Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
(Zeheime oder öffentliche Wahl

Sache öffentlich spricht oder eintritt, der muß in die Öffentlichkeit hinaus, weil
eben die Politik ein eminent öffentliches Geschäft ist. Jeder, der.das wagt,
wird aus der Öffentlichkeit nicht ohne Wunden heimkehren, sein Name/,,sein
Geschäft, seine Gesundheit werden gefährdet und meist verletzt. Wie im
Nibelungenlied keine Helden ohne Wunden, so gibt es auch in der Politik keinen
Krieger ohne Wunden. Die Politik ist der Männerkrieg im Frieden. Wer das
fürchtet, der bleibe bei Muttern und^ überlasse es stärkern Leuten.

Ist aber die Politik ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit, darf
dann der, der ursprünglich die Geschicke des Volkes entscheidet, der Wähler,
vor der Luft der Öffentlichkeit geschützt werden? , ?-


'2',

Wenn ein großes Volk regiert werden soll, so gehört dazu ein mächtiges
Befehlsorgan, ein Willenskörper, wo der höhere Wille immer -dem-.niedern
befiehlt, mit breiter Front nach unten gewandt, aber von oben geleitet von
einem einzigen höchsten Willen, das ist: die Regierung und ihr Beamtenkörper.
So muß es sein, wenn die chaotische Kraft des Volks vernunftmäßig geordnet
und zur Wirkung auf die Wirklichkeit zusammengefaßt werden soll. Nur ein
Wille kann befehlen. ,

Wenn aber ein großes Volk sich selbst regieren will, so muß-vor diesen
Willenskörper, der von oben nach unten befiehlt, ein andrer Willenskörper
treten, der von unten nach oben wählt, in immer wiederholter Wahl, im harten
Gefecht der Meinungen die eine Willensrichtung aus dem Chaos aller Willen
gebiert, die den obersten befehlenden Willen beeinflußt oder geradezu leitet.
Das Wahlrecht ist die Form, das ewig lebendige Parteiwesen ist der Inhalt
dieser Handlung, und das neue Willensorgan, die gewählte Volksvertretung,
ist ihr Resultat. Kleine organische Volksteile, Städte, Kreise, Provinzen, können
diesen Bau des aufsteigenden und absteigenden Willens für die engern Auf¬
gaben der Selbstverwaltung innerhalb des großen Staatswesens wiederholen.


3

Eine Volksvertretung wird nicht nur gewählt, um die Meinungen und
Wünsche des Volkes durch die Wahl möglichst genau, ungefälscht und un¬
geschminkt zum Ausdruck zu bringen; sondern aus der Urwasi soll-schließlich
ein willenskräftiger Verwaltungskörper hervorgehn, der den obersten höchsten
Willen mit ja oder nein entscheidend bestimmt. Freilich die Tyrannis, das
napoleonische Cüsarentum. der Imperialismus will weiter nichts von der Wahl
als eine Photographie, ein getreues Abbild der Meinungen und Wünsche des
Volkes, als totes Material für seine Entschlüsse. Aber die Selbstverwaltung
will keine Photographie von Meinungen, sondern eine Auslese der Willens¬
richtungen, bis im Kampfe der stärkste, reifste und klarste Wille, ein Dauerwille
hervorkommt- Der Cäsar zählt die Stimmen; die Selbstverwaltung WÄnscht ihre


(Zeheime oder öffentliche Wahl

Sache öffentlich spricht oder eintritt, der muß in die Öffentlichkeit hinaus, weil
eben die Politik ein eminent öffentliches Geschäft ist. Jeder, der.das wagt,
wird aus der Öffentlichkeit nicht ohne Wunden heimkehren, sein Name/,,sein
Geschäft, seine Gesundheit werden gefährdet und meist verletzt. Wie im
Nibelungenlied keine Helden ohne Wunden, so gibt es auch in der Politik keinen
Krieger ohne Wunden. Die Politik ist der Männerkrieg im Frieden. Wer das
fürchtet, der bleibe bei Muttern und^ überlasse es stärkern Leuten.

