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Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

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Geheime öder öffentliche Wahl

andrer Dringlichkeitsanträge überhaupt zur Beratung gelangen konnte, in
Pest durch ein sogenanntes Ermächtigungsgesetz/ durch das in einer en bloo-
Beratung die Obstruktion der Kroaten gebrochen wurde. Die Kroaten ob--
struieren, weil ihnen auf den ihr Land durchziehenden Staatsbahnen die un¬
garische Sprache als Dienstspräche aufgedrängt werden soll. Nach 'dem
Charakter des vom Mntevrichtsminifter Grafen Äppottyi für Ungarn durch¬
geführten Untcrrichtsgesetzes > das alle nationalen Schulen der Willkür der
ungarischen Behörden überliefert, haben sie alle Ursache, den milden Aus¬
legungen, die der Handelsminister Kossuth seiner Sprachenverordnung für die
Staatsbahnen gegeben hat, gründlich zu mißtrauen. Zur Strafe ist der kroa¬
tische Landtag aufgelöst worden, und' das Königreich Kroatien hat seit wenigen
Monaten schon den dritten Baums. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel,
daß das Ministerium nur darum einen so scharfen Ton gegen die Nationali¬
täten angenommen hat, um seine Mannen unter dem Banner des magyarischen
Chauvinismus möglichst zusammenzuhalten, denn unter den alten echten
KossuthianerN befanden sich viele, die die Ausgleichsaktion nicht umeinander
wollten, und denen der althergebrachte Parteigrundsatz: Los von Osterreich
über alle wirtschaftlichen Nöte des Landes ging. Einige zwanzig sind aus
der Partei ausgetreten und bereiten Nun neben gewissen Eigenbrötlern, wie
Baron Banffy, der immer noch hofft, daß für ihn noch einmal eine neue
ministerielle Ära kommen Müsse, dem Ministerium bedeutende Schwierigkeiten.
Diese können sehr groß werden, da endlich einmal die Heeresfragen zur Ent¬
scheidung gebracht werden-müssen. Das Kabinett wird sich aber in der Herrschaft
zu erhalten suchen; doch sind theatralische Wendungen auch für die nächste Zeit
--y-- nicht ausgeschlossen. ' - , ^ > -




Geheime oder öffentliche lVahl
Georg to. Schiele von

le Politik ist ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit.
Oder vielmehr die Geschäfte der Öffentlichkeit, des gemeinen
Wesens, find Politik. Wer sich daran beteiligen will, der muß
in das blendende Licht und die scharfe Luft der Öffentlichkeit
'huiüils.-'-'-W "-sei.' 'Reichs-- -oder-' Landtagsabgeördneter, - Stadt¬
verordneter oder Stadtrat, Bürgermeister. Landrat oder Minister, so erfährt
er bald, daß der kluge Philister ihn verlacht, umstellt, beschimpft, um so mehr,
je größer sein Einfluß ist. Auch wer' eine Partei, das ist einen politischen
Gesamtwillen, organisiert oder führt, für einen Kandidaten ,' eine. Partei, eine


