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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Das Moderne in Luther

daß die Finanzen nie wieder in Unordnung gerieten; baldige Versammlung
der Generalstände; endlich Abschaffung der keltre? as eavuet. Das sei aber
noch nicht genug; man habe auch volle Freiheit des Denkens und Schreibens,
Bekanntmachung und Besprechung der Finanzen, Zerstörung der Bastille und
der andern Staatsgefängnisse zu verlangen. Aber auch bei Brissot, dem spätern
Führer der Gironde. findet man noch nichts von gegenseitiger Verhetzung der
drei Stände. Neben den Broschüren wirkten die Zeitungen, die sich vorsichtig
genug ausdrückten und wohl meist von der Regierung Unterstützungen empfingen,
auf die öffentliche Meinung nur mäßig ein. Um so nachhaltigem Eindruck
machten die in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren veröffentlichten
Kundgebungen der Parlamente, die Erlasse, die königlichen Antworten und die
Gegenerlasse. So zeigt das Jahr 1787 ein Stürmen und Drängen von seiten
des Volks und eine Arbeitsamkeit der Regierenden, die beide nichts mit stumpfer
Resignation zu tun haben, auch nichts mit düstern Stimmungen, die von den
Historikern dieser Zeit vielfach konstruiert worden sind. Freilich "die Regierung
hat, obwohl ihr die wichtigsten Reformen endlich gelingen, Anlaß übergenug
zu banger Sorge. Für die Nation aber bedeutet dies Jahr neben dem Gewinn
eben dieser Reformen einen mächtigen Schritt vorwärts auf dem Wege zur Be¬
schränkung der Monarchie, auf dem Wege der Freiheit."




Das Moderne in Luther

as ist modern? Wenn wir im Homer Hektors Abschied, des zurück¬
gekehrten Odysseus Gespräche mit Sohn und Gattin oder Walthers
von der Vogelweide politische und Liebeslieder lesen, so ergreift es
uns mit innig schmerzlichem Behagen, weil wir geradeso empfinden
wie die beiden Dichter, von denen der eine vor Jahrhunderten,
der andre vor Jahrtausenden gelebt hat; und wenn der gläubige Christ die Psalmen
betet, so sind es seine eignen Klagen, Bitten und jubelnden Dankergüsse, denen
der Psalmist Worte verleiht. Das Menschenherz hat sich also nicht geändert.
Was sich geändert hat, das ist unser Weltbild und der Apparat unsrer Pro¬
duktions- und Verkehrsmittel. Die Kenntnis des Universums ist berichtigt und
erweitert worden; wir kennen unsern Globus -- ausgenommen sein Inneres --
und die Natur seiner Bestandteile. Wir kennen die Himmelskörper, die Un¬
ermeßlichkeit des Weltraums und was ihn erfüllt. Wir kennen die Prozesse, in
enen sich djx Naturdinge wandeln, und wissen, wie man in diese Prozesse ein¬
em kann, ihren Verlauf nach unsern Wünschen und Bedürfnissen zu lenken.
-u5ir fürchten uns nicht mehr vor Dämonen, sondern kennen die natürlichen
Ursachen der Übel, die uns bedrängen, und wir nehmen nicht mehr zu Zauber¬
formeln unsre Zuflucht, sondern wenden technische Hilfs- und Abwehrmittel an.


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daß die Finanzen nie wieder in Unordnung gerieten; baldige Versammlung
der Generalstände; endlich Abschaffung der keltre? as eavuet. Das sei aber
noch nicht genug; man habe auch volle Freiheit des Denkens und Schreibens,
Bekanntmachung und Besprechung der Finanzen, Zerstörung der Bastille und
der andern Staatsgefängnisse zu verlangen. Aber auch bei Brissot, dem spätern
Führer der Gironde. findet man noch nichts von gegenseitiger Verhetzung der
drei Stände. Neben den Broschüren wirkten die Zeitungen, die sich vorsichtig
genug ausdrückten und wohl meist von der Regierung Unterstützungen empfingen,
auf die öffentliche Meinung nur mäßig ein. Um so nachhaltigem Eindruck
machten die in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren veröffentlichten
Kundgebungen der Parlamente, die Erlasse, die königlichen Antworten und die
Gegenerlasse. So zeigt das Jahr 1787 ein Stürmen und Drängen von seiten
des Volks und eine Arbeitsamkeit der Regierenden, die beide nichts mit stumpfer
Resignation zu tun haben, auch nichts mit düstern Stimmungen, die von den
Historikern dieser Zeit vielfach konstruiert worden sind. Freilich „die Regierung
hat, obwohl ihr die wichtigsten Reformen endlich gelingen, Anlaß übergenug
zu banger Sorge. Für die Nation aber bedeutet dies Jahr neben dem Gewinn
eben dieser Reformen einen mächtigen Schritt vorwärts auf dem Wege zur Be¬
schränkung der Monarchie, auf dem Wege der Freiheit."




