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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Zukunft des Vlockgedankens

>er Block ist zertrümmert. Es gibt Leute, die meinen, es werde die
Geschichte nunmehr über den Blockgedanken zur Tagesordnung über¬
gehen als über den Einfall eines geistreichen Diplomaten. Andre
hoffen wenigstens, die Geschichte werde dereinst ihm die Gerechtigkeit
I widerfahren lassen, die ihm die Gegenwart verweigert; mehr aber
wagt selbst der Erdenker der Blockpolitik von ihm nicht zu hoffen. Erscheint es unter
solchen Verhältnissen nicht als verwegner Optimismus, von einer Zukunft des Block¬
gedankens zu sprechen, von einer Zukunft nicht nur in dem Sinne, daß er in einem
oder in zwei Menschenaltern vielleicht einmal wieder aufgegriffen werden könnte,
sondern in dem Sinn einer Wiederbelebung in absehbarer Zeit? Mag sein, daß es
verwegen erscheint! Aber trotzdem möchte ich für diese Auffassung plädieren. !

I. Denn mir will scheinen, daß sich bei nüchterner Betrachtung die Aussichten
des Blockgedankens gar nicht so schlecht stellen. Innere Notwendigkeiten und die
Vernunft der Dinge sprechen für ihn; das Schwergewicht der eignen Interessen
wird die Beteiligten wieder zum Block zurückführen: wir müssen den Block
haben, und darum werden wir ihn wieder bekommen. Diese Erwartung
beruht auf folgender dreifacher Erwägung: die Zertrümmerung des Blocks bedeutet
Wiederherstellung der Zentrumsherrschaft; sie liegt im Interesse keiner bürger¬
lichen Partei außer in dem des Zentrums; sie ist ein nationales Unglück.

1. Für die Zentrumsherrschaft müssen wir uns kurz die möglichen Partei¬
kombinationen im Reichstage vergegenwärtigen. Eine Mehrheit rechts vom
Zentrum ist unmöglich. Sie ist weder als reinkonservative noch auch nur als
Kartellmehrheit in absehbarer Zeit denkbar. Ebenso unmöglich ist aber auch
eine Mehrheit links vom Zentrum. Den utopischen Gedanken des Blocks von
Wassermann bis Bebel müssen wir dabei von vornherein außer acht lassen.
Aber auch mit einer reinliberalen Mehrheit kann nicht im Ernste gerechnet
werden, und der Liberalismus sollte sich keinen Täuschungen über seine Aus¬
sichten hingeben. Die Nationalliberalen verdanken ihre Stärke sicher dem natio¬
nalen, aber nicht dem liberalen Teil ihres Programms. Durch unser modernes
Staatsleben geht ein stark konservativer Zug, dem sich gerade die National¬
liberalen nicht entzogen haben. Die spezifisch liberale Wirtschaftspolitik wird
folgerichtig heute von niemand mehr vertreten; für die Tendenzen unsrer Ver¬
fassungspolitik ist kennzeichnend ein Erstarken des monarchischen Gefühls,




Die Zukunft des Vlockgedankens

>er Block ist zertrümmert. Es gibt Leute, die meinen, es werde die
Geschichte nunmehr über den Blockgedanken zur Tagesordnung über¬
gehen als über den Einfall eines geistreichen Diplomaten. Andre
hoffen wenigstens, die Geschichte werde dereinst ihm die Gerechtigkeit
I widerfahren lassen, die ihm die Gegenwart verweigert; mehr aber
wagt selbst der Erdenker der Blockpolitik von ihm nicht zu hoffen. Erscheint es unter
solchen Verhältnissen nicht als verwegner Optimismus, von einer Zukunft des Block¬
gedankens zu sprechen, von einer Zukunft nicht nur in dem Sinne, daß er in einem
oder in zwei Menschenaltern vielleicht einmal wieder aufgegriffen werden könnte,
sondern in dem Sinn einer Wiederbelebung in absehbarer Zeit? Mag sein, daß es
verwegen erscheint! Aber trotzdem möchte ich für diese Auffassung plädieren. !

I. Denn mir will scheinen, daß sich bei nüchterner Betrachtung die Aussichten
des Blockgedankens gar nicht so schlecht stellen. Innere Notwendigkeiten und die
Vernunft der Dinge sprechen für ihn; das Schwergewicht der eignen Interessen
wird die Beteiligten wieder zum Block zurückführen: wir müssen den Block
haben, und darum werden wir ihn wieder bekommen. Diese Erwartung
beruht auf folgender dreifacher Erwägung: die Zertrümmerung des Blocks bedeutet
Wiederherstellung der Zentrumsherrschaft; sie liegt im Interesse keiner bürger¬
lichen Partei außer in dem des Zentrums; sie ist ein nationales Unglück.

