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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Johannes "Lalvin in seinen Briefen

Schriftsteller schnell und leicht erwerben. Vollständige Übertragung mit Autor¬
rechten von ungedruckten Romanen, Novellen, Gedichtsammlungen, wissenschaft¬
lichen, politischen oder industriellen Ausarbeitungen usw. Reflektanten werden
um Angabe ihrer Adresse unter Zusicherung ehrenw. Disk. unter 2. X. 199 usw.
gebeten." So sollen Größen gemacht werden, die keine sind, ebenso wie durch
die bereitwillige Drucklegung von Anfängerdichtungen durch geschüftsrührige
Verleger -- man kennt die Namen -- nur blinde Hoffnungen erweckt werden,
die oft genug dem also "Protegierten" und Zahlenden sozial schädlich sind.

Auch die Sensationshascherei mancher illustrierter Zeitschriften spielt
hier hinein -- und das sind gerade die Zeitschriften, die die vielen Kur-
Pfuscheranzeigen verbreiten.

Doch genug, wir sind hier an der Grenze der Pfuscherei, und diese Grenze
ist natürlich oft verschiebbar und nicht immer leicht zu erkennen. Und so
wollen wir Halt machen.

Die Pfuscher wirken lustig weiter, und nur, wenn den "Opfern" prophy¬
laktisch die Augen geöffnet werden, und wenn ihre Bildung gehoben wird,
kann -- ganz allmählich -- der sozialschädlichen Pfuscherei das Wasser ab^
gegraben werden.




Johannes (Lalvin in seinen Briefen

IN 10. Juli dieses Jahres hat die evangelische Welt den vierhundert¬
jährigen Gedenktag der Geburt Calvins gefeiert. Daß dieser Tag
bei uns in Deutschland auch nicht annähernd so unter der Be¬
teiligung aller Volkskreise als ein Jubelfest begangen worden ist
wie 1883 der vierhuudertjährige Geburtstag Luthers, ist begreiflich.
Denn Luther hat nicht nur seiue unvergleichliche Bedeutung als der große
Bahnbrecher der kirchlichen Reformation, sondern wir schauen zu ihm auf als
Zu einer der größten Gestalten unsers Volkes, zu einer der gewaltigsten Ver¬
körperungen deutscher Art. Calvin ist uns seiner Volksart nach ein Fremder,
^ ist Franzose; und auch sein reformatorisches Wirken trägt manchen Zug,
der ihn uns immer fremd erscheinen lassen wird gegenüber den großen Männern
unsrer deutschen Reformationskirche. Calvin ist uns ein Fremder, das müssen
wir aber leider auch mit einer gewissen Beschämung sagen; das Bild Calvins
als des Schöpfers einer abschreckenden Prädestinationslehre, als des düstern
Eiferers für strenge Kirchenzucht, als des in alttestamentlichen Geiste befangnen
Glaubensrichters, der einen Server auf den Scheiterhaufen bringen konnte,
dieses Bild ist sehr einseitig; der ganze, wahre Calvin ist bei uns, auch in
den Kreisen der Theologen, bisher vielfach ein unbekannter Mann gewesen. Das
braucht in Zukunft nicht mehr so zu sein. Denn als wertvollstes Jubiläums-


Johannes «Lalvin in seinen Briefen

Schriftsteller schnell und leicht erwerben. Vollständige Übertragung mit Autor¬
rechten von ungedruckten Romanen, Novellen, Gedichtsammlungen, wissenschaft¬
lichen, politischen oder industriellen Ausarbeitungen usw. Reflektanten werden
um Angabe ihrer Adresse unter Zusicherung ehrenw. Disk. unter 2. X. 199 usw.
gebeten." So sollen Größen gemacht werden, die keine sind, ebenso wie durch
die bereitwillige Drucklegung von Anfängerdichtungen durch geschüftsrührige
Verleger — man kennt die Namen — nur blinde Hoffnungen erweckt werden,
die oft genug dem also „Protegierten" und Zahlenden sozial schädlich sind.

Auch die Sensationshascherei mancher illustrierter Zeitschriften spielt
hier hinein — und das sind gerade die Zeitschriften, die die vielen Kur-
Pfuscheranzeigen verbreiten.

Doch genug, wir sind hier an der Grenze der Pfuscherei, und diese Grenze
ist natürlich oft verschiebbar und nicht immer leicht zu erkennen. Und so
wollen wir Halt machen.

Die Pfuscher wirken lustig weiter, und nur, wenn den „Opfern" prophy¬
laktisch die Augen geöffnet werden, und wenn ihre Bildung gehoben wird,
kann — ganz allmählich — der sozialschädlichen Pfuscherei das Wasser ab^
gegraben werden.




