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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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literarische Rundschau

ihrer Meinung von jeher vom allgemeinsten Nutzen nicht nur für sie gewesen,
sondern auch die übrige Menschheit hat davon immer profitiert. Daß ihnen ein
höherer Verstand als "der gesunde Menschellverstand" hie und da mehr Vorteile
gebracht hat, tut nichts zur Sache. Der Brite nimmt eben die Dinge, wie
sie sind -- und denkt vor allem an sich selbst.




Literarische Rundschau
von Heinrich Spiero

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AH^>er Kampf, mit dem die sogenannte Moderne, richtiger der neu¬
deutsche Impressionismus, in den achtziger Jahren einsetzte,
richtete sich unter andern: vornehmlich auch gegen den damals
noch auf der Höhe seiner Verbreitung stehenden archäologischen
Roman. Völlig war in dem damals üblichen Schema verloren
gegangen, was doch immer wieder allein dem historischen Roman seine Be¬
rechtigung gibt: daß er vor allem Dichtung und nur Dichtung ist, daß, wie
Adolf Stern sagt, "unbeseelte Sittenschilderungen" in Leitartikel oder schlichte
Charakteristiken von Land und Leuten gehören, allein aber nicht einen Roman
zu tragen vermögen. Wie das denn immer so geht, verfiel mit den zu Recht
bekämpften Auswüchsen auch die historische Gattung selbst für einen ganzen Zeit¬
raum weithin der Achtung. Nur noch aus dem Leben der Gegenwart, ja nur
noch aus bestimmten Sphären der Umwelt sollte der Romandichter seine Stoffe
schöpfen. Dann verrauschte der erste Schwall, eine neue Romantik, ein neuer
Symbolismus erschienen, dazu kam, mit besondrer Lebhaftigkeit, ein Zug zur
Scholle, zum Boden der Heimat, und ehe man sichs versah, war der geschichtliche
Roman wieder da, erhob sich aufs neue und steht jetzt in einer neuen Blüte.
Wenn ich die Aufsätze durchblättre, die ich im Laufe der letzten sechs Jahre für
die Grenzboten geschrieben habe, so finde ich in ihnen folgende historischen
Romane, Novellen und Erzählungen angezeigt: August Sperls "Die Söhne des
Herrn Budiwoj" (1897) und "Hans Georg Portner" (1902), "Vergangenheit"
(1902) von Charlotte Niese, Julius N. Haarhaus: "Unter dem Krummstab"
(1906), Enricas von Handel-Mazzetti: "Jesse und Maria" (1906), "Camoens"
von Adolf Stern (neue Ausgabe 1907), "Der Hof am Brink", "Das Meer-
minneke" und "Luzifer" von Lulu von Strauß und Torney (1906 und 1907),
Max Eyths "Der Schneider von Ulm" (1907), "Die Geschichten von Garibaldi"
von Ricarda Huch (1906 und 1908, noch unabgeschlossen), "Caspar Hauser" von
Jakob Wassermann (1908), endlich Jakob Julius Davids historische Novellen
aus verwirrter Zeit. Und damit ist die Reihe längst nicht geschlossen. Man


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ihrer Meinung von jeher vom allgemeinsten Nutzen nicht nur für sie gewesen,
sondern auch die übrige Menschheit hat davon immer profitiert. Daß ihnen ein
höherer Verstand als „der gesunde Menschellverstand" hie und da mehr Vorteile
gebracht hat, tut nichts zur Sache. Der Brite nimmt eben die Dinge, wie
sie sind — und denkt vor allem an sich selbst.