1. Für die Zentrumsherrschaft müssen wir uns kurz die möglichen Partei¬
kombinationen im Reichstage vergegenwärtigen. Eine Mehrheit rechts vom
Zentrum ist unmöglich. Sie ist weder als reinkonservative noch auch nur als
Kartellmehrheit in absehbarer Zeit denkbar. Ebenso unmöglich ist aber auch
eine Mehrheit links vom Zentrum. Den utopischen Gedanken des Blocks von
Wassermann bis Bebel müssen wir dabei von vornherein außer acht lassen.
Aber auch mit einer reinliberalen Mehrheit kann nicht im Ernste gerechnet
werden, und der Liberalismus sollte sich keinen Täuschungen über seine Aus¬
sichten hingeben. Die Nationalliberalen verdanken ihre Stärke sicher dem natio¬
nalen, aber nicht dem liberalen Teil ihres Programms. Durch unser modernes
Staatsleben geht ein stark konservativer Zug, dem sich gerade die National¬
liberalen nicht entzogen haben. Die spezifisch liberale Wirtschaftspolitik wird
folgerichtig heute von niemand mehr vertreten; für die Tendenzen unsrer Ver¬
fassungspolitik ist kennzeichnend ein Erstarken des monarchischen Gefühls,


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[0253] [Abbildung] Die Zukunft des Vlockgedankens >er Block ist zertrümmert. Es gibt Leute, die meinen, es werde die Geschichte nunmehr über den Blockgedanken zur Tagesordnung über¬ gehen als über den Einfall eines geistreichen Diplomaten. Andre hoffen wenigstens, die Geschichte werde dereinst ihm die Gerechtigkeit I widerfahren lassen, die ihm die Gegenwart verweigert; mehr aber wagt selbst der Erdenker der Blockpolitik von ihm nicht zu hoffen. Erscheint es unter solchen Verhältnissen nicht als verwegner Optimismus, von einer Zukunft des Block¬ gedankens zu sprechen, von einer Zukunft nicht nur in dem Sinne, daß er in einem oder in zwei Menschenaltern vielleicht einmal wieder aufgegriffen werden könnte, sondern in dem Sinn einer Wiederbelebung in absehbarer Zeit? Mag sein, daß es verwegen erscheint! Aber trotzdem möchte ich für diese Auffassung plädieren. ! I. Denn mir will scheinen, daß sich bei nüchterner Betrachtung die Aussichten des Blockgedankens gar nicht so schlecht stellen. Innere Notwendigkeiten und die Vernunft der Dinge sprechen für ihn; das Schwergewicht der eignen Interessen wird die Beteiligten wieder zum Block zurückführen: wir müssen den Block haben, und darum werden wir ihn wieder bekommen. Diese Erwartung beruht auf folgender dreifacher Erwägung: die Zertrümmerung des Blocks bedeutet Wiederherstellung der Zentrumsherrschaft; sie liegt im Interesse keiner bürger¬ lichen Partei außer in dem des Zentrums; sie ist ein nationales Unglück. 1. Für die Zentrumsherrschaft müssen wir uns kurz die möglichen Partei¬ kombinationen im Reichstage vergegenwärtigen. Eine Mehrheit rechts vom Zentrum ist unmöglich. Sie ist weder als reinkonservative noch auch nur als Kartellmehrheit in absehbarer Zeit denkbar. Ebenso unmöglich ist aber auch eine Mehrheit links vom Zentrum. Den utopischen Gedanken des Blocks von Wassermann bis Bebel müssen wir dabei von vornherein außer acht lassen. Aber auch mit einer reinliberalen Mehrheit kann nicht im Ernste gerechnet werden, und der Liberalismus sollte sich keinen Täuschungen über seine Aus¬ sichten hingeben. Die Nationalliberalen verdanken ihre Stärke sicher dem natio¬ nalen, aber nicht dem liberalen Teil ihres Programms. Durch unser modernes Staatsleben geht ein stark konservativer Zug, dem sich gerade die National¬ liberalen nicht entzogen haben. Die spezifisch liberale Wirtschaftspolitik wird folgerichtig heute von niemand mehr vertreten; für die Tendenzen unsrer Ver¬ fassungspolitik ist kennzeichnend ein Erstarken des monarchischen Gefühls,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/253>, abgerufen am 27.04.2024.