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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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Der parnassus in Nensiedel

beruhende Ornamentik in der höher entwickelten Plastik ein besser vorbereitetes
Feld als irgendwo anders in Italien vor. Leider aber ist sie nicht zur vollen
Entwicklung gekommen, da die apulische Kunst nach Friedrichs Tode und dem
bald darauf erfolgten Untergang seines Geschlechts rasch dem Verfall entgegen¬
ging. Möglich, daß sie noch unter König Manfred, Friedrichs blondem Lieb¬
lingssohn, dem Erben Apuliens, eine Art Nachblüte erfahren hat. Da aber
alles, was dieser während seiner kurzen Regierungszeit, besonders in der von
ihm gegründeten Stadt Mnnfredonia geschaffen hat, entweder der Zerstörung
anheimgefallen ist oder tief verborgen in spätern Umbauten steckt, so können
wir uns von seiner Tätigkeit kein Bild mehr machen. Das aber, was der
finstre Räuber seines sonnigen Königreichs, Karl von Anjou, und dessen Nach-
solger an Bauwerken in Apulien aufgeführt haben, ist im Vergleich zu den
Denkmälern aus der Normannen- und der Hohenstaufenzeit von untergeordneter
Bedeutung i da es meist sklavischen Anschluß an provenzalische Vorbilder verrät.
Mehr aber noch haben die Anjous der apulischen Kunst dadurch die Lebens¬
kraft unterbunden, daß sie alles, was von dem ihnen verhaßten Geschlecht der
Hohenstaufen herrührte, der Vergessenheit, ja der Vernichtung preiszugeben
versuchten. So mußte es kommen, daß eine Kunst, die früher als irgendeine
andre einen so verheißungsvoller Anfang im Sinne der spätern Frührenaissance
nahm, wieder verkümmerte, während sich das übrige Italien auf demselben
Gebiet zu- immer glänzenden! Leistungen emporgeschwungen hat. Erst heute,
nach sechs Jahrhunderten, hat man den Wert dieser fernen Kunstblüte, in
der sich so treu das bunte Leben des Mittelalters mit seinen Völkerver-
schiclttingen und seiner Romantik, seinen Fahrten ins Heilige Land wider¬
spiegelt, in ihrem eigenartigen Werte erkannt.




Der parnassus in Neusiedel
Fritz Anders von(Fortsetzung)

l an wird Meister Krebs entschuldigen, wenn man erfährt, daß er trotz
des Gebotes seiner lieben Frau am andern Tage, ehe er seine Schritte
zur Villa Seidelbast lenkte, am Weißen Bären nicht vorüber konnte.
Er mußte eintreten, er mußte sich Mut trinken. Und er tat es.

Als er nach geraumer Zeit den Weißen Bären verließ, um zu
l Frau von Seidelbast zu gehn, glänzte sein Gesicht rötlich, seine
Sprache hatte einen jugendlichen Schwung angenommen, und über seinem ganzen
Wesen war eine edle Heiterkeit ausgegossen. Er meldete sich, wurde angenommen
und in das Boudoir der gnädigen Frau eingeführt. >W>

Die gnädige Frau saß in leutseliger Haltung auf ihrem Diwan und war, wie
immer, nicht recht bei der Sache. Auf ein gnädiges Winken nahm der Direktor
sich räuspernd auf einem äußerst gebrechlichen Stuhle ihr gegenüber Platz. Er
räusperte sich abermals, weil er nicht recht wußte, wie anfangen, neigte sein rosiges,
lächelndes Gesicht und schlug mit den Fingern auf dem Deckel seines Zylinderhutes


Der parnassus in Nensiedel

beruhende Ornamentik in der höher entwickelten Plastik ein besser vorbereitetes
Feld als irgendwo anders in Italien vor. Leider aber ist sie nicht zur vollen
Entwicklung gekommen, da die apulische Kunst nach Friedrichs Tode und dem
bald darauf erfolgten Untergang seines Geschlechts rasch dem Verfall entgegen¬
ging. Möglich, daß sie noch unter König Manfred, Friedrichs blondem Lieb¬
lingssohn, dem Erben Apuliens, eine Art Nachblüte erfahren hat. Da aber
alles, was dieser während seiner kurzen Regierungszeit, besonders in der von
ihm gegründeten Stadt Mnnfredonia geschaffen hat, entweder der Zerstörung
anheimgefallen ist oder tief verborgen in spätern Umbauten steckt, so können
wir uns von seiner Tätigkeit kein Bild mehr machen. Das aber, was der
finstre Räuber seines sonnigen Königreichs, Karl von Anjou, und dessen Nach-
solger an Bauwerken in Apulien aufgeführt haben, ist im Vergleich zu den
Denkmälern aus der Normannen- und der Hohenstaufenzeit von untergeordneter
Bedeutung i da es meist sklavischen Anschluß an provenzalische Vorbilder verrät.
Mehr aber noch haben die Anjous der apulischen Kunst dadurch die Lebens¬
kraft unterbunden, daß sie alles, was von dem ihnen verhaßten Geschlecht der
Hohenstaufen herrührte, der Vergessenheit, ja der Vernichtung preiszugeben
versuchten. So mußte es kommen, daß eine Kunst, die früher als irgendeine
andre einen so verheißungsvoller Anfang im Sinne der spätern Frührenaissance
nahm, wieder verkümmerte, während sich das übrige Italien auf demselben
Gebiet zu- immer glänzenden! Leistungen emporgeschwungen hat. Erst heute,
nach sechs Jahrhunderten, hat man den Wert dieser fernen Kunstblüte, in
der sich so treu das bunte Leben des Mittelalters mit seinen Völkerver-
schiclttingen und seiner Romantik, seinen Fahrten ins Heilige Land wider¬
spiegelt, in ihrem eigenartigen Werte erkannt.




