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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

sein, durch dessen Maschen das Gold blitzte. Und nun regte sich meine Hand.
Das große Bild war als Ölbild gedacht, und nun mußte auch der Beutel in Öl
gemalt werden: unbeholfne, mit sandiger Ölfarbe gemalte Studien nach einem roten
gehäkelten Geldbeutel waren die lächerliche Maus, die der lange Traum gebar. Von
einem Bilde der rettenden Tat wagte ich nicht einmal zu träumen. Schiff, Ruder¬
gang, Wasser, Wogendrang waren mir zu fremd. Aber es war doch eine wunder¬
schöne Vorstellung von Hilfsbereitschaft und Opfermut in meiner Phantasie heimisch
geworden. Und wenn sie auch nicht zum Bilde wurde, war sie doch ein Fenster,
das so viel Licht in meine Seele ließ, daß das Grauen darin nicht mehr so mächtig
werden konnte wie früher.

Aber es kam wieder mit unholden Schatten und unheimlichem Feuerschein.

(Fortsetzung folgt)




Der rote Hahn Ida Anders palle Rosenkrantz. von Deutsch von
(Fortsetzung)
Zweites Acipitel. Die Stadt

^! le Stadt war eine Provinzstadt mit Bürgermeister, Magistrat, Rat¬
haus und Gewerbeverein, aber eine sehr kleine Stadt. Eigentlich
nur eine einzige Straße, die ihren Ursprung im Osten hatte und
sich zwischen niedrigen einstöckigen Häusern zu einer Verbreiterung
hindurchwand, die Markt genannt wurde, um dann mit einemmal
leingebildet zu werden und zu meinen, sie ginge von einem zentralen
Punkt aus, und ihre Fortsetzung müsse notgedrungen Weststraße heißen, da sie selbst
Oststraße hieß. Also lief die Weststraße der untergehenden Sonne zu, krummer,
zwischen niedrigern Häusern als die Oststraße, aber trotzdem von dem Selbstgefühl
einer Provinzstraße erfüllt, die ein genau acht Hausfronten umfassendes Gäßchen
nach einem kleinen Dorfe aussandte.

Und selbstverständlich hieß dieses Gäßchen Nordstraße; es raubte der ursprüng¬
lichen Hauptstraße einen Teil seiner Kräfte. Diese Hauptstraße wand sich immer
dorfähnlicher an der westlich gelegnen Kirche vorbei, um gerade gegenüber dem
Predigerhause die letzte Anstrengung zu machen und eine wahre Karikatur von einer
Winkelgasse unter dem irreführender Namen Südstraße nach Süden auszuschicken.
Aber damit war die Straße auch am Ende ihrer Kräfte. Die Pflastersteine wurden
spitz und unregelmäßig, die Häuser sanken in die Knie, und kein Mensch war im¬
stande, zu entscheiden, wo die Straße aufhörte und in Chausseemorast überging.

" Das ganze Verkehrssystem glich einer windschiefen Wetterfahne, bei der Norden
nicht Norden war, und Osten nicht Osten gewesen wäre, wenn Norden Norden
gewesen wäre. Das Ganze war dörfliche Eleganz für billiges Geld, und die Apotheke
und das Rathaus repräsentierten die einzigen zweistöckigen Häuser in der ganzen
Herrlichkeit. Nicht einmal König Frederik der Leutselige war auf dem Markte zu
sehen, und keiner der fünf richtigen Kaufleute wohnte an dem lächerlich kleinen recht¬
winkligen Platze. Das Rathaus, das an ein mittelgroßes Kaufmannshaus erinnerte,


Der rote Hahn

sein, durch dessen Maschen das Gold blitzte. Und nun regte sich meine Hand.
Das große Bild war als Ölbild gedacht, und nun mußte auch der Beutel in Öl
gemalt werden: unbeholfne, mit sandiger Ölfarbe gemalte Studien nach einem roten
gehäkelten Geldbeutel waren die lächerliche Maus, die der lange Traum gebar. Von
einem Bilde der rettenden Tat wagte ich nicht einmal zu träumen. Schiff, Ruder¬
gang, Wasser, Wogendrang waren mir zu fremd. Aber es war doch eine wunder¬
schöne Vorstellung von Hilfsbereitschaft und Opfermut in meiner Phantasie heimisch
geworden. Und wenn sie auch nicht zum Bilde wurde, war sie doch ein Fenster,
das so viel Licht in meine Seele ließ, daß das Grauen darin nicht mehr so mächtig
werden konnte wie früher.

Aber es kam wieder mit unholden Schatten und unheimlichem Feuerschein.

(Fortsetzung folgt)




Der rote Hahn Ida Anders palle Rosenkrantz. von Deutsch von
(Fortsetzung)
Zweites Acipitel. Die Stadt

^! le Stadt war eine Provinzstadt mit Bürgermeister, Magistrat, Rat¬
haus und Gewerbeverein, aber eine sehr kleine Stadt. Eigentlich
nur eine einzige Straße, die ihren Ursprung im Osten hatte und
sich zwischen niedrigen einstöckigen Häusern zu einer Verbreiterung
hindurchwand, die Markt genannt wurde, um dann mit einemmal
leingebildet zu werden und zu meinen, sie ginge von einem zentralen
Punkt aus, und ihre Fortsetzung müsse notgedrungen Weststraße heißen, da sie selbst
Oststraße hieß. Also lief die Weststraße der untergehenden Sonne zu, krummer,
zwischen niedrigern Häusern als die Oststraße, aber trotzdem von dem Selbstgefühl
einer Provinzstraße erfüllt, die ein genau acht Hausfronten umfassendes Gäßchen
nach einem kleinen Dorfe aussandte.

