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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germersheim (Fortsetzung)
5. Die Lchwedenangst

er Schwedenmord und der Hexenbruch -- aus dem verworrnen
Gerede ungebildeter Menschen schuf sich meine Phantasie in jahre¬
langem Grübeln diese Schrecken. Aber wie haben sie mich gequält!
Religionshaß und Zauberwahn, die Schrecken der Bartholomäus¬
nacht und der AutosdafL, der Feuerfolter und des Feuertodes waren
für mich in diesen Worten zusammengedrängt. Die Überlieferungen,
die sich aus der Schwedenzeit in der katholischen Stadt erhalten hatten, gaben mir
eine seltsame Vorstellung von dem stammverwandten nordischen Volk. Ich hörte
da nicht von offnem Kampf. Tücke kämpfte gegen Tücke. Ein Schornsteinfeger
belauschte ein Gespräch schwedischer Soldaten, die in der Bischofsstadt im Quartier
lagen, und erfuhr, daß zu einer bestimmten Nachtstunde die Bürger niedergemacht
und die Stadt geplündert werden sollte. Er teilte dem Rate mit, was er gehört
hatte, und die Bürger kamen den Schweden zuvor und erschlugen auf ein verein¬
bartes Zeichen die Schweden. Ein Bild des Schornsteinfegers soll auf dem Dach
des Hauses, wo er die Schweden belauschte, angebracht gewesen sein. Ich habe
oft vergeblich danach ausgeschaut.

In dieser Erzählung, für die ich später nicht die geringste historische Stütze
fand, besonders aber in den Kommentaren, die ich dazu im Laufe der Jahre hörte,
lebte noch etwas von dem Konfessionshaß des Dreißigjährigen Kriegs. Die Schweden,
ihr König, selbst die Namen Gustav und Adolf wurden, so oft ich von ihnen
sprechen hörte, mit feindlicher Betonung genannt, sodaß ich selbst in meinen ersten
Gymnasialjahren ein Vorurteil gegen das Volk und seinen König hatte und mich
fast unangenehm berührt fühlte, wenn ein Mitschüler Gustav oder Adolf hieß.
Dazu machte sich meine Phantasie ein sonderbares Bild von der körperlichen Er¬
scheinung der Schweden zurecht. In einem engen alten Gäßchen stand im Schau¬
fenster eines kleinen Ladens, wo allerlei Landesprodukte, daneben auch Kolonial¬
waren, Tabak und Zigarren zu haben waren, eine zwerghafte Figur in der Krieger¬
tracht des Dreißigjährigen Kriegs, breitbeinig, rauchend, einen Filzhut mit einer
Straußenfeder auf dem Kopf. Das sei ein Schwede, hörte ich irgendwann irgend¬
wer, sagen, und der Gnon, den wohl mancher Student fröhlich als Perkeo begrüßt
haben mag, diente meiner Phantasie jahrelang als Modell für die skandinavischen
Krieger. Jahrelang weckte mir der Name des nordischen Germanenvolks die Vor¬
stellung kleiner, boshafter, grausamer Menschen, und die schwedischen Zündhölzer,
die damals noch allgemein Säkerhetständstikker hießen, erschienen mir eine Zeit lang
als die charakteristische, unheimliche Gabe eines Volkes, das in Deutschland soviel
gesengt und gebrannt hatte.




Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germersheim (Fortsetzung)
5. Die Lchwedenangst

er Schwedenmord und der Hexenbruch — aus dem verworrnen
Gerede ungebildeter Menschen schuf sich meine Phantasie in jahre¬
langem Grübeln diese Schrecken. Aber wie haben sie mich gequält!
Religionshaß und Zauberwahn, die Schrecken der Bartholomäus¬
nacht und der AutosdafL, der Feuerfolter und des Feuertodes waren
für mich in diesen Worten zusammengedrängt. Die Überlieferungen,
die sich aus der Schwedenzeit in der katholischen Stadt erhalten hatten, gaben mir
eine seltsame Vorstellung von dem stammverwandten nordischen Volk. Ich hörte
da nicht von offnem Kampf. Tücke kämpfte gegen Tücke. Ein Schornsteinfeger
belauschte ein Gespräch schwedischer Soldaten, die in der Bischofsstadt im Quartier
lagen, und erfuhr, daß zu einer bestimmten Nachtstunde die Bürger niedergemacht
und die Stadt geplündert werden sollte. Er teilte dem Rate mit, was er gehört
hatte, und die Bürger kamen den Schweden zuvor und erschlugen auf ein verein¬
bartes Zeichen die Schweden. Ein Bild des Schornsteinfegers soll auf dem Dach
des Hauses, wo er die Schweden belauschte, angebracht gewesen sein. Ich habe
oft vergeblich danach ausgeschaut.