Ist aber die Politik ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit, darf
dann der, der ursprünglich die Geschicke des Volkes entscheidet, der Wähler,
vor der Luft der Öffentlichkeit geschützt werden? , ?-


'2',

Wenn ein großes Volk regiert werden soll, so gehört dazu ein mächtiges
Befehlsorgan, ein Willenskörper, wo der höhere Wille immer -dem-.niedern
befiehlt, mit breiter Front nach unten gewandt, aber von oben geleitet von
einem einzigen höchsten Willen, das ist: die Regierung und ihr Beamtenkörper.
So muß es sein, wenn die chaotische Kraft des Volks vernunftmäßig geordnet
und zur Wirkung auf die Wirklichkeit zusammengefaßt werden soll. Nur ein
Wille kann befehlen. ,

Wenn aber ein großes Volk sich selbst regieren will, so muß-vor diesen
Willenskörper, der von oben nach unten befiehlt, ein andrer Willenskörper
treten, der von unten nach oben wählt, in immer wiederholter Wahl, im harten
Gefecht der Meinungen die eine Willensrichtung aus dem Chaos aller Willen
gebiert, die den obersten befehlenden Willen beeinflußt oder geradezu leitet.
Das Wahlrecht ist die Form, das ewig lebendige Parteiwesen ist der Inhalt
dieser Handlung, und das neue Willensorgan, die gewählte Volksvertretung,
ist ihr Resultat. Kleine organische Volksteile, Städte, Kreise, Provinzen, können
diesen Bau des aufsteigenden und absteigenden Willens für die engern Auf¬
gaben der Selbstverwaltung innerhalb des großen Staatswesens wiederholen.