Und selbstverständlich hieß dieses Gäßchen Nordstraße; es raubte der ursprüng¬
lichen Hauptstraße einen Teil seiner Kräfte. Diese Hauptstraße wand sich immer
dorfähnlicher an der westlich gelegnen Kirche vorbei, um gerade gegenüber dem
Predigerhause die letzte Anstrengung zu machen und eine wahre Karikatur von einer
Winkelgasse unter dem irreführender Namen Südstraße nach Süden auszuschicken.
Aber damit war die Straße auch am Ende ihrer Kräfte. Die Pflastersteine wurden
spitz und unregelmäßig, die Häuser sanken in die Knie, und kein Mensch war im¬
stande, zu entscheiden, wo die Straße aufhörte und in Chausseemorast überging.

„ Das ganze Verkehrssystem glich einer windschiefen Wetterfahne, bei der Norden
nicht Norden war, und Osten nicht Osten gewesen wäre, wenn Norden Norden
gewesen wäre. Das Ganze war dörfliche Eleganz für billiges Geld, und die Apotheke
und das Rathaus repräsentierten die einzigen zweistöckigen Häuser in der ganzen
Herrlichkeit. Nicht einmal König Frederik der Leutselige war auf dem Markte zu
sehen, und keiner der fünf richtigen Kaufleute wohnte an dem lächerlich kleinen recht¬
winkligen Platze. Das Rathaus, das an ein mittelgroßes Kaufmannshaus erinnerte,


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[0242] Der rote Hahn sein, durch dessen Maschen das Gold blitzte. Und nun regte sich meine Hand. Das große Bild war als Ölbild gedacht, und nun mußte auch der Beutel in Öl gemalt werden: unbeholfne, mit sandiger Ölfarbe gemalte Studien nach einem roten gehäkelten Geldbeutel waren die lächerliche Maus, die der lange Traum gebar. Von einem Bilde der rettenden Tat wagte ich nicht einmal zu träumen. Schiff, Ruder¬ gang, Wasser, Wogendrang waren mir zu fremd. Aber es war doch eine wunder¬ schöne Vorstellung von Hilfsbereitschaft und Opfermut in meiner Phantasie heimisch geworden. Und wenn sie auch nicht zum Bilde wurde, war sie doch ein Fenster, das so viel Licht in meine Seele ließ, daß das Grauen darin nicht mehr so mächtig werden konnte wie früher. Aber es kam wieder mit unholden Schatten und unheimlichem Feuerschein. (Fortsetzung folgt) Der rote Hahn Ida Anders palle Rosenkrantz. von Deutsch von (Fortsetzung) Zweites Acipitel. Die Stadt ^! le Stadt war eine Provinzstadt mit Bürgermeister, Magistrat, Rat¬ haus und Gewerbeverein, aber eine sehr kleine Stadt. Eigentlich nur eine einzige Straße, die ihren Ursprung im Osten hatte und sich zwischen niedrigen einstöckigen Häusern zu einer Verbreiterung hindurchwand, die Markt genannt wurde, um dann mit einemmal leingebildet zu werden und zu meinen, sie ginge von einem zentralen Punkt aus, und ihre Fortsetzung müsse notgedrungen Weststraße heißen, da sie selbst Oststraße hieß. Also lief die Weststraße der untergehenden Sonne zu, krummer, zwischen niedrigern Häusern als die Oststraße, aber trotzdem von dem Selbstgefühl einer Provinzstraße erfüllt, die ein genau acht Hausfronten umfassendes Gäßchen nach einem kleinen Dorfe aussandte. Und selbstverständlich hieß dieses Gäßchen Nordstraße; es raubte der ursprüng¬ lichen Hauptstraße einen Teil seiner Kräfte. Diese Hauptstraße wand sich immer dorfähnlicher an der westlich gelegnen Kirche vorbei, um gerade gegenüber dem Predigerhause die letzte Anstrengung zu machen und eine wahre Karikatur von einer Winkelgasse unter dem irreführender Namen Südstraße nach Süden auszuschicken. Aber damit war die Straße auch am Ende ihrer Kräfte. Die Pflastersteine wurden spitz und unregelmäßig, die Häuser sanken in die Knie, und kein Mensch war im¬ stande, zu entscheiden, wo die Straße aufhörte und in Chausseemorast überging. „ Das ganze Verkehrssystem glich einer windschiefen Wetterfahne, bei der Norden nicht Norden war, und Osten nicht Osten gewesen wäre, wenn Norden Norden gewesen wäre. Das Ganze war dörfliche Eleganz für billiges Geld, und die Apotheke und das Rathaus repräsentierten die einzigen zweistöckigen Häuser in der ganzen Herrlichkeit. Nicht einmal König Frederik der Leutselige war auf dem Markte zu sehen, und keiner der fünf richtigen Kaufleute wohnte an dem lächerlich kleinen recht¬ winkligen Platze. Das Rathaus, das an ein mittelgroßes Kaufmannshaus erinnerte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/242>, abgerufen am 27.04.2024.