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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Europäisch-asiatische Uulturbeziehungen in Innerasien

de Rhins, die mongolische Eroberung in hervorragenden, leider russisch ge-
schriebnen Werken des Petersburger Professors Wilh. Barthold in eindringender
historischer Forschung behandelt worden.

So glänzende Erfolge auch die geographische und historische Forschung
in Zentralasien innerhalb weniger Jahre gewonnen hat, so liegt das er¬
schlossene Gebiet uns doch ziemlich fern. Es fehlte die fruchtbare Beziehung
zum Leben unsrer Zeit. Auch eine Darlegung der gegenwärtigen Lebensver¬
hältnisse sucht man in der genannten Literatur vergeblich. Und doch ist
Turkestan ein Gebiet, das für die politische und wirtschaftliche Entwicklung
Asiens keine geringe Bedeutung haben wird. Das mußte erst auf Grund
einer genauen Kenntnis der Landesnatur, ihrer Entwicklungsmöglichkeiten und
Verkehrsbedingungen sowie der lebendigen Kräfte seiner Bevölkerung dargelegt
werden. In einem vor kurzem erschienenen, verdienstvollen Buche von Professor
Martin Hartmann ist das geschehen. Auf Grund einer geschichtlichen und
kulturgeographischen Schilderung unternimmt er die wirtschaftliche Bedeutung
Turkestans zu schildern.*) Dieses Buch trägt durchaus die frische Farbe des
Lebens; es ist nicht hinter Karten und Büchern ausgedacht, sondern beruht
auf der lebendigen Anschauung der Landesnatur. Außerdem ist Hartmann
ein gelehrter Kenner der arabischen und der türkischen Literatur, und seine
Kenntnis der Landessprachen hat ihm das Verständnis der Bevölkerung mehr
als andern erschlossen.




Die wirtschaftliche Bedeutung Turkestans

ist von geographischen
Verhältnissen abhängig, die dem Verkehr zu allen Zeiten in unbegrenzter und
unüberwindlicher Machtvollkommenheit seine Bahnen bestimmt haben. Aber
die Bewegungen der Kultur, die Bedürfnisse des Verkehrs wissen alle
Hemmnisse zu überwinden; seit alter Zeit sind die hohen und schwierigen Pässe
begangen, die über den Wall des Tienschan und Hindukusch führen. Keine
Erscheinung in der Geschichte Asiens ist für die Maßstäbe des Europäers so
befremdend wie die Ausdehnung geschichtlicher Bewegungen über ungeheure
Räume, wobei selbst die scheinbar unüberwindlichen Hindernisse, die der ge¬
waltige Gebirgsbau Asiens bildet, die Wandlung Einzelner wie ganzer Massen
nicht aufgehalten haben.

Für den Bewohner Zentralasiens, dem als ursprünglichen Nomaden das
Wandern im Blute steckt, gibt es keine Schwierigkeiten. Auch die ungeheuern
Entfernungen spielen keine Rolle; der Bewohner Zentralasiens kennt den
Wert der Zeit überhaupt nicht. Je höher die Kultur durch menschliche Arbeit
steigt, desto mehr wird auch die Zeit ein praktischer Wert, desto intensiver die



*) Chinesisch - Turkestan, Geschichte, Verwaltung, Geistesleben und Wirtschaft. Halle,
Gebauer-Schwetschke, 1908,
Europäisch-asiatische Uulturbeziehungen in Innerasien

de Rhins, die mongolische Eroberung in hervorragenden, leider russisch ge-
schriebnen Werken des Petersburger Professors Wilh. Barthold in eindringender
historischer Forschung behandelt worden.

So glänzende Erfolge auch die geographische und historische Forschung
in Zentralasien innerhalb weniger Jahre gewonnen hat, so liegt das er¬
schlossene Gebiet uns doch ziemlich fern. Es fehlte die fruchtbare Beziehung
zum Leben unsrer Zeit. Auch eine Darlegung der gegenwärtigen Lebensver¬
hältnisse sucht man in der genannten Literatur vergeblich. Und doch ist
Turkestan ein Gebiet, das für die politische und wirtschaftliche Entwicklung
Asiens keine geringe Bedeutung haben wird. Das mußte erst auf Grund
einer genauen Kenntnis der Landesnatur, ihrer Entwicklungsmöglichkeiten und
Verkehrsbedingungen sowie der lebendigen Kräfte seiner Bevölkerung dargelegt
werden. In einem vor kurzem erschienenen, verdienstvollen Buche von Professor
Martin Hartmann ist das geschehen. Auf Grund einer geschichtlichen und
kulturgeographischen Schilderung unternimmt er die wirtschaftliche Bedeutung
Turkestans zu schildern.*) Dieses Buch trägt durchaus die frische Farbe des
Lebens; es ist nicht hinter Karten und Büchern ausgedacht, sondern beruht
auf der lebendigen Anschauung der Landesnatur. Außerdem ist Hartmann
ein gelehrter Kenner der arabischen und der türkischen Literatur, und seine
Kenntnis der Landessprachen hat ihm das Verständnis der Bevölkerung mehr
als andern erschlossen.