3

Eine Volksvertretung wird nicht nur gewählt, um die Meinungen und
Wünsche des Volkes durch die Wahl möglichst genau, ungefälscht und un¬
geschminkt zum Ausdruck zu bringen; sondern aus der Urwasi soll-schließlich
ein willenskräftiger Verwaltungskörper hervorgehn, der den obersten höchsten
Willen mit ja oder nein entscheidend bestimmt. Freilich die Tyrannis, das
napoleonische Cüsarentum. der Imperialismus will weiter nichts von der Wahl
als eine Photographie, ein getreues Abbild der Meinungen und Wünsche des
Volkes, als totes Material für seine Entschlüsse. Aber die Selbstverwaltung
will keine Photographie von Meinungen, sondern eine Auslese der Willens¬
richtungen, bis im Kampfe der stärkste, reifste und klarste Wille, ein Dauerwille
hervorkommt- Der Cäsar zählt die Stimmen; die Selbstverwaltung WÄnscht ihre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/309686"/>
            <fw type="header" place="top"> (Zeheime oder öffentliche Wahl</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_240" prev="#ID_239"> Sache öffentlich spricht oder eintritt, der muß in die Öffentlichkeit hinaus, weil<lb/>
eben die Politik ein eminent öffentliches Geschäft ist. Jeder, der.das wagt,<lb/>
wird aus der Öffentlichkeit nicht ohne Wunden heimkehren, sein Name/,,sein<lb/>
Geschäft, seine Gesundheit werden gefährdet und meist verletzt. Wie im<lb/>
Nibelungenlied keine Helden ohne Wunden, so gibt es auch in der Politik keinen<lb/>
Krieger ohne Wunden. Die Politik ist der Männerkrieg im Frieden. Wer das<lb/>
fürchtet, der bleibe bei Muttern und^ überlasse es stärkern Leuten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_241"> Ist aber die Politik ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit, darf<lb/>
dann der, der ursprünglich die Geschicke des Volkes entscheidet, der Wähler,<lb/>
vor der Luft der Öffentlichkeit geschützt werden? , ?-</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> '2',</head><lb/>
            <p xml:id="ID_242"> Wenn ein großes Volk regiert werden soll, so gehört dazu ein mächtiges<lb/>
Befehlsorgan, ein Willenskörper, wo der höhere Wille immer -dem-.niedern<lb/>
befiehlt, mit breiter Front nach unten gewandt, aber von oben geleitet von<lb/>
einem einzigen höchsten Willen, das ist: die Regierung und ihr Beamtenkörper.<lb/>
So muß es sein, wenn die chaotische Kraft des Volks vernunftmäßig geordnet<lb/>
und zur Wirkung auf die Wirklichkeit zusammengefaßt werden soll. Nur ein<lb/>
Wille kann befehlen. ,</p><lb/>
            <p xml:id="ID_243"> Wenn aber ein großes Volk sich selbst regieren will, so muß-vor diesen<lb/>
Willenskörper, der von oben nach unten befiehlt, ein andrer Willenskörper<lb/>
treten, der von unten nach oben wählt, in immer wiederholter Wahl, im harten<lb/>
Gefecht der Meinungen die eine Willensrichtung aus dem Chaos aller Willen<lb/>
gebiert, die den obersten befehlenden Willen beeinflußt oder geradezu leitet.<lb/>
Das Wahlrecht ist die Form, das ewig lebendige Parteiwesen ist der Inhalt<lb/>
dieser Handlung, und das neue Willensorgan, die gewählte Volksvertretung,<lb/>
ist ihr Resultat. Kleine organische Volksteile, Städte, Kreise, Provinzen, können<lb/>
diesen Bau des aufsteigenden und absteigenden Willens für die engern Auf¬<lb/>
gaben der Selbstverwaltung innerhalb des großen Staatswesens wiederholen.</p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head>  3</head><lb/>
            <p xml:id="ID_244" next="#ID_245"> Eine Volksvertretung wird nicht nur gewählt, um die Meinungen und<lb/>
Wünsche des Volkes durch die Wahl möglichst genau, ungefälscht und un¬<lb/>
geschminkt zum Ausdruck zu bringen; sondern aus der Urwasi soll-schließlich<lb/>
ein willenskräftiger Verwaltungskörper hervorgehn, der den obersten höchsten<lb/>
Willen mit ja oder nein entscheidend bestimmt. Freilich die Tyrannis, das<lb/>
napoleonische Cüsarentum. der Imperialismus will weiter nichts von der Wahl<lb/>
als eine Photographie, ein getreues Abbild der Meinungen und Wünsche des<lb/>
Volkes, als totes Material für seine Entschlüsse. Aber die Selbstverwaltung<lb/>
will keine Photographie von Meinungen, sondern eine Auslese der Willens¬<lb/>
richtungen, bis im Kampfe der stärkste, reifste und klarste Wille, ein Dauerwille<lb/>
hervorkommt- Der Cäsar zählt die Stimmen; die Selbstverwaltung WÄnscht ihre</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0075] (Zeheime oder öffentliche Wahl Sache öffentlich spricht oder eintritt, der muß in die Öffentlichkeit hinaus, weil eben die Politik ein eminent öffentliches Geschäft ist. Jeder, der.das wagt, wird aus der Öffentlichkeit nicht ohne Wunden heimkehren, sein Name/,,sein Geschäft, seine Gesundheit werden gefährdet und meist verletzt. Wie im Nibelungenlied keine Helden ohne Wunden, so gibt es auch in der Politik keinen Krieger ohne Wunden. Die Politik ist der Männerkrieg im Frieden. Wer das fürchtet, der bleibe bei Muttern und^ überlasse es stärkern Leuten. Ist aber die Politik ihrer Natur nach ein Geschäft der Öffentlichkeit, darf dann der, der ursprünglich die Geschicke des Volkes entscheidet, der Wähler, vor der Luft der Öffentlichkeit geschützt werden? , ?- '2', Wenn ein großes Volk regiert werden soll, so gehört dazu ein mächtiges Befehlsorgan, ein Willenskörper, wo der höhere Wille immer -dem-.niedern befiehlt, mit breiter Front nach unten gewandt, aber von oben geleitet von einem einzigen höchsten Willen, das ist: die Regierung und ihr Beamtenkörper. So muß es sein, wenn die chaotische Kraft des Volks vernunftmäßig geordnet und zur Wirkung auf die Wirklichkeit zusammengefaßt werden soll. Nur ein Wille kann befehlen. , Wenn aber ein großes Volk sich selbst regieren will, so muß-vor diesen Willenskörper, der von oben nach unten befiehlt, ein andrer Willenskörper treten, der von unten nach oben wählt, in immer wiederholter Wahl, im harten Gefecht der Meinungen die eine Willensrichtung aus dem Chaos aller Willen gebiert, die den obersten befehlenden Willen beeinflußt oder geradezu leitet. Das Wahlrecht ist die Form, das ewig lebendige Parteiwesen ist der Inhalt dieser Handlung, und das neue Willensorgan, die gewählte Volksvertretung, ist ihr Resultat. Kleine organische Volksteile, Städte, Kreise, Provinzen, können diesen Bau des aufsteigenden und absteigenden Willens für die engern Auf¬ gaben der Selbstverwaltung innerhalb des großen Staatswesens wiederholen. 3 Eine Volksvertretung wird nicht nur gewählt, um die Meinungen und Wünsche des Volkes durch die Wahl möglichst genau, ungefälscht und un¬ geschminkt zum Ausdruck zu bringen; sondern aus der Urwasi soll-schließlich ein willenskräftiger Verwaltungskörper hervorgehn, der den obersten höchsten Willen mit ja oder nein entscheidend bestimmt. Freilich die Tyrannis, das napoleonische Cüsarentum. der Imperialismus will weiter nichts von der Wahl als eine Photographie, ein getreues Abbild der Meinungen und Wünsche des Volkes, als totes Material für seine Entschlüsse. Aber die Selbstverwaltung will keine Photographie von Meinungen, sondern eine Auslese der Willens¬ richtungen, bis im Kampfe der stärkste, reifste und klarste Wille, ein Dauerwille hervorkommt- Der Cäsar zählt die Stimmen; die Selbstverwaltung WÄnscht ihre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/75
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 67, 1908, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341887_311740/75>, abgerufen am 01.05.2024.