Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

>le Wandlungen ans dem innerpolitischen Gebiete in beiden Teilen
der Habsburgischen Monarchie erschienen in den letzten Jahren
recht bedeutend, so bedeutend sogar, daß wieder einmal die Auf¬
lösung des Dualismus und damit der Anfang vom Ende an-
> gekündigt wurde. Diese Melodie hört man aber schon seit Jahren,
und was hat sich denn endlich in dieser Zeit der Jeremiaden, gegenseitigen
Anfeindungen, Beschuldigungen und Klagen nach allen Seiten geändert?
Eigentlich soviel wie nichts, und dem unbeteiligten Zuschauer fängt die
Sache an nach und nach etwas langweilig zu werden. Gewiß war wieder
einmal das Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn in Unsicherheit geraten,
aber das ist in frühern Jahrhunderten schon vielfach der Fall gewesen, und
die ungarischen Stände haben dem Hause Habsburg oft noch viel feindseliger
gegenübergestanden als letzthin der ungarische Reichstag. Wenn es so ge¬
schienen hat, als dränge Ungarn auf wirtschaftliche und militärische Scheidung
hin, so liegt das daran, daß augenblicklich dort eine Richtung die parla¬
mentarische Oberhand gewonnen hatte, der die Ausgleichsgedanken Andrassys
und Death fremd waren. Aber was sie an regierender Stelle zu leisten ver¬
mochte, hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür geboten, daß sie sich
dauernd erhalten könnte. Wirtschaftliche Selbständigkeit ohne militärische hätte
überhaupt wenig Wert, und die letzte gibt es nicht, weder unter Kaiser Franz
Joseph noch unter einem seiner Nachfolger, und bei der Haltung der Armee
schon gar nicht. Man muß, um ein Wort Bismarcks zu gebrauchen, solche
Konflikte nicht zu tragisch nehmen, darf sich auch nicht dadurch beirren
lassen, daß die verbreitetsten Wiener Blätter, die die parlamentarische Macht¬
erweiterungsbestrebungen in Ungarn "aus Prinzip" unterstützen, schon seit
Jahren die Miene vornehmen, als sei die Einheit der Armee bereits auf¬
gegeben. Es muß schon darum falsch sein, weil von diesem Moment an
Österreich-Ungarn bündnisunfähig geworden wäre. Das ist aber keineswegs
der Fall, bisher hat selbst die seit Jahren eingestandne Rückständigkeit des


Grenzboten II 1908 8


Die Tätigkeit der ungarischen Koalition

>le Wandlungen ans dem innerpolitischen Gebiete in beiden Teilen
der Habsburgischen Monarchie erschienen in den letzten Jahren
recht bedeutend, so bedeutend sogar, daß wieder einmal die Auf¬
lösung des Dualismus und damit der Anfang vom Ende an-
> gekündigt wurde. Diese Melodie hört man aber schon seit Jahren,
und was hat sich denn endlich in dieser Zeit der Jeremiaden, gegenseitigen
Anfeindungen, Beschuldigungen und Klagen nach allen Seiten geändert?
Eigentlich soviel wie nichts, und dem unbeteiligten Zuschauer fängt die
Sache an nach und nach etwas langweilig zu werden. Gewiß war wieder
einmal das Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn in Unsicherheit geraten,
aber das ist in frühern Jahrhunderten schon vielfach der Fall gewesen, und
die ungarischen Stände haben dem Hause Habsburg oft noch viel feindseliger
gegenübergestanden als letzthin der ungarische Reichstag. Wenn es so ge¬
schienen hat, als dränge Ungarn auf wirtschaftliche und militärische Scheidung
hin, so liegt das daran, daß augenblicklich dort eine Richtung die parla¬
mentarische Oberhand gewonnen hatte, der die Ausgleichsgedanken Andrassys
und Death fremd waren. Aber was sie an regierender Stelle zu leisten ver¬
mochte, hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür geboten, daß sie sich
dauernd erhalten könnte. Wirtschaftliche Selbständigkeit ohne militärische hätte
überhaupt wenig Wert, und die letzte gibt es nicht, weder unter Kaiser Franz
Joseph noch unter einem seiner Nachfolger, und bei der Haltung der Armee
schon gar nicht. Man muß, um ein Wort Bismarcks zu gebrauchen, solche
Konflikte nicht zu tragisch nehmen, darf sich auch nicht dadurch beirren
lassen, daß die verbreitetsten Wiener Blätter, die die parlamentarische Macht¬
erweiterungsbestrebungen in Ungarn „aus Prinzip" unterstützen, schon seit
Jahren die Miene vornehmen, als sei die Einheit der Armee bereits auf¬
gegeben. Es muß schon darum falsch sein, weil von diesem Moment an
Österreich-Ungarn bündnisunfähig geworden wäre. Das ist aber keineswegs
der Fall, bisher hat selbst die seit Jahren eingestandne Rückständigkeit des


