Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Fränkisch > schwäbische Grenzwanderungen

Vor Gottes Thron erscheint. Sein Weg wird nur eben angedeutet, sein Kampf
von den der Eva verblichnen Kindern jetzt schon verheißen.

Hör unsern Eid:
Wir stehen bereit,
Ihn zu verfolgen mit Dolch und Gift,
Mit Verrat, der schwärzer trifft,
Über seiner Asche ihn noch zu lästern.
Hör uns alle zusammen:
Ob wir auch glühen in Haders Flammen,
So oft der Lilith Sohn erscheint,
Empfangen werd er als dein und unser Feind.
Gegen ihn gerüstet
Stehn wir alle vereint,
Ihn wegzuziehn von seinem Ziele.
Tröste dich, Mutter,
Er ist Einer, und wir sind Biele.

Eine düstere Verheißung, mit der das feine Werk ausklingt, das dennoch
ganz in Höhenluft und reizvoll paradiesische Farben getaucht ist, unter all den
Büchern von der historischen und der heutigen Menschheit ein Klang aus den
Geheimnissen ihrer Geburtszeit, aufgefangen in der Seele einer echten und ganz
weiblichen Dichterin.




Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen
von Fritz Gräntz

lürnberg liegt hinter mir. Mit den frischen Farben des Eben¬
erlebten begleiten mich schöne Bilder auf der Fahrt. Sie geht
in südwestlicher Richtung der schwäbischen Grenze zu. Wir haben
das kleine Tal der Rezat gequert und nun auch schon das der
lAltmühl. Das Gespräch eines Mitreisenden lenkt mich ab und
rückt meine Gedanken nach vorn. Es ist wie das plötzliche Umschlagen einer
Magnetnadel. Ich habe es schon oft erlebt, fast auf jeder Reise.

Mein Fahrtgenosse ist ein Bauer aus der Oberpfalz, der nach jahrzehnte¬
langer Trennung die Heimat wiedersehen und dem Töchterchen, das ihn be¬
gleitet, zeigen will. Seine Heimat ist das Ries, seine Vaterstadt Nördlingen,
die Stadt, in der ein neuer Teil meiner Sommerwandrung beginnen soll.
Es ist herzerquickend zu beobachten, wie mit jeder Viertelstunde, die uns dem
Ziele näher bringt, der erst schweigsame Alte gesprächiger, sein etwas stumpf¬
sinniger Gesichtsausdruck lebhafter und fröhlicher wird. Er deutet hinaus auf


Fränkisch > schwäbische Grenzwanderungen

Vor Gottes Thron erscheint. Sein Weg wird nur eben angedeutet, sein Kampf
von den der Eva verblichnen Kindern jetzt schon verheißen.

Hör unsern Eid:
Wir stehen bereit,
Ihn zu verfolgen mit Dolch und Gift,
Mit Verrat, der schwärzer trifft,
Über seiner Asche ihn noch zu lästern.
Hör uns alle zusammen:
Ob wir auch glühen in Haders Flammen,
So oft der Lilith Sohn erscheint,
Empfangen werd er als dein und unser Feind.
Gegen ihn gerüstet
Stehn wir alle vereint,
Ihn wegzuziehn von seinem Ziele.
Tröste dich, Mutter,
Er ist Einer, und wir sind Biele.

Eine düstere Verheißung, mit der das feine Werk ausklingt, das dennoch
ganz in Höhenluft und reizvoll paradiesische Farben getaucht ist, unter all den
Büchern von der historischen und der heutigen Menschheit ein Klang aus den
Geheimnissen ihrer Geburtszeit, aufgefangen in der Seele einer echten und ganz
weiblichen Dichterin.




Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen
von Fritz Gräntz

lürnberg liegt hinter mir. Mit den frischen Farben des Eben¬
erlebten begleiten mich schöne Bilder auf der Fahrt. Sie geht
in südwestlicher Richtung der schwäbischen Grenze zu. Wir haben
das kleine Tal der Rezat gequert und nun auch schon das der
lAltmühl. Das Gespräch eines Mitreisenden lenkt mich ab und
rückt meine Gedanken nach vorn. Es ist wie das plötzliche Umschlagen einer
Magnetnadel. Ich habe es schon oft erlebt, fast auf jeder Reise.

Mein Fahrtgenosse ist ein Bauer aus der Oberpfalz, der nach jahrzehnte¬
langer Trennung die Heimat wiedersehen und dem Töchterchen, das ihn be¬
gleitet, zeigen will. Seine Heimat ist das Ries, seine Vaterstadt Nördlingen,
die Stadt, in der ein neuer Teil meiner Sommerwandrung beginnen soll.
Es ist herzerquickend zu beobachten, wie mit jeder Viertelstunde, die uns dem
Ziele näher bringt, der erst schweigsame Alte gesprächiger, sein etwas stumpf¬
sinniger Gesichtsausdruck lebhafter und fröhlicher wird. Er deutet hinaus auf