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andrer Dringlichkeitsanträge überhaupt zur Beratung gelangen konnte, in
Pest durch ein sogenanntes Ermächtigungsgesetz/ durch das in einer en bloo-
Beratung die Obstruktion der Kroaten gebrochen wurde. Die Kroaten ob--
struieren, weil ihnen auf den ihr Land durchziehenden Staatsbahnen die un¬
garische Sprache als Dienstspräche aufgedrängt werden soll. Nach 'dem
Charakter des vom Mntevrichtsminifter Grafen Äppottyi für Ungarn durch¬
geführten Untcrrichtsgesetzes > das alle nationalen Schulen der Willkür der
ungarischen Behörden überliefert, haben sie alle Ursache, den milden Aus¬
legungen, die der Handelsminister Kossuth seiner Sprachenverordnung für die
Staatsbahnen gegeben hat, gründlich zu mißtrauen. Zur Strafe ist der kroa¬
tische Landtag aufgelöst worden, und' das Königreich Kroatien hat seit wenigen
Monaten schon den dritten Baums. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel,
daß das Ministerium nur darum einen so scharfen Ton gegen die Nationali¬
täten angenommen hat, um seine Mannen unter dem Banner des magyarischen
Chauvinismus möglichst zusammenzuhalten, denn unter den alten echten
KossuthianerN befanden sich viele, die die Ausgleichsaktion nicht umeinander
wollten, und denen der althergebrachte Parteigrundsatz: Los von Osterreich
über alle wirtschaftlichen Nöte des Landes ging. Einige zwanzig sind aus
der Partei ausgetreten und bereiten Nun neben gewissen Eigenbrötlern, wie
Baron Banffy, der immer noch hofft, daß für ihn noch einmal eine neue
ministerielle Ära kommen Müsse, dem Ministerium bedeutende Schwierigkeiten.
Diese können sehr groß werden, da endlich einmal die Heeresfragen zur Ent¬
scheidung gebracht werden-müssen. Das Kabinett wird sich aber in der Herrschaft
zu erhalten suchen; doch sind theatralische Wendungen auch für die nächste Zeit
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le Politik ist ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit.
Oder vielmehr die Geschäfte der Öffentlichkeit, des gemeinen
Wesens, find Politik. Wer sich daran beteiligen will, der muß
in das blendende Licht und die scharfe Luft der Öffentlichkeit
'huiüils.-'-'-W "-sei.' 'Reichs-- -oder-' Landtagsabgeördneter, - Stadt¬
verordneter oder Stadtrat, Bürgermeister. Landrat oder Minister, so erfährt
er bald, daß der kluge Philister ihn verlacht, umstellt, beschimpft, um so mehr,
je größer sein Einfluß ist. Auch wer' eine Partei, das ist einen politischen
Gesamtwillen, organisiert oder führt, für einen Kandidaten ,' eine. Partei, eine


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[0074] Geheime öder öffentliche Wahl andrer Dringlichkeitsanträge überhaupt zur Beratung gelangen konnte, in Pest durch ein sogenanntes Ermächtigungsgesetz/ durch das in einer en bloo- Beratung die Obstruktion der Kroaten gebrochen wurde. Die Kroaten ob-- struieren, weil ihnen auf den ihr Land durchziehenden Staatsbahnen die un¬ garische Sprache als Dienstspräche aufgedrängt werden soll. Nach 'dem Charakter des vom Mntevrichtsminifter Grafen Äppottyi für Ungarn durch¬ geführten Untcrrichtsgesetzes > das alle nationalen Schulen der Willkür der ungarischen Behörden überliefert, haben sie alle Ursache, den milden Aus¬ legungen, die der Handelsminister Kossuth seiner Sprachenverordnung für die Staatsbahnen gegeben hat, gründlich zu mißtrauen. Zur Strafe ist der kroa¬ tische Landtag aufgelöst worden, und' das Königreich Kroatien hat seit wenigen Monaten schon den dritten Baums. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß das Ministerium nur darum einen so scharfen Ton gegen die Nationali¬ täten angenommen hat, um seine Mannen unter dem Banner des magyarischen Chauvinismus möglichst zusammenzuhalten, denn unter den alten echten KossuthianerN befanden sich viele, die die Ausgleichsaktion nicht umeinander wollten, und denen der althergebrachte Parteigrundsatz: Los von Osterreich über alle wirtschaftlichen Nöte des Landes ging. Einige zwanzig sind aus der Partei ausgetreten und bereiten Nun neben gewissen Eigenbrötlern, wie Baron Banffy, der immer noch hofft, daß für ihn noch einmal eine neue ministerielle Ära kommen Müsse, dem Ministerium bedeutende Schwierigkeiten. Diese können sehr groß werden, da endlich einmal die Heeresfragen zur Ent¬ scheidung gebracht werden-müssen. Das Kabinett wird sich aber in der Herrschaft zu erhalten suchen; doch sind theatralische Wendungen auch für die nächste Zeit —y— nicht ausgeschlossen. ' - , ^ > - Geheime oder öffentliche lVahl Georg to. Schiele von le Politik ist ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit. Oder vielmehr die Geschäfte der Öffentlichkeit, des gemeinen Wesens, find Politik. Wer sich daran beteiligen will, der muß in das blendende Licht und die scharfe Luft der Öffentlichkeit 'huiüils.-'-'-W "-sei.' 'Reichs-- -oder-' Landtagsabgeördneter, - Stadt¬ verordneter oder Stadtrat, Bürgermeister. Landrat oder Minister, so erfährt er bald, daß der kluge Philister ihn verlacht, umstellt, beschimpft, um so mehr, je größer sein Einfluß ist. Auch wer' eine Partei, das ist einen politischen Gesamtwillen, organisiert oder führt, für einen Kandidaten ,' eine. Partei, eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/74>, abgerufen am 01.05.2024.