Grenzboten II 1908 8
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0065" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/309676"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341887_311740/figures/grenzboten_341887_311740_309676_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Die Tätigkeit der ungarischen Koalition</head><lb/>
          <p xml:id="ID_220" next="#ID_221"> &gt;le Wandlungen ans dem innerpolitischen Gebiete in beiden Teilen<lb/>
der Habsburgischen Monarchie erschienen in den letzten Jahren<lb/>
recht bedeutend, so bedeutend sogar, daß wieder einmal die Auf¬<lb/>
lösung des Dualismus und damit der Anfang vom Ende an-<lb/>
&gt; gekündigt wurde. Diese Melodie hört man aber schon seit Jahren,<lb/>
und was hat sich denn endlich in dieser Zeit der Jeremiaden, gegenseitigen<lb/>
Anfeindungen, Beschuldigungen und Klagen nach allen Seiten geändert?<lb/>
Eigentlich soviel wie nichts, und dem unbeteiligten Zuschauer fängt die<lb/>
Sache an nach und nach etwas langweilig zu werden. Gewiß war wieder<lb/>
einmal das Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn in Unsicherheit geraten,<lb/>
aber das ist in frühern Jahrhunderten schon vielfach der Fall gewesen, und<lb/>
die ungarischen Stände haben dem Hause Habsburg oft noch viel feindseliger<lb/>
gegenübergestanden als letzthin der ungarische Reichstag. Wenn es so ge¬<lb/>
schienen hat, als dränge Ungarn auf wirtschaftliche und militärische Scheidung<lb/>
hin, so liegt das daran, daß augenblicklich dort eine Richtung die parla¬<lb/>
mentarische Oberhand gewonnen hatte, der die Ausgleichsgedanken Andrassys<lb/>
und Death fremd waren. Aber was sie an regierender Stelle zu leisten ver¬<lb/>
mochte, hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür geboten, daß sie sich<lb/>
dauernd erhalten könnte. Wirtschaftliche Selbständigkeit ohne militärische hätte<lb/>
überhaupt wenig Wert, und die letzte gibt es nicht, weder unter Kaiser Franz<lb/>
Joseph noch unter einem seiner Nachfolger, und bei der Haltung der Armee<lb/>
schon gar nicht. Man muß, um ein Wort Bismarcks zu gebrauchen, solche<lb/>
Konflikte nicht zu tragisch nehmen, darf sich auch nicht dadurch beirren<lb/>
lassen, daß die verbreitetsten Wiener Blätter, die die parlamentarische Macht¬<lb/>
erweiterungsbestrebungen in Ungarn &#x201E;aus Prinzip" unterstützen, schon seit<lb/>
Jahren die Miene vornehmen, als sei die Einheit der Armee bereits auf¬<lb/>
gegeben. Es muß schon darum falsch sein, weil von diesem Moment an<lb/>
Österreich-Ungarn bündnisunfähig geworden wäre. Das ist aber keineswegs<lb/>
der Fall, bisher hat selbst die seit Jahren eingestandne Rückständigkeit des</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten II 1908 8</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0065] [Abbildung] Die Tätigkeit der ungarischen Koalition >le Wandlungen ans dem innerpolitischen Gebiete in beiden Teilen der Habsburgischen Monarchie erschienen in den letzten Jahren recht bedeutend, so bedeutend sogar, daß wieder einmal die Auf¬ lösung des Dualismus und damit der Anfang vom Ende an- > gekündigt wurde. Diese Melodie hört man aber schon seit Jahren, und was hat sich denn endlich in dieser Zeit der Jeremiaden, gegenseitigen Anfeindungen, Beschuldigungen und Klagen nach allen Seiten geändert? Eigentlich soviel wie nichts, und dem unbeteiligten Zuschauer fängt die Sache an nach und nach etwas langweilig zu werden. Gewiß war wieder einmal das Verhältnis zwischen Österreich und Ungarn in Unsicherheit geraten, aber das ist in frühern Jahrhunderten schon vielfach der Fall gewesen, und die ungarischen Stände haben dem Hause Habsburg oft noch viel feindseliger gegenübergestanden als letzthin der ungarische Reichstag. Wenn es so ge¬ schienen hat, als dränge Ungarn auf wirtschaftliche und militärische Scheidung hin, so liegt das daran, daß augenblicklich dort eine Richtung die parla¬ mentarische Oberhand gewonnen hatte, der die Ausgleichsgedanken Andrassys und Death fremd waren. Aber was sie an regierender Stelle zu leisten ver¬ mochte, hatte nicht den geringsten Anhaltspunkt dafür geboten, daß sie sich dauernd erhalten könnte. Wirtschaftliche Selbständigkeit ohne militärische hätte überhaupt wenig Wert, und die letzte gibt es nicht, weder unter Kaiser Franz Joseph noch unter einem seiner Nachfolger, und bei der Haltung der Armee schon gar nicht. Man muß, um ein Wort Bismarcks zu gebrauchen, solche Konflikte nicht zu tragisch nehmen, darf sich auch nicht dadurch beirren lassen, daß die verbreitetsten Wiener Blätter, die die parlamentarische Macht¬ erweiterungsbestrebungen in Ungarn „aus Prinzip" unterstützen, schon seit Jahren die Miene vornehmen, als sei die Einheit der Armee bereits auf¬ gegeben. Es muß schon darum falsch sein, weil von diesem Moment an Österreich-Ungarn bündnisunfähig geworden wäre. Das ist aber keineswegs der Fall, bisher hat selbst die seit Jahren eingestandne Rückständigkeit des Grenzboten II 1908 8

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/65
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/65>, abgerufen am 01.05.2024.