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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Leute von ehedem und was ihnen passiert ist.

Erlebtes und Er¬
dichtetes von Wilhelm Münch. So ist ein Büchlein überschrieben, das in
C. F. Amelangs Verlag in Leipzig erschienen ist (1908, geh. 2 Mark), und das
alle Freunde Münchs -- und die zahlen zu Tausenden -- mit Freude aufnehmen
werden. Es ist erstaunlich, wie unerschöpflich das Füllhorn des Schönen und
Guten ist, das Münch seit Jahren ausschüttet über alle, die eine feine Art des
Denkens und Sinnens lieben. Münch ist nicht nur einer unsrer allerersten Päda¬
gogen; wer es noch nicht weiß, könnte es aus dem allerjüngsten Buche -- der
Neuauflage der Zukunftspädagogik -- schon allein ersehen, die gleichsam die
Summe aller seiner Erziehungsgrundsätze zieht; er ist auch ein feinsinniger Poet;
das bezeugten seine Anmerkungen zum Texte des Lebens, die merkwürdig
laugsam durchzudringen scheinen; 1904 erschien erst die dritte Auflage (Berlin,
Weidmann); sie verdienten, in jedem gebildeten Hanse einen Ehrenplatz einzunehmen;
so viel Geisteshelle und Herzenswärme schließen sie in sich. Den anspruchslosen,
aber drum nicht minder ansprechenden Bildern aus dem Leben, die Münch unter
dem Titel Gestalten am Wege 1905 herausgab, folgt jetzt das Bändchen Leute
von ehedem. Es sind nicht Novellen im modernen Sinne des Wortes; ich möchte
sie zu Erzählungen erweiterte Aphorismen nennen; oftmals schließen die einzelnen
Abschnitte mit einer feinen Pointe, einem klugen Weisheitssatz, und oft mischt sich in
die lose geschürzte Skizze eine wertvolle Betrachtung ein. Man spürt, diesem Manne
mit dem unbezwinglichen Schaffensdrauge ist es eine Freude, erworbne Lebenskenntnis
auszubreiten; dabei begegnet nichts Aufdringliches, sondern alles ist schlicht, echt,
wohlabgewogen, mit Lichtern jenes Humors überstreut, der Wohl milde und mitleidig
lächelt, aber niemals die sarkastische Schärfe des Überlegnen annimmt. Und wie tief
dringt der Blick in die Herzensfalten der Menschen hinein, ob diese im Dorf oder
in der Großstadt wandeln, ob sie Geheimer Regierungsrat oder Gymnasiallehrer
heißen, ob sie reich an Gold und arm an Innerlichkeit oder reich in ihrem in¬
wendigen Menschen und arm am Geldbeutel sind. Soll ich für die neuen Auflagen
einen Wunsch äußern, so ist es der: etliche Fremdwörter zu beseitigen und einige
Alfred Biese gar zu langatmige Sätze zu vereinfachen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Leute von ehedem und was ihnen passiert ist.

