzen Morgen in meiner Erdhütte und<lb/>
bin noch nicht ein einzigesmal zu Schuß gekommen. Vögel zeigen<lb/>
sich genug, der Hühnerhabicht, auf den ich es solange abgesehen<lb/>
habe, ist schon zum drittenmal mit ungestümem Flug vorüber ge¬<lb/>
strichen, drüben über dem Walde tauchen immer wieder von neuem<lb/>
kein paar wütend krächzende Rabenkrähen auf, und über mir, hoch<lb/>
in der blauen Frühlingsluft, zieht seit einer halben Stunde ein schwarzer Milan<lb/>
seine Kreise. Manchmal scheint er unbeweglich zu stehn, nur wenn ich ihn durch<lb/>
das Jagdglas scharf ins Auge fasse, erkenne ich das leise Zittern seiner Schwingen<lb/>
und die geringen Veränderungen in der Stellung des gegabelten Stoßes, dessen<lb/>
Federn sich bald fächerförmig ausbreiten, bald wieder zusammenlegen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0050] Laleno, der Jagdfalk Noch besser verstand es übrigens Dickens, da er schlau mit geschäftsgewandt und überdies von einem ihm eng befreundeten Advokaten unterstützt wär- er verdiente an seinen Büchern sogar mehr, als sein Buchhändler und machte dabei das Unrecht, das ihm früher angetan worden war, wieder gut. Forster hat in seinem IM ok vio^eus manche genaue Schilderungen über seine Absonderlichkeiten gebracht: unter welchen Vorbereitungen er sich zum Bei¬ spiel an den Schreibtisch setzte, wie viele Stunden er dort saß, wie er in der Arbeit nicht vorwärts kommen konnte, wenn er nicht bestimmte kleine Schmuck¬ sachen vor Augen hatte, und wie unentbehrlich ihm blaue Tinte und Kielfedern waren. Wird ein einziger Leser durch die Berichte von solchen Wunderlich¬ keiten in seiner Verehrung und Liebe zu Dickens gestört oder abgekühlt? Ich glaube kaum. Das Bild, das sie uns von einem höchst sorgfältig dich¬ tenden Autor geben, ist doch wesentlich verschieden von jenem, das uns den behäbigen Trollope zeigt, wie er die zu schreibenden Worte nach der Minuten¬ zahl berechnet. Wahrlich: Trollope hat sich durch den Ton und Stil seiner Memoiren sehr geschadet; sie bekunden deutlich eine Inferiorität des Geistes und Charakters. Von Dickens Persönlichkeit erhält man einen entschieden andern Eindruck- Wenn man auch weiß, daß er noch am Ende seines Lebens habgierig danach trachtete, sein ohnehin ansehnliches Vermögen um ein erkleck¬ liches zu vermehren (wobei er leider nicht dem unseligen Einfluß seiner Zeiten und seiner literarischen Genossen zu widerstehn vermochte), so bleibt man doch begeistert für ihn in der Überzeugung, daß er seine Werke mit dem Genie und dem Feuer eines rechten Künstlers geschaffen, was bei Trollope durchaus nicht der Fall war, der sehr methodisch verfuhr. Dickens war auch methodisch, weil ohne eine methodische Anlage große Romane nicht geschrieben werden können. Aber auf ein Bemessen der Wortzahl nach der Uhr ließ er sich nicht ein. Das Bild, das durch seine Briefe so anschaulich wird, wie er an seinem Schreibtisch sitzt und arbeitet, ist so köstlich und bezaubernd wie kaum ein andres in der Geschichte der Literatur. Es hat einen bemerkenswerten Platz in den Herzen aller eingenommen, die Dickens mit Bewunderung gelesen und gründlich ver¬ standen haben. Und so wird es unvergeßlich für immer bleiben- Baleno, der Jagdfalk Julius R. Haarhaus Line Geschichte aus der Krähenhütte von , - >c> sitze ich nun schon den ganzen Morgen in meiner Erdhütte und bin noch nicht ein einzigesmal zu Schuß gekommen. Vögel zeigen sich genug, der Hühnerhabicht, auf den ich es solange abgesehen habe, ist schon zum drittenmal mit ungestümem Flug vorüber ge¬ strichen, drüben über dem Walde tauchen immer wieder von neuem kein paar wütend krächzende Rabenkrähen auf, und über mir, hoch in der blauen Frühlingsluft, zieht seit einer halben Stunde ein schwarzer Milan seine Kreise. Manchmal scheint er unbeweglich zu stehn, nur wenn ich ihn durch das Jagdglas scharf ins Auge fasse, erkenne ich das leise Zittern seiner Schwingen und die geringen Veränderungen in der Stellung des gegabelten Stoßes, dessen Federn sich bald fächerförmig ausbreiten, bald wieder zusammenlegen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/50
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/50>, abgerufen am 01.05.2024.