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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr.

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LatKolica

MA)a es das Land des großen Abfalls ist, in dem der Modernismus
blüht, so darf man bei der Unfähigkeit der italienischen Priester,
modernes Geistesleben zu verstehen, wohl annehmen, daß es eine
verkehrte Kausalverknüpfung französischer Dinge gewesen ist, was
die vatikanischen Blitze des Jahres 1907 verursacht hat: man
hat den Abfall auf die gottlose moderne Theologie zurückgeführt. Bekanntlich
verhält sich die Sache umgekehrt. Der Galloromane ist ein genußfreudiges,
nüchtern verständiges Weltkind; doch ist seinem Temperament eine Dosis
leidenschaftlicher Phantastik beigemischt, die sich auf dem politischen Gebiete in
Übereilungen und revolutionären Konvulsionen äußert und, wenn sie sich aufs
religiöse Gebiet wirft, bald schwärmerische Selbstaufopferung bald Bigotterie
und Fanatismus zeitigt. Solange romantisch angehauchte Aristokraten und
Dynastien, die den kirchlichen Apparat als Stütze ihrer Throne verwandten,
die Gewalt innehalten, nahm die Religion, deren Ausübung teils erzwungen
wurde, teils wenigstens Vorteil brachte, einen viel breitern Raum im äußern
Leben als im Gemüte der Franzosen ein. Nachdem die alten Gewalten durch
Geldmänner, Literaten und Advokaten ersetzt, die äußern Stützen also dem Kirchen¬
wesen entzogen waren, hätte dieses allmählich zusammenbrechen müssen, auch
wenn nicht die Feindschaft der Intellektuellen planvoll an seiner Zertrümmerung
gearbeitet hätte, eine Feindschaft, die besonders durch die widerwärtigen Er¬
scheinungen täppischer Bigotterie, kindischer Wundersucht und unwissenschaftlicher
Blindgläubigkeit zum fanatischen Haß entflammt wurde. Fromme und dabei
gescheite Geistliche, die das einsahen, strebten die Religion dieser höchst unzeit¬
gemäßer Form zu entkleiden und mit dem modernen Denken und Fühlen zu ver¬
söhnen. Die einen studierten die Kantische Philosophie, die andern die deutschen
Bibeltntiker, und da sie nun erkannten, daß sich die katholische Dogmatik nicht
unverändert aufrecht erhalten lasse, so versuchten sie auf der katholischen Seite,
wie Harnack und die Freunde Rades auf der evangelischen, vom Christentum zu
retten, was zu retten ist. Pius aber, der einfältig fromme Bauernpfarrer, fuhr
in seiner falschen Annahme mit seiner Muskelkraft drein. Den Kirchenfeinden
freilich, die schadenfroh lachend zuschauten, konnte die von mönchischen Theologen
geschnitzte Keule nichts tun, aber den wohlmeinenden Freunden der Kirche, den
einzigen in Frankreich, die für das Siechtum der Religion das richtige Heil¬
mittel gefunden hatten, sauste sie auf die Köpfe. Schmerzlich getroffen schreien