Erlebtes und Er¬
dichtetes von Wilhelm Münch. So ist ein Büchlein überschrieben, das in
C. F. Amelangs Verlag in Leipzig erschienen ist (1908, geh. 2 Mark), und das
alle Freunde Münchs — und die zahlen zu Tausenden — mit Freude aufnehmen
werden. Es ist erstaunlich, wie unerschöpflich das Füllhorn des Schönen und
Guten ist, das Münch seit Jahren ausschüttet über alle, die eine feine Art des
Denkens und Sinnens lieben. Münch ist nicht nur einer unsrer allerersten Päda¬
gogen; wer es noch nicht weiß, könnte es aus dem allerjüngsten Buche — der
Neuauflage der Zukunftspädagogik — schon allein ersehen, die gleichsam die
Summe aller seiner Erziehungsgrundsätze zieht; er ist auch ein feinsinniger Poet;
das bezeugten seine Anmerkungen zum Texte des Lebens, die merkwürdig
laugsam durchzudringen scheinen; 1904 erschien erst die dritte Auflage (Berlin,
Weidmann); sie verdienten, in jedem gebildeten Hanse einen Ehrenplatz einzunehmen;
so viel Geisteshelle und Herzenswärme schließen sie in sich. Den anspruchslosen,
aber drum nicht minder ansprechenden Bildern aus dem Leben, die Münch unter
dem Titel Gestalten am Wege 1905 herausgab, folgt jetzt das Bändchen Leute
von ehedem. Es sind nicht Novellen im modernen Sinne des Wortes; ich möchte
sie zu Erzählungen erweiterte Aphorismen nennen; oftmals schließen die einzelnen
Abschnitte mit einer feinen Pointe, einem klugen Weisheitssatz, und oft mischt sich in
die lose geschürzte Skizze eine wertvolle Betrachtung ein. Man spürt, diesem Manne
mit dem unbezwinglichen Schaffensdrauge ist es eine Freude, erworbne Lebenskenntnis
auszubreiten; dabei begegnet nichts Aufdringliches, sondern alles ist schlicht, echt,
wohlabgewogen, mit Lichtern jenes Humors überstreut, der Wohl milde und mitleidig
lächelt, aber niemals die sarkastische Schärfe des Überlegnen annimmt. Und wie tief
dringt der Blick in die Herzensfalten der Menschen hinein, ob diese im Dorf oder
in der Großstadt wandeln, ob sie Geheimer Regierungsrat oder Gymnasiallehrer
heißen, ob sie reich an Gold und arm an Innerlichkeit oder reich in ihrem in¬
wendigen Menschen und arm am Geldbeutel sind. Soll ich für die neuen Auflagen
einen Wunsch äußern, so ist es der: etliche Fremdwörter zu beseitigen und einige
Alfred Biese gar zu langatmige Sätze zu vereinfachen.




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[0504] Maßgebliches und Unmaßgebliches Leute von ehedem und was ihnen passiert ist. Erlebtes und Er¬ dichtetes von Wilhelm Münch. So ist ein Büchlein überschrieben, das in C. F. Amelangs Verlag in Leipzig erschienen ist (1908, geh. 2 Mark), und das alle Freunde Münchs — und die zahlen zu Tausenden — mit Freude aufnehmen werden. Es ist erstaunlich, wie unerschöpflich das Füllhorn des Schönen und Guten ist, das Münch seit Jahren ausschüttet über alle, die eine feine Art des Denkens und Sinnens lieben. Münch ist nicht nur einer unsrer allerersten Päda¬ gogen; wer es noch nicht weiß, könnte es aus dem allerjüngsten Buche — der Neuauflage der Zukunftspädagogik — schon allein ersehen, die gleichsam die Summe aller seiner Erziehungsgrundsätze zieht; er ist auch ein feinsinniger Poet; das bezeugten seine Anmerkungen zum Texte des Lebens, die merkwürdig laugsam durchzudringen scheinen; 1904 erschien erst die dritte Auflage (Berlin, Weidmann); sie verdienten, in jedem gebildeten Hanse einen Ehrenplatz einzunehmen; so viel Geisteshelle und Herzenswärme schließen sie in sich. Den anspruchslosen, aber drum nicht minder ansprechenden Bildern aus dem Leben, die Münch unter dem Titel Gestalten am Wege 1905 herausgab, folgt jetzt das Bändchen Leute von ehedem. Es sind nicht Novellen im modernen Sinne des Wortes; ich möchte sie zu Erzählungen erweiterte Aphorismen nennen; oftmals schließen die einzelnen Abschnitte mit einer feinen Pointe, einem klugen Weisheitssatz, und oft mischt sich in die lose geschürzte Skizze eine wertvolle Betrachtung ein. Man spürt, diesem Manne mit dem unbezwinglichen Schaffensdrauge ist es eine Freude, erworbne Lebenskenntnis auszubreiten; dabei begegnet nichts Aufdringliches, sondern alles ist schlicht, echt, wohlabgewogen, mit Lichtern jenes Humors überstreut, der Wohl milde und mitleidig lächelt, aber niemals die sarkastische Schärfe des Überlegnen annimmt. Und wie tief dringt der Blick in die Herzensfalten der Menschen hinein, ob diese im Dorf oder in der Großstadt wandeln, ob sie Geheimer Regierungsrat oder Gymnasiallehrer heißen, ob sie reich an Gold und arm an Innerlichkeit oder reich in ihrem in¬ wendigen Menschen und arm am Geldbeutel sind. Soll ich für die neuen Auflagen einen Wunsch äußern, so ist es der: etliche Fremdwörter zu beseitigen und einige Alfred Biese gar zu langatmige Sätze zu vereinfachen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/504>, abgerufen am 01.05.2024.