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0273" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/313976"/>
          <fw type="header" place="top"> Fränkisch &gt; schwäbische Grenzwanderungen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1133" prev="#ID_1132"> Vor Gottes Thron erscheint. Sein Weg wird nur eben angedeutet, sein Kampf<lb/>
von den der Eva verblichnen Kindern jetzt schon verheißen.</p><lb/>
          <lg xml:id="POEMID_10" type="poem">
            <l> Hör unsern Eid:<lb/>
Wir stehen bereit,<lb/>
Ihn zu verfolgen mit Dolch und Gift,<lb/>
Mit Verrat, der schwärzer trifft,<lb/>
Über seiner Asche ihn noch zu lästern.</l>
            <l> Hör uns alle zusammen:<lb/>
Ob wir auch glühen in Haders Flammen,<lb/>
So oft der Lilith Sohn erscheint,<lb/>
Empfangen werd er als dein und unser Feind.<lb/>
Gegen ihn gerüstet<lb/>
Stehn wir alle vereint,<lb/>
Ihn wegzuziehn von seinem Ziele.<lb/>
Tröste dich, Mutter,<lb/>
Er ist Einer, und wir sind Biele.</l>
          </lg><lb/>
          <p xml:id="ID_1134"> Eine düstere Verheißung, mit der das feine Werk ausklingt, das dennoch<lb/>
ganz in Höhenluft und reizvoll paradiesische Farben getaucht ist, unter all den<lb/>
Büchern von der historischen und der heutigen Menschheit ein Klang aus den<lb/>
Geheimnissen ihrer Geburtszeit, aufgefangen in der Seele einer echten und ganz<lb/>
weiblichen Dichterin.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen<lb/><note type="byline"> von Fritz Gräntz</note></head><lb/>
          <p xml:id="ID_1135"> lürnberg liegt hinter mir. Mit den frischen Farben des Eben¬<lb/>
erlebten begleiten mich schöne Bilder auf der Fahrt. Sie geht<lb/>
in südwestlicher Richtung der schwäbischen Grenze zu. Wir haben<lb/>
das kleine Tal der Rezat gequert und nun auch schon das der<lb/>
lAltmühl. Das Gespräch eines Mitreisenden lenkt mich ab und<lb/>
rückt meine Gedanken nach vorn. Es ist wie das plötzliche Umschlagen einer<lb/>
Magnetnadel. Ich habe es schon oft erlebt, fast auf jeder Reise.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1136" next="#ID_1137"> Mein Fahrtgenosse ist ein Bauer aus der Oberpfalz, der nach jahrzehnte¬<lb/>
langer Trennung die Heimat wiedersehen und dem Töchterchen, das ihn be¬<lb/>
gleitet, zeigen will. Seine Heimat ist das Ries, seine Vaterstadt Nördlingen,<lb/>
die Stadt, in der ein neuer Teil meiner Sommerwandrung beginnen soll.<lb/>
Es ist herzerquickend zu beobachten, wie mit jeder Viertelstunde, die uns dem<lb/>
Ziele näher bringt, der erst schweigsame Alte gesprächiger, sein etwas stumpf¬<lb/>
sinniger Gesichtsausdruck lebhafter und fröhlicher wird. Er deutet hinaus auf</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0273] Fränkisch > schwäbische Grenzwanderungen Vor Gottes Thron erscheint. Sein Weg wird nur eben angedeutet, sein Kampf von den der Eva verblichnen Kindern jetzt schon verheißen. Hör unsern Eid: Wir stehen bereit, Ihn zu verfolgen mit Dolch und Gift, Mit Verrat, der schwärzer trifft, Über seiner Asche ihn noch zu lästern. Hör uns alle zusammen: Ob wir auch glühen in Haders Flammen, So oft der Lilith Sohn erscheint, Empfangen werd er als dein und unser Feind. Gegen ihn gerüstet Stehn wir alle vereint, Ihn wegzuziehn von seinem Ziele. Tröste dich, Mutter, Er ist Einer, und wir sind Biele. Eine düstere Verheißung, mit der das feine Werk ausklingt, das dennoch ganz in Höhenluft und reizvoll paradiesische Farben getaucht ist, unter all den Büchern von der historischen und der heutigen Menschheit ein Klang aus den Geheimnissen ihrer Geburtszeit, aufgefangen in der Seele einer echten und ganz weiblichen Dichterin. Fränkisch - schwäbische Grenzwanderungen von Fritz Gräntz lürnberg liegt hinter mir. Mit den frischen Farben des Eben¬ erlebten begleiten mich schöne Bilder auf der Fahrt. Sie geht in südwestlicher Richtung der schwäbischen Grenze zu. Wir haben das kleine Tal der Rezat gequert und nun auch schon das der lAltmühl. Das Gespräch eines Mitreisenden lenkt mich ab und rückt meine Gedanken nach vorn. Es ist wie das plötzliche Umschlagen einer Magnetnadel. Ich habe es schon oft erlebt, fast auf jeder Reise. Mein Fahrtgenosse ist ein Bauer aus der Oberpfalz, der nach jahrzehnte¬ langer Trennung die Heimat wiedersehen und dem Töchterchen, das ihn be¬ gleitet, zeigen will. Seine Heimat ist das Ries, seine Vaterstadt Nördlingen, die Stadt, in der ein neuer Teil meiner Sommerwandrung beginnen soll. Es ist herzerquickend zu beobachten, wie mit jeder Viertelstunde, die uns dem Ziele näher bringt, der erst schweigsame Alte gesprächiger, sein etwas stumpf¬ sinniger