Das Moderne in Luther

as ist modern? Wenn wir im Homer Hektors Abschied, des zurück¬
gekehrten Odysseus Gespräche mit Sohn und Gattin oder Walthers
von der Vogelweide politische und Liebeslieder lesen, so ergreift es
uns mit innig schmerzlichem Behagen, weil wir geradeso empfinden
wie die beiden Dichter, von denen der eine vor Jahrhunderten,
der andre vor Jahrtausenden gelebt hat; und wenn der gläubige Christ die Psalmen
betet, so sind es seine eignen Klagen, Bitten und jubelnden Dankergüsse, denen
der Psalmist Worte verleiht. Das Menschenherz hat sich also nicht geändert.
Was sich geändert hat, das ist unser Weltbild und der Apparat unsrer Pro¬
duktions- und Verkehrsmittel. Die Kenntnis des Universums ist berichtigt und
erweitert worden; wir kennen unsern Globus — ausgenommen sein Inneres —
und die Natur seiner Bestandteile. Wir kennen die Himmelskörper, die Un¬
ermeßlichkeit des Weltraums und was ihn erfüllt. Wir kennen die Prozesse, in
enen sich djx Naturdinge wandeln, und wissen, wie man in diese Prozesse ein¬
em kann, ihren Verlauf nach unsern Wünschen und Bedürfnissen zu lenken.
-u5ir fürchten uns nicht mehr vor Dämonen, sondern kennen die natürlichen
Ursachen der Übel, die uns bedrängen, und wir nehmen nicht mehr zu Zauber¬
formeln unsre Zuflucht, sondern wenden technische Hilfs- und Abwehrmittel an.


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[0219] Das Moderne in Luther daß die Finanzen nie wieder in Unordnung gerieten; baldige Versammlung der Generalstände; endlich Abschaffung der keltre? as eavuet. Das sei aber noch nicht genug; man habe auch volle Freiheit des Denkens und Schreibens, Bekanntmachung und Besprechung der Finanzen, Zerstörung der Bastille und der andern Staatsgefängnisse zu verlangen. Aber auch bei Brissot, dem spätern Führer der Gironde. findet man noch nichts von gegenseitiger Verhetzung der drei Stände. Neben den Broschüren wirkten die Zeitungen, die sich vorsichtig genug ausdrückten und wohl meist von der Regierung Unterstützungen empfingen, auf die öffentliche Meinung nur mäßig ein. Um so nachhaltigem Eindruck machten die in Tausenden und Abertausenden von Exemplaren veröffentlichten Kundgebungen der Parlamente, die Erlasse, die königlichen Antworten und die Gegenerlasse. So zeigt das Jahr 1787 ein Stürmen und Drängen von seiten des Volks und eine Arbeitsamkeit der Regierenden, die beide nichts mit stumpfer Resignation zu tun haben, auch nichts mit düstern Stimmungen, die von den Historikern dieser Zeit vielfach konstruiert worden sind. Freilich „die Regierung hat, obwohl ihr die wichtigsten Reformen endlich gelingen, Anlaß übergenug zu banger Sorge. Für die Nation aber bedeutet dies Jahr neben dem Gewinn eben dieser Reformen einen mächtigen Schritt vorwärts auf dem Wege zur Be¬ schränkung der Monarchie, auf dem Wege der Freiheit." Das Moderne in Luther as ist modern? Wenn wir im Homer Hektors Abschied, des zurück¬ gekehrten Odysseus Gespräche mit Sohn und Gattin oder Walthers von der Vogelweide politische und Liebeslieder lesen, so ergreift es uns mit innig schmerzlichem Behagen, weil wir geradeso empfinden wie die beiden Dichter, von denen der eine vor Jahrhunderten, der andre vor Jahrtausenden gelebt hat; und wenn der gläubige Christ die Psalmen betet, so sind es seine eignen Klagen, Bitten und jubelnden Dankergüsse, denen der Psalmist Worte verleiht. Das Menschenherz hat sich also nicht geändert. Was sich geändert hat, das ist unser Weltbild und der Apparat unsrer Pro¬ duktions- und Verkehrsmittel. Die Kenntnis des Universums ist berichtigt und erweitert worden; wir kennen unsern Globus — ausgenommen sein Inneres — und die Natur seiner Bestandteile. Wir kennen die Himmelskörper, die Un¬ ermeßlichkeit des Weltraums und was ihn erfüllt. Wir kennen die Prozesse, in enen sich djx Naturdinge wandeln, und wissen, wie man in diese Prozesse ein¬ em kann, ihren Verlauf nach unsern Wünschen und Bedürfnissen zu lenken. -u5ir fürchten uns nicht mehr vor Dämonen, sondern kennen die natürlichen Ursachen der Übel, die uns bedrängen, und wir nehmen nicht mehr zu Zauber¬ formeln unsre Zuflucht, sondern wenden technische Hilfs- und Abwehrmittel an.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/219>, abgerufen am 27.04.2024.