Johannes (Lalvin in seinen Briefen

IN 10. Juli dieses Jahres hat die evangelische Welt den vierhundert¬
jährigen Gedenktag der Geburt Calvins gefeiert. Daß dieser Tag
bei uns in Deutschland auch nicht annähernd so unter der Be¬
teiligung aller Volkskreise als ein Jubelfest begangen worden ist
wie 1883 der vierhuudertjährige Geburtstag Luthers, ist begreiflich.
Denn Luther hat nicht nur seiue unvergleichliche Bedeutung als der große
Bahnbrecher der kirchlichen Reformation, sondern wir schauen zu ihm auf als
Zu einer der größten Gestalten unsers Volkes, zu einer der gewaltigsten Ver¬
körperungen deutscher Art. Calvin ist uns seiner Volksart nach ein Fremder,
^ ist Franzose; und auch sein reformatorisches Wirken trägt manchen Zug,
der ihn uns immer fremd erscheinen lassen wird gegenüber den großen Männern
unsrer deutschen Reformationskirche. Calvin ist uns ein Fremder, das müssen
wir aber leider auch mit einer gewissen Beschämung sagen; das Bild Calvins
als des Schöpfers einer abschreckenden Prädestinationslehre, als des düstern
Eiferers für strenge Kirchenzucht, als des in alttestamentlichen Geiste befangnen
Glaubensrichters, der einen Server auf den Scheiterhaufen bringen konnte,
dieses Bild ist sehr einseitig; der ganze, wahre Calvin ist bei uns, auch in
den Kreisen der Theologen, bisher vielfach ein unbekannter Mann gewesen. Das
braucht in Zukunft nicht mehr so zu sein. Denn als wertvollstes Jubiläums-


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[0131] Johannes «Lalvin in seinen Briefen Schriftsteller schnell und leicht erwerben. Vollständige Übertragung mit Autor¬ rechten von ungedruckten Romanen, Novellen, Gedichtsammlungen, wissenschaft¬ lichen, politischen oder industriellen Ausarbeitungen usw. Reflektanten werden um Angabe ihrer Adresse unter Zusicherung ehrenw. Disk. unter 2. X. 199 usw. gebeten." So sollen Größen gemacht werden, die keine sind, ebenso wie durch die bereitwillige Drucklegung von Anfängerdichtungen durch geschüftsrührige Verleger — man kennt die Namen — nur blinde Hoffnungen erweckt werden, die oft genug dem also „Protegierten" und Zahlenden sozial schädlich sind. Auch die Sensationshascherei mancher illustrierter Zeitschriften spielt hier hinein — und das sind gerade die Zeitschriften, die die vielen Kur- Pfuscheranzeigen verbreiten. Doch genug, wir sind hier an der Grenze der Pfuscherei, und diese Grenze ist natürlich oft verschiebbar und nicht immer leicht zu erkennen. Und so wollen wir Halt machen. Die Pfuscher wirken lustig weiter, und nur, wenn den „Opfern" prophy¬ laktisch die Augen geöffnet werden, und wenn ihre Bildung gehoben wird, kann — ganz allmählich — der sozialschädlichen Pfuscherei das Wasser ab^ gegraben werden. Johannes (Lalvin in seinen Briefen IN 10. Juli dieses Jahres hat die evangelische Welt den vierhundert¬ jährigen Gedenktag der Geburt Calvins gefeiert. Daß dieser Tag bei uns in Deutschland auch nicht annähernd so unter der Be¬ teiligung aller Volkskreise als ein Jubelfest begangen worden ist wie 1883 der vierhuudertjährige Geburtstag Luthers, ist begreiflich. Denn Luther hat nicht nur seiue unvergleichliche Bedeutung als der große Bahnbrecher der kirchlichen Reformation, sondern wir schauen zu ihm auf als Zu einer der größten Gestalten unsers Volkes, zu einer der gewaltigsten Ver¬ körperungen deutscher Art. Calvin ist uns seiner Volksart nach ein Fremder, ^ ist Franzose; und auch sein reformatorisches Wirken trägt manchen Zug, der ihn uns immer fremd erscheinen lassen wird gegenüber den großen Männern unsrer deutschen Reformationskirche. Calvin ist uns ein Fremder, das müssen wir aber leider auch mit einer gewissen Beschämung sagen; das Bild Calvins als des Schöpfers einer abschreckenden Prädestinationslehre, als des düstern Eiferers für strenge Kirchenzucht, als des in alttestamentlichen Geiste befangnen Glaubensrichters, der einen Server auf den Scheiterhaufen bringen konnte, dieses Bild ist sehr einseitig; der ganze, wahre Calvin ist bei uns, auch in den Kreisen der Theologen, bisher vielfach ein unbekannter Mann gewesen. Das braucht in Zukunft nicht mehr so zu sein. Denn als wertvollstes Jubiläums-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/131>, abgerufen am 28.04.2024.