Literarische Rundschau
von Heinrich Spiero

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AH^>er Kampf, mit dem die sogenannte Moderne, richtiger der neu¬
deutsche Impressionismus, in den achtziger Jahren einsetzte,
richtete sich unter andern: vornehmlich auch gegen den damals
noch auf der Höhe seiner Verbreitung stehenden archäologischen
Roman. Völlig war in dem damals üblichen Schema verloren
gegangen, was doch immer wieder allein dem historischen Roman seine Be¬
rechtigung gibt: daß er vor allem Dichtung und nur Dichtung ist, daß, wie
Adolf Stern sagt, „unbeseelte Sittenschilderungen" in Leitartikel oder schlichte
Charakteristiken von Land und Leuten gehören, allein aber nicht einen Roman
zu tragen vermögen. Wie das denn immer so geht, verfiel mit den zu Recht
bekämpften Auswüchsen auch die historische Gattung selbst für einen ganzen Zeit¬
raum weithin der Achtung. Nur noch aus dem Leben der Gegenwart, ja nur
noch aus bestimmten Sphären der Umwelt sollte der Romandichter seine Stoffe
schöpfen. Dann verrauschte der erste Schwall, eine neue Romantik, ein neuer
Symbolismus erschienen, dazu kam, mit besondrer Lebhaftigkeit, ein Zug zur
Scholle, zum Boden der Heimat, und ehe man sichs versah, war der geschichtliche
Roman wieder da, erhob sich aufs neue und steht jetzt in einer neuen Blüte.
Wenn ich die Aufsätze durchblättre, die ich im Laufe der letzten sechs Jahre für
die Grenzboten geschrieben habe, so finde ich in ihnen folgende historischen
Romane, Novellen und Erzählungen angezeigt: August Sperls „Die Söhne des
Herrn Budiwoj" (1897) und „Hans Georg Portner" (1902), „Vergangenheit"
(1902) von Charlotte Niese, Julius N. Haarhaus: „Unter dem Krummstab"
(1906), Enricas von Handel-Mazzetti: „Jesse und Maria" (1906), „Camoens"
von Adolf Stern (neue Ausgabe 1907), „Der Hof am Brink", „Das Meer-
minneke" und „Luzifer" von Lulu von Strauß und Torney (1906 und 1907),
Max Eyths „Der Schneider von Ulm" (1907), „Die Geschichten von Garibaldi"
von Ricarda Huch (1906 und 1908, noch unabgeschlossen), „Caspar Hauser" von
Jakob Wassermann (1908), endlich Jakob Julius Davids historische Novellen
aus verwirrter Zeit. Und damit ist die Reihe längst nicht geschlossen. Man


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[0265] literarische Rundschau ihrer Meinung von jeher vom allgemeinsten Nutzen nicht nur für sie gewesen, sondern auch die übrige Menschheit hat davon immer profitiert. Daß ihnen ein höherer Verstand als „der gesunde Menschellverstand" hie und da mehr Vorteile gebracht hat, tut nichts zur Sache. Der Brite nimmt eben die Dinge, wie sie sind — und denkt vor allem an sich selbst. Literarische Rundschau von Heinrich Spiero MM» WKZ<S^-M^F AH^>er Kampf, mit dem die sogenannte Moderne, richtiger der neu¬ deutsche Impressionismus, in den achtziger Jahren einsetzte, richtete sich unter andern: vornehmlich auch gegen den damals noch auf der Höhe seiner Verbreitung stehenden archäologischen Roman. Völlig war in dem damals üblichen Schema verloren gegangen, was doch immer wieder allein dem historischen Roman seine Be¬ rechtigung gibt: daß er vor allem Dichtung und nur Dichtung ist, daß, wie Adolf Stern sagt, „unbeseelte Sittenschilderungen" in Leitartikel oder schlichte Charakteristiken von Land und Leuten gehören, allein aber nicht einen Roman zu tragen vermögen. Wie das denn immer so geht, verfiel mit den zu Recht bekämpften Auswüchsen auch die historische Gattung selbst für einen ganzen Zeit¬ raum weithin der Achtung. Nur noch aus dem Leben der Gegenwart, ja nur noch aus bestimmten Sphären der Umwelt sollte der Romandichter seine Stoffe schöpfen. Dann verrauschte der erste Schwall, eine neue Romantik, ein neuer Symbolismus erschienen, dazu kam, mit besondrer Lebhaftigkeit, ein Zug zur Scholle, zum Boden der Heimat, und ehe man sichs versah, war der geschichtliche Roman wieder da, erhob sich aufs neue und steht jetzt in einer neuen Blüte. Wenn ich die Aufsätze durchblättre, die ich im Laufe der letzten sechs Jahre für die Grenzboten geschrieben habe, so finde ich in ihnen folgende historischen Romane, Novellen und Erzählungen angezeigt: August Sperls „Die Söhne des Herrn Budiwoj" (1897) und „Hans Georg Portner" (1902), „Vergangenheit" (1902) von Charlotte Niese, Julius N. Haarhaus: „Unter dem Krummstab" (1906), Enricas von Handel-Mazzetti: „Jesse und Maria" (1906), „Camoens" von Adolf Stern (neue Ausgabe 1907), „Der Hof am Brink", „Das Meer- minneke" und „Luzifer" von Lulu von Strauß und Torney (1906 und 1907), Max Eyths „Der Schneider von Ulm" (1907), „Die Geschichten von Garibaldi" von Ricarda Huch (1906 und 1908, noch unabgeschlossen), „Caspar Hauser" von Jakob Wassermann (1908), endlich Jakob Julius Davids historische Novellen aus verwirrter Zeit. Und damit ist die Reihe längst nicht geschlossen. Man

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/265>, abgerufen am 28.04.2024.