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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Momme, sagte sie herzlich, laß es dir gut gehn! Wo bleibst du ab? Wir
wissen ja von nichts!

Da sah er sie mit einem wunderlichen Blick an: In Schwabstedt hab ich
eine Stelle.

Was? schrie Boie Mars Hartwich erstaunt auf, na, Momme, da wirst du
merken, was arbeiten ist! Dagegen ist hier bei uns jeder Tag 'n Sonntag,
mein Jung!

Das soll mir nicht leid tun, Uns-Herr! antwortete der Knecht mit ruhiger
Sicherheit und ging mit einem letzten Gruß hinaus.

Draußen nahm er sein Bündel in den Arm und ging mit aufrechtem Haupte
die Werft hinunter; ihm graute nicht vor der Arbeit, die auf ihn wartete. Seit
jenem Sommertag hat es ihm keine Ruhe gelassen; es bohrte unablässig an ihm
herum, es wuchs etwas in ihm hoch -- eine Lust, ein Mut, eine Zuversicht, fest¬
zupacken und festzuhalten. Was? Keine Träume -- Wirklichkeit, Leben, ein wenig
Glück. Und ihnr war, als müßte es ihm anderswo besser gelingen -- vielleicht
wird er ihm etwas helfen, der Wald.---

Ein kurzer Herbsttag neigte sich seinem Ende zu. Bei dem Schein der
sinkenden Sonne stieg ein junger Mensch raschen Schrittes die letzte Höhe vor
dem Walde hinan. Als er oben war, blieb er unwillkürlich steh" und sah hinüber:
unter dein Abendhimmel waren alle bunten Farben wie fortgewischt, in eintöniges
Braun gehüllt lag der Wald da. So kannte er ihn nicht -- das war nicht der
sonnenflimmernde, in hatten lebendigem Grün prangende Sommerwald, der ihn
mit Wundern und Märchen gelockt, der ihn mit Dunkel und Grauen ge¬
ängstigt hatte. Heute führt sein Weg nicht hindurch -- wo links am Waldrand
die ersten Lichter aufblitzen, liegt sein Ziel. Nun biegt er ab ans den Fahrweg,
der gerade auf das Dorf zuführt. Noch einmal wendet er sich und nickt dem
Walde zu: Du sollst sehen, ich gehöre doch hierher! Du sollst sehen, ich zwinge
es doch, das Leben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die innere Krisis und die konservative Partei.)

Wir stehn noch immer in Verhältnissen, deren Entwicklung niemand, und
wäre er noch so tief eingeweiht, voraussehen kann. Nur das eine ist -- leider --
nun vollständig klar, daß auf ein Verbleiben des Fürsten Bülow im Amte nicht
mehr gehofft werden darf. Wenn Fürst Bülow nicht sofort zurückgetreten sse. so
ist das nicht geschehen, weil noch die Hoffnung bestand, eine Wendung der Dinge
herbeizuführen, bei der es dem Reichskanzler möglich gewesen wäre, die Regierung
weiterzuführen, sondern weil er. dem Wunsche des Kaisers gemäß von der
Nnanzreform noch retten sollte, was zu retten war und weil er hoffen durfte
wenigstens das Ärgste zu verhüte". Hätte er sogleich alles hingeworfen und de
neuen Mehrheit das Fe d überlassen, so wäre der Anschein erweckt worden, als sei
diese neue Mehrheit mächtiger, als sie in der Tat ist Sie hatte dann vollständig
freies Spiel gehabt, da alsdann wahrscheinlich auch der Bundesrat infolge der
Parteiverhältnisse in den Einzelstaaten unter der Führung eines neuen Reichs¬
kanzlers nicht die nötige Widerstandskraft gehabt hätte, um eine ihm dargebotne


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Momme, sagte sie herzlich, laß es dir gut gehn! Wo bleibst du ab? Wir
wissen ja von nichts!

Da sah er sie mit einem wunderlichen Blick an: In Schwabstedt hab ich
eine Stelle.

Was? schrie Boie Mars Hartwich erstaunt auf, na, Momme, da wirst du
merken, was arbeiten ist! Dagegen ist hier bei uns jeder Tag 'n Sonntag,
mein Jung!

Das soll mir nicht leid tun, Uns-Herr! antwortete der Knecht mit ruhiger
Sicherheit und ging mit einem letzten Gruß hinaus.

Draußen nahm er sein Bündel in den Arm und ging mit aufrechtem Haupte
die Werft hinunter; ihm graute nicht vor der Arbeit, die auf ihn wartete. Seit
jenem Sommertag hat es ihm keine Ruhe gelassen; es bohrte unablässig an ihm
herum, es wuchs etwas in ihm hoch — eine Lust, ein Mut, eine Zuversicht, fest¬
zupacken und festzuhalten. Was? Keine Träume — Wirklichkeit, Leben, ein wenig
Glück. Und ihnr war, als müßte es ihm anderswo besser gelingen — vielleicht
wird er ihm etwas helfen, der Wald.---

Ein kurzer Herbsttag neigte sich seinem Ende zu. Bei dem Schein der
sinkenden Sonne stieg ein junger Mensch raschen Schrittes die letzte Höhe vor
dem Walde hinan. Als er oben war, blieb er unwillkürlich steh» und sah hinüber:
unter dein Abendhimmel waren alle bunten Farben wie fortgewischt, in eintöniges
Braun gehüllt lag der Wald da. So kannte er ihn nicht — das war nicht der
sonnenflimmernde, in hatten lebendigem Grün prangende Sommerwald, der ihn
mit Wundern und Märchen gelockt, der ihn mit Dunkel und Grauen ge¬
ängstigt hatte. Heute führt sein Weg nicht hindurch — wo links am Waldrand
die ersten Lichter aufblitzen, liegt sein Ziel. Nun biegt er ab ans den Fahrweg,
der gerade auf das Dorf zuführt. Noch einmal wendet er sich und nickt dem
Walde zu: Du sollst sehen, ich gehöre doch hierher! Du sollst sehen, ich zwinge
es doch, das Leben.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die innere Krisis und die konservative Partei.)