Der parnassus in Neusiedel
Fritz Anders von(Fortsetzung)

l an wird Meister Krebs entschuldigen, wenn man erfährt, daß er trotz
des Gebotes seiner lieben Frau am andern Tage, ehe er seine Schritte
zur Villa Seidelbast lenkte, am Weißen Bären nicht vorüber konnte.
Er mußte eintreten, er mußte sich Mut trinken. Und er tat es.

Als er nach geraumer Zeit den Weißen Bären verließ, um zu
l Frau von Seidelbast zu gehn, glänzte sein Gesicht rötlich, seine
Sprache hatte einen jugendlichen Schwung angenommen, und über seinem ganzen
Wesen war eine edle Heiterkeit ausgegossen. Er meldete sich, wurde angenommen
und in das Boudoir der gnädigen Frau eingeführt. >W>

Die gnädige Frau saß in leutseliger Haltung auf ihrem Diwan und war, wie
immer, nicht recht bei der Sache. Auf ein gnädiges Winken nahm der Direktor
sich räuspernd auf einem äußerst gebrechlichen Stuhle ihr gegenüber Platz. Er
räusperte sich abermals, weil er nicht recht wußte, wie anfangen, neigte sein rosiges,
lächelndes Gesicht und schlug mit den Fingern auf dem Deckel seines Zylinderhutes


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[0366] Der parnassus in Nensiedel beruhende Ornamentik in der höher entwickelten Plastik ein besser vorbereitetes Feld als irgendwo anders in Italien vor. Leider aber ist sie nicht zur vollen Entwicklung gekommen, da die apulische Kunst nach Friedrichs Tode und dem bald darauf erfolgten Untergang seines Geschlechts rasch dem Verfall entgegen¬ ging. Möglich, daß sie noch unter König Manfred, Friedrichs blondem Lieb¬ lingssohn, dem Erben Apuliens, eine Art Nachblüte erfahren hat. Da aber alles, was dieser während seiner kurzen Regierungszeit, besonders in der von ihm gegründeten Stadt Mnnfredonia geschaffen hat, entweder der Zerstörung anheimgefallen ist oder tief verborgen in spätern Umbauten steckt, so können wir uns von seiner Tätigkeit kein Bild mehr machen. Das aber, was der finstre Räuber seines sonnigen Königreichs, Karl von Anjou, und dessen Nach- solger an Bauwerken in Apulien aufgeführt haben, ist im Vergleich zu den Denkmälern aus der Normannen- und der Hohenstaufenzeit von untergeordneter Bedeutung i da es meist sklavischen Anschluß an provenzalische Vorbilder verrät. Mehr aber noch haben die Anjous der apulischen Kunst dadurch die Lebens¬ kraft unterbunden, daß sie alles, was von dem ihnen verhaßten Geschlecht der Hohenstaufen herrührte, der Vergessenheit, ja der Vernichtung preiszugeben versuchten. So mußte es kommen, daß eine Kunst, die früher als irgendeine andre einen so verheißungsvoller Anfang im Sinne der spätern Frührenaissance nahm, wieder verkümmerte, während sich das übrige Italien auf demselben Gebiet zu- immer glänzenden! Leistungen emporgeschwungen hat. Erst heute, nach sechs Jahrhunderten, hat man den Wert dieser fernen Kunstblüte, in der sich so treu das bunte Leben des Mittelalters mit seinen Völkerver- schiclttingen und seiner Romantik, seinen Fahrten ins Heilige Land wider¬ spiegelt, in ihrem eigenartigen Werte erkannt. Der parnassus in Neusiedel Fritz Anders von(Fortsetzung) l an wird Meister Krebs entschuldigen, wenn man erfährt, daß er trotz des Gebotes seiner lieben Frau am andern Tage, ehe er seine Schritte zur Villa Seidelbast lenkte, am Weißen Bären nicht vorüber konnte. Er mußte eintreten, er mußte sich Mut trinken. Und er tat es. Als er nach geraumer Zeit den Weißen Bären verließ, um zu l Frau von Seidelbast zu gehn, glänzte sein Gesicht rötlich, seine Sprache hatte einen jugendlichen Schwung angenommen, und über seinem ganzen Wesen war eine edle Heiterkeit ausgegossen. Er meldete sich, wurde angenommen und in das Boudoir der gnädigen Frau eingeführt. >W> Die gnädige Frau saß in leutseliger Haltung auf ihrem Diwan und war, wie immer, nicht recht bei der Sache. Auf ein gnädiges Winken nahm der Direktor sich räuspernd auf einem äußerst gebrechlichen Stuhle ihr gegenüber Platz. Er räusperte sich abermals, weil er nicht recht wußte, wie anfangen, neigte sein rosiges, lächelndes Gesicht und schlug mit den Fingern auf dem Deckel seines Zylinderhutes

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/366>, abgerufen am 06.05.2024.