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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zum fünfhundertjährigem Jubiläum
der Universität Leipzig

in halbes Jahrtausend ist verflossen, seitdem in der damals schon
namhaften Handelsstadt Leipzig, einer deutschen Kolonie neben
dem alten slawischen Fischerdorfe Lipci oder Lipzk, das auch der
deutschen bürgerlichen Niederlassung, wie so häusig im Wenden¬
lande, den Namen gab, von deutschen Magistern und Scholaren,
die vor tschechischer Herrschsucht im Mai 1409 aus dem goldnen Prag hatten
weichen müssen, eine Hochschule begründet wurde, und eben die günstige Ver¬
kehrslage Leipzigs hat sie wohl besonders hergelockt. Wie sie sich auf diesem
unter dem Zwange äußerer Umstünde gelegten Grunde weiter entwickelt hat, das
zu schildern ist hier nicht der Ort. Hier soll nur der Versuch gemacht werden,
großen Zügen festzustellen, was von dieser alten Grundlage in Verfassung
und Lehrbetrieb etwa noch erhalten ist, was anders geworden ist, welche Rolle
die aling, matsr I^vsievsis im deutschen Geistesleben gespielt, wie sie sich zur
Nation, zum Lande Sachsen und seinem Fürstenhause gestellt hat.

Ihre Verfassung war ein Abbild der Prager und diese selbst wieder ein
Abbild der Pariser Universität, nichts Selbständiges, sondern etwas fertig Über¬
tragnes. Die Universität Paris, im zwölften Jahrhundert entstanden, nicht durch
einen Gründungsakt ins Leben gerufen, das stuäiuin schlechtweg, der Stolz
Frankreichs wie das iwxerirun der Deutschlands, das 8g,o6r6otium (hier soviel
wie Papsttum) der Italiens, die Mutter aller nordeuropäischen Universitäten war
etwas sehr verschiednes von den italienischen Universitäten, nicht hauptsächlich
eine Schule für das römische Recht, wie diese, nicht eine Vereinigung von
Scholaren, die sich ihre Lehrer warben, sondern vor allem eine Hochschule für
Philosophie, Theologie und Kirchenrecht und eine Korporation (umveisi^s)
von Magistern dieser Fächer, zu denen das römische Recht und die Medizin
erst später hinzukamen. So waren dort die vier Fakultäten erwachsen unter
ihren wechselnden Dekanen. Die Lehrenden und Lernenden aber gliederten sich


Grenzboten III 1909 20


Zum fünfhundertjährigem Jubiläum
der Universität Leipzig

in halbes Jahrtausend ist verflossen, seitdem in der damals schon
namhaften Handelsstadt Leipzig, einer deutschen Kolonie neben
dem alten slawischen Fischerdorfe Lipci oder Lipzk, das auch der
deutschen bürgerlichen Niederlassung, wie so häusig im Wenden¬
lande, den Namen gab, von deutschen Magistern und Scholaren,
die vor tschechischer Herrschsucht im Mai 1409 aus dem goldnen Prag hatten
weichen müssen, eine Hochschule begründet wurde, und eben die günstige Ver¬
kehrslage Leipzigs hat sie wohl besonders hergelockt. Wie sie sich auf diesem
unter dem Zwange äußerer Umstünde gelegten Grunde weiter entwickelt hat, das
zu schildern ist hier nicht der Ort. Hier soll nur der Versuch gemacht werden,
großen Zügen festzustellen, was von dieser alten Grundlage in Verfassung
und Lehrbetrieb etwa noch erhalten ist, was anders geworden ist, welche Rolle
die aling, matsr I^vsievsis im deutschen Geistesleben gespielt, wie sie sich zur
Nation, zum Lande Sachsen und seinem Fürstenhause gestellt hat.

Ihre Verfassung war ein Abbild der Prager und diese selbst wieder ein
Abbild der Pariser Universität, nichts Selbständiges, sondern etwas fertig Über¬
tragnes. Die Universität Paris, im zwölften Jahrhundert entstanden, nicht durch
einen Gründungsakt ins Leben gerufen, das stuäiuin schlechtweg, der Stolz
Frankreichs wie das iwxerirun der Deutschlands, das 8g,o6r6otium (hier soviel
wie Papsttum) der Italiens, die Mutter aller nordeuropäischen Universitäten war
etwas sehr verschiednes von den italienischen Universitäten, nicht hauptsächlich
eine Schule für das römische Recht, wie diese, nicht eine Vereinigung von
Scholaren, die sich ihre Lehrer warben, sondern vor allem eine Hochschule für
Philosophie, Theologie und Kirchenrecht und eine Korporation (umveisi^s)
von Magistern dieser Fächer, zu denen das römische Recht und die Medizin
erst später hinzukamen. So waren dort die vier Fakultäten erwachsen unter
ihren wechselnden Dekanen. Die Lehrenden und Lernenden aber gliederten sich


Grenzboten III 1909 20
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[0157] [Abbildung] Zum fünfhundertjährigem Jubiläum der Universität Leipzig in halbes Jahrtausend ist verflossen, seitdem in der damals schon namhaften Handelsstadt Leipzig, einer deutschen Kolonie neben dem alten slawischen Fischerdorfe Lipci oder Lipzk, das auch der deutschen bürgerlichen Niederlassung, wie so häusig im Wenden¬ lande, den Namen gab, von deutschen Magistern und Scholaren, die vor tschechischer Herrschsucht im Mai 1409 aus dem goldnen Prag hatten weichen müssen, eine Hochschule begründet wurde, und eben die günstige Ver¬ kehrslage Leipzigs hat sie wohl besonders hergelockt. Wie sie sich auf diesem unter dem Zwange äußerer Umstünde gelegten Grunde weiter entwickelt hat, das zu schildern ist hier nicht der Ort. Hier soll nur der Versuch gemacht werden, großen Zügen festzustellen, was von dieser alten Grundlage in Verfassung und Lehrbetrieb etwa noch erhalten ist, was anders geworden ist, welche Rolle die aling, matsr I^vsievsis im deutschen Geistesleben gespielt, wie sie sich zur Nation, zum Lande Sachsen und seinem Fürstenhause gestellt hat. Ihre Verfassung war ein Abbild der Prager und diese selbst wieder ein Abbild der Pariser Universität, nichts Selbständiges, sondern etwas fertig Über¬ tragnes. Die Universität Paris, im zwölften Jahrhundert entstanden, nicht durch einen Gründungsakt ins Leben gerufen, das stuäiuin schlechtweg, der Stolz Frankreichs wie das iwxerirun der Deutschlands, das 8g,o6r6otium (hier soviel wie Papsttum) der Italiens, die Mutter aller nordeuropäischen Universitäten war etwas sehr verschiednes von den italienischen Universitäten, nicht hauptsächlich eine Schule für das römische Recht, wie diese, nicht eine Vereinigung von Scholaren, die sich ihre Lehrer warben, sondern vor allem eine Hochschule für Philosophie, Theologie und Kirchenrecht und eine Korporation (umveisi^s) von Magistern dieser Fächer, zu denen das römische Recht und die Medizin erst später hinzukamen. So waren dort die vier Fakultäten erwachsen unter ihren wechselnden Dekanen. Die Lehrenden und Lernenden aber gliederten sich Grenzboten III 1909 20

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/157>, abgerufen am 28.04.2024.