Wir stehn noch immer in Verhältnissen, deren Entwicklung niemand, und
wäre er noch so tief eingeweiht, voraussehen kann. Nur das eine ist — leider —
nun vollständig klar, daß auf ein Verbleiben des Fürsten Bülow im Amte nicht
mehr gehofft werden darf. Wenn Fürst Bülow nicht sofort zurückgetreten sse. so
ist das nicht geschehen, weil noch die Hoffnung bestand, eine Wendung der Dinge
herbeizuführen, bei der es dem Reichskanzler möglich gewesen wäre, die Regierung
weiterzuführen, sondern weil er. dem Wunsche des Kaisers gemäß von der
Nnanzreform noch retten sollte, was zu retten war und weil er hoffen durfte
wenigstens das Ärgste zu verhüte». Hätte er sogleich alles hingeworfen und de
neuen Mehrheit das Fe d überlassen, so wäre der Anschein erweckt worden, als sei
diese neue Mehrheit mächtiger, als sie in der Tat ist Sie hatte dann vollständig
freies Spiel gehabt, da alsdann wahrscheinlich auch der Bundesrat infolge der
Parteiverhältnisse in den Einzelstaaten unter der Führung eines neuen Reichs¬
kanzlers nicht die nötige Widerstandskraft gehabt hätte, um eine ihm dargebotne


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[0103] Maßgebliches und Unmaßgebliches Momme, sagte sie herzlich, laß es dir gut gehn! Wo bleibst du ab? Wir wissen ja von nichts! Da sah er sie mit einem wunderlichen Blick an: In Schwabstedt hab ich eine Stelle. Was? schrie Boie Mars Hartwich erstaunt auf, na, Momme, da wirst du merken, was arbeiten ist! Dagegen ist hier bei uns jeder Tag 'n Sonntag, mein Jung! Das soll mir nicht leid tun, Uns-Herr! antwortete der Knecht mit ruhiger Sicherheit und ging mit einem letzten Gruß hinaus. Draußen nahm er sein Bündel in den Arm und ging mit aufrechtem Haupte die Werft hinunter; ihm graute nicht vor der Arbeit, die auf ihn wartete. Seit jenem Sommertag hat es ihm keine Ruhe gelassen; es bohrte unablässig an ihm herum, es wuchs etwas in ihm hoch — eine Lust, ein Mut, eine Zuversicht, fest¬ zupacken und festzuhalten. Was? Keine Träume — Wirklichkeit, Leben, ein wenig Glück. Und ihnr war, als müßte es ihm anderswo besser gelingen — vielleicht wird er ihm etwas helfen, der Wald.--- Ein kurzer Herbsttag neigte sich seinem Ende zu. Bei dem Schein der sinkenden Sonne stieg ein junger Mensch raschen Schrittes die letzte Höhe vor dem Walde hinan. Als er oben war, blieb er unwillkürlich steh» und sah hinüber: unter dein Abendhimmel waren alle bunten Farben wie fortgewischt, in eintöniges Braun gehüllt lag der Wald da. So kannte er ihn nicht — das war nicht der sonnenflimmernde, in hatten lebendigem Grün prangende Sommerwald, der ihn mit Wundern und Märchen gelockt, der ihn mit Dunkel und Grauen ge¬ ängstigt hatte. Heute führt sein Weg nicht hindurch — wo links am Waldrand die ersten Lichter aufblitzen, liegt sein Ziel. Nun biegt er ab ans den Fahrweg, der gerade auf das Dorf zuführt. Noch einmal wendet er sich und nickt dem Walde zu: Du sollst sehen, ich gehöre doch hierher! Du sollst sehen, ich zwinge es doch, das Leben. Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Die innere Krisis und die konservative Partei.) Wir stehn noch immer in Verhältnissen, deren Entwicklung niemand, und wäre er noch so tief eingeweiht, voraussehen kann. Nur das eine ist — leider — nun vollständig klar, daß auf ein Verbleiben des Fürsten Bülow im Amte nicht mehr gehofft werden darf. Wenn Fürst Bülow nicht sofort zurückgetreten sse. so ist das nicht geschehen, weil noch die Hoffnung bestand, eine Wendung der Dinge herbeizuführen, bei der es dem Reichskanzler möglich gewesen wäre, die Regierung weiterzuführen, sondern weil er. dem Wunsche des Kaisers gemäß von der Nnanzreform noch retten sollte, was zu retten war und weil er hoffen durfte wenigstens das Ärgste zu verhüte». Hätte er sogleich alles hingeworfen und de neuen Mehrheit das Fe d überlassen, so wäre der Anschein erweckt worden, als sei diese neue Mehrheit mächtiger, als sie in der Tat ist Sie hatte dann vollständig freies Spiel gehabt, da alsdann wahrscheinlich auch der Bundesrat infolge der Parteiverhältnisse in den Einzelstaaten unter der Führung eines neuen Reichs¬ kanzlers nicht die nötige Widerstandskraft gehabt hätte, um eine ihm dargebotne

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/103>, abgerufen am 27.04.2024.