LatKolica

MA)a es das Land des großen Abfalls ist, in dem der Modernismus
blüht, so darf man bei der Unfähigkeit der italienischen Priester,
modernes Geistesleben zu verstehen, wohl annehmen, daß es eine
verkehrte Kausalverknüpfung französischer Dinge gewesen ist, was
die vatikanischen Blitze des Jahres 1907 verursacht hat: man
hat den Abfall auf die gottlose moderne Theologie zurückgeführt. Bekanntlich
verhält sich die Sache umgekehrt. Der Galloromane ist ein genußfreudiges,
nüchtern verständiges Weltkind; doch ist seinem Temperament eine Dosis
leidenschaftlicher Phantastik beigemischt, die sich auf dem politischen Gebiete in
Übereilungen und revolutionären Konvulsionen äußert und, wenn sie sich aufs
religiöse Gebiet wirft, bald schwärmerische Selbstaufopferung bald Bigotterie
und Fanatismus zeitigt. Solange romantisch angehauchte Aristokraten und
Dynastien, die den kirchlichen Apparat als Stütze ihrer Throne verwandten,
die Gewalt innehalten, nahm die Religion, deren Ausübung teils erzwungen
wurde, teils wenigstens Vorteil brachte, einen viel breitern Raum im äußern
Leben als im Gemüte der Franzosen ein. Nachdem die alten Gewalten durch
Geldmänner, Literaten und Advokaten ersetzt, die äußern Stützen also dem Kirchen¬
wesen entzogen waren, hätte dieses allmählich zusammenbrechen müssen, auch
wenn nicht die Feindschaft der Intellektuellen planvoll an seiner Zertrümmerung
gearbeitet hätte, eine Feindschaft, die besonders durch die widerwärtigen Er¬
scheinungen täppischer Bigotterie, kindischer Wundersucht und unwissenschaftlicher
Blindgläubigkeit zum fanatischen Haß entflammt wurde. Fromme und dabei
gescheite Geistliche, die das einsahen, strebten die Religion dieser höchst unzeit¬
gemäßer Form zu entkleiden und mit dem modernen Denken und Fühlen zu ver¬
söhnen. Die einen studierten die Kantische Philosophie, die andern die deutschen
Bibeltntiker, und da sie nun erkannten, daß sich die katholische Dogmatik nicht
unverändert aufrecht erhalten lasse, so versuchten sie auf der katholischen Seite,
wie Harnack und die Freunde Rades auf der evangelischen, vom Christentum zu
retten, was zu retten ist. Pius aber, der einfältig fromme Bauernpfarrer, fuhr
in seiner falschen Annahme mit seiner Muskelkraft drein. Den Kirchenfeinden
freilich, die schadenfroh lachend zuschauten, konnte die von mönchischen Theologen
geschnitzte Keule nichts tun, aber den wohlmeinenden Freunden der Kirche, den
einzigen in Frankreich, die für das Siechtum der Religion das richtige Heil¬
mittel gefunden hatten, sauste sie auf die Köpfe. Schmerzlich getroffen schreien


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[0648] [Abbildung] LatKolica MA)a es das Land des großen Abfalls ist, in dem der Modernismus blüht, so darf man bei der Unfähigkeit der italienischen Priester, modernes Geistesleben zu verstehen, wohl annehmen, daß es eine verkehrte Kausalverknüpfung französischer Dinge gewesen ist, was die vatikanischen Blitze des Jahres 1907 verursacht hat: man hat den Abfall auf die gottlose moderne Theologie zurückgeführt. Bekanntlich verhält sich die Sache umgekehrt. Der Galloromane ist ein genußfreudiges, nüchtern verständiges Weltkind; doch ist seinem Temperament eine Dosis leidenschaftlicher Phantastik beigemischt, die sich auf dem politischen Gebiete in Übereilungen und revolutionären Konvulsionen äußert und, wenn sie sich aufs religiöse Gebiet wirft, bald schwärmerische Selbstaufopferung bald Bigotterie und Fanatismus zeitigt. Solange romantisch angehauchte Aristokraten und Dynastien, die den kirchlichen Apparat als Stütze ihrer Throne verwandten, die Gewalt innehalten, nahm die Religion, deren Ausübung teils erzwungen wurde, teils wenigstens Vorteil brachte, einen viel breitern Raum im äußern Leben als im Gemüte der Franzosen ein. Nachdem die alten Gewalten durch Geldmänner, Literaten und Advokaten ersetzt, die äußern Stützen also dem Kirchen¬ wesen entzogen waren, hätte dieses allmählich zusammenbrechen müssen, auch wenn nicht die Feindschaft der Intellektuellen planvoll an seiner Zertrümmerung gearbeitet hätte, eine Feindschaft, die besonders durch die widerwärtigen Er¬ scheinungen täppischer Bigotterie, kindischer Wundersucht und unwissenschaftlicher Blindgläubigkeit zum fanatischen Haß entflammt wurde. Fromme und dabei gescheite Geistliche, die das einsahen, strebten die Religion dieser höchst unzeit¬ gemäßer Form zu entkleiden und mit dem modernen Denken und Fühlen zu ver¬ söhnen. Die einen studierten die Kantische Philosophie, die andern die deutschen Bibeltntiker, und da sie nun erkannten, daß sich die katholische Dogmatik nicht unverändert aufrecht erhalten lasse, so versuchten sie auf der katholischen Seite, wie Harnack und die Freunde Rades auf der evangelischen, vom Christentum zu retten, was zu retten ist. Pius aber, der einfältig fromme Bauernpfarrer, fuhr in seiner falschen Annahme mit seiner Muskelkraft drein. Den Kirchenfeinden freilich, die schadenfroh lachend zuschauten, konnte die von mönchischen Theologen geschnitzte Keule nichts tun, aber den wohlmeinenden Freunden der Kirche, den einzigen in Frankreich, die für das Siechtum der Religion das richtige Heil¬ mittel gefunden hatten, sauste sie auf die Köpfe. Schmerzlich getroffen schreien

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_312350/648>, abgerufen am 05.05.2024.