Die wirtschaftliche Bedeutung Turkestans

ist von geographischen
Verhältnissen abhängig, die dem Verkehr zu allen Zeiten in unbegrenzter und
unüberwindlicher Machtvollkommenheit seine Bahnen bestimmt haben. Aber
die Bewegungen der Kultur, die Bedürfnisse des Verkehrs wissen alle
Hemmnisse zu überwinden; seit alter Zeit sind die hohen und schwierigen Pässe
begangen, die über den Wall des Tienschan und Hindukusch führen. Keine
Erscheinung in der Geschichte Asiens ist für die Maßstäbe des Europäers so
befremdend wie die Ausdehnung geschichtlicher Bewegungen über ungeheure
Räume, wobei selbst die scheinbar unüberwindlichen Hindernisse, die der ge¬
waltige Gebirgsbau Asiens bildet, die Wandlung Einzelner wie ganzer Massen
nicht aufgehalten haben.

Für den Bewohner Zentralasiens, dem als ursprünglichen Nomaden das
Wandern im Blute steckt, gibt es keine Schwierigkeiten. Auch die ungeheuern
Entfernungen spielen keine Rolle; der Bewohner Zentralasiens kennt den
Wert der Zeit überhaupt nicht. Je höher die Kultur durch menschliche Arbeit
steigt, desto mehr wird auch die Zeit ein praktischer Wert, desto intensiver die



*) Chinesisch - Turkestan, Geschichte, Verwaltung, Geistesleben und Wirtschaft. Halle,
Gebauer-Schwetschke, 1908,
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[0172] Europäisch-asiatische Uulturbeziehungen in Innerasien de Rhins, die mongolische Eroberung in hervorragenden, leider russisch ge- schriebnen Werken des Petersburger Professors Wilh. Barthold in eindringender historischer Forschung behandelt worden. So glänzende Erfolge auch die geographische und historische Forschung in Zentralasien innerhalb weniger Jahre gewonnen hat, so liegt das er¬ schlossene Gebiet uns doch ziemlich fern. Es fehlte die fruchtbare Beziehung zum Leben unsrer Zeit. Auch eine Darlegung der gegenwärtigen Lebensver¬ hältnisse sucht man in der genannten Literatur vergeblich. Und doch ist Turkestan ein Gebiet, das für die politische und wirtschaftliche Entwicklung Asiens keine geringe Bedeutung haben wird. Das mußte erst auf Grund einer genauen Kenntnis der Landesnatur, ihrer Entwicklungsmöglichkeiten und Verkehrsbedingungen sowie der lebendigen Kräfte seiner Bevölkerung dargelegt werden. In einem vor kurzem erschienenen, verdienstvollen Buche von Professor Martin Hartmann ist das geschehen. Auf Grund einer geschichtlichen und kulturgeographischen Schilderung unternimmt er die wirtschaftliche Bedeutung Turkestans zu schildern.*) Dieses Buch trägt durchaus die frische Farbe des Lebens; es ist nicht hinter Karten und Büchern ausgedacht, sondern beruht auf der lebendigen Anschauung der Landesnatur. Außerdem ist Hartmann ein gelehrter Kenner der arabischen und der türkischen Literatur, und seine Kenntnis der Landessprachen hat ihm das Verständnis der Bevölkerung mehr als andern erschlossen. Die wirtschaftliche Bedeutung Turkestans ist von geographischen Verhältnissen abhängig, die dem Verkehr zu allen Zeiten in unbegrenzter und unüberwindlicher Machtvollkommenheit seine Bahnen bestimmt haben. Aber die Bewegungen der Kultur, die Bedürfnisse des Verkehrs wissen alle Hemmnisse zu überwinden; seit alter Zeit sind die hohen und schwierigen Pässe begangen, die über den Wall des Tienschan und Hindukusch führen. Keine Erscheinung in der Geschichte Asiens ist für die Maßstäbe des Europäers so befremdend wie die Ausdehnung geschichtlicher Bewegungen über ungeheure Räume, wobei selbst die scheinbar unüberwindlichen Hindernisse, die der ge¬ waltige Gebirgsbau Asiens bildet, die Wandlung Einzelner wie ganzer Massen nicht aufgehalten haben. Für den Bewohner Zentralasiens, dem als ursprünglichen Nomaden das Wandern im Blute steckt, gibt es keine Schwierigkeiten. Auch die ungeheuern Entfernungen spielen keine Rolle; der Bewohner Zentralasiens kennt den Wert der Zeit überhaupt nicht. Je höher die Kultur durch menschliche Arbeit steigt, desto mehr wird auch die Zeit ein praktischer Wert, desto intensiver die *) Chinesisch - Turkestan, Geschichte, Verwaltung, Geistesleben und Wirtschaft. Halle, Gebauer-Schwetschke, 1908,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/172>, abgerufen am 28.04.2024.