In dieser Erzählung, für die ich später nicht die geringste historische Stütze
fand, besonders aber in den Kommentaren, die ich dazu im Laufe der Jahre hörte,
lebte noch etwas von dem Konfessionshaß des Dreißigjährigen Kriegs. Die Schweden,
ihr König, selbst die Namen Gustav und Adolf wurden, so oft ich von ihnen
sprechen hörte, mit feindlicher Betonung genannt, sodaß ich selbst in meinen ersten
Gymnasialjahren ein Vorurteil gegen das Volk und seinen König hatte und mich
fast unangenehm berührt fühlte, wenn ein Mitschüler Gustav oder Adolf hieß.
Dazu machte sich meine Phantasie ein sonderbares Bild von der körperlichen Er¬
scheinung der Schweden zurecht. In einem engen alten Gäßchen stand im Schau¬
fenster eines kleinen Ladens, wo allerlei Landesprodukte, daneben auch Kolonial¬
waren, Tabak und Zigarren zu haben waren, eine zwerghafte Figur in der Krieger¬
tracht des Dreißigjährigen Kriegs, breitbeinig, rauchend, einen Filzhut mit einer
Straußenfeder auf dem Kopf. Das sei ein Schwede, hörte ich irgendwann irgend¬
wer, sagen, und der Gnon, den wohl mancher Student fröhlich als Perkeo begrüßt
haben mag, diente meiner Phantasie jahrelang als Modell für die skandinavischen
Krieger. Jahrelang weckte mir der Name des nordischen Germanenvolks die Vor¬
stellung kleiner, boshafter, grausamer Menschen, und die schwedischen Zündhölzer,
die damals noch allgemein Säkerhetständstikker hießen, erschienen mir eine Zeit lang
als die charakteristische, unheimliche Gabe eines Volkes, das in Deutschland soviel
gesengt und gebrannt hatte.


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[0236] [Abbildung] Meine Jugend und die Religion von Ludwig Germersheim (Fortsetzung) 5. Die Lchwedenangst er Schwedenmord und der Hexenbruch — aus dem verworrnen Gerede ungebildeter Menschen schuf sich meine Phantasie in jahre¬ langem Grübeln diese Schrecken. Aber wie haben sie mich gequält! Religionshaß und Zauberwahn, die Schrecken der Bartholomäus¬ nacht und der AutosdafL, der Feuerfolter und des Feuertodes waren für mich in diesen Worten zusammengedrängt. Die Überlieferungen, die sich aus der Schwedenzeit in der katholischen Stadt erhalten hatten, gaben mir eine seltsame Vorstellung von dem stammverwandten nordischen Volk. Ich hörte da nicht von offnem Kampf. Tücke kämpfte gegen Tücke. Ein Schornsteinfeger belauschte ein Gespräch schwedischer Soldaten, die in der Bischofsstadt im Quartier lagen, und erfuhr, daß zu einer bestimmten Nachtstunde die Bürger niedergemacht und die Stadt geplündert werden sollte. Er teilte dem Rate mit, was er gehört hatte, und die Bürger kamen den Schweden zuvor und erschlugen auf ein verein¬ bartes Zeichen die Schweden. Ein Bild des Schornsteinfegers soll auf dem Dach des Hauses, wo er die Schweden belauschte, angebracht gewesen sein. Ich habe oft vergeblich danach ausgeschaut. In dieser Erzählung, für die ich später nicht die geringste historische Stütze fand, besonders aber in den Kommentaren, die ich dazu im Laufe der Jahre hörte, lebte noch etwas von dem Konfessionshaß des Dreißigjährigen Kriegs. Die Schweden, ihr König, selbst die Namen Gustav und Adolf wurden, so oft ich von ihnen sprechen hörte, mit feindlicher Betonung genannt, sodaß ich selbst in meinen ersten Gymnasialjahren ein Vorurteil gegen das Volk und seinen König hatte und mich fast unangenehm berührt fühlte, wenn ein Mitschüler Gustav oder Adolf hieß. Dazu machte sich meine Phantasie ein sonderbares Bild von der körperlichen Er¬ scheinung der Schweden zurecht. In einem engen alten Gäßchen stand im Schau¬ fenster eines kleinen Ladens, wo allerlei Landesprodukte, daneben auch Kolonial¬ waren, Tabak und Zigarren zu haben waren, eine zwerghafte Figur in der Krieger¬ tracht des Dreißigjährigen Kriegs, breitbeinig, rauchend, einen Filzhut mit einer Straußenfeder auf dem Kopf. Das sei ein Schwede, hörte ich irgendwann irgend¬ wer, sagen, und der Gnon, den wohl mancher Student fröhlich als Perkeo begrüßt haben mag, diente meiner Phantasie jahrelang als Modell für die skandinavischen Krieger. Jahrelang weckte mir der Name des nordischen Germanenvolks die Vor¬ stellung kleiner, boshafter, grausamer Menschen, und die schwedischen Zündhölzer, die damals noch allgemein Säkerhetständstikker hießen, erschienen mir eine Zeit lang als die charakteristische, unheimliche Gabe eines Volkes, das in Deutschland soviel gesengt und gebrannt hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/236>, abgerufen am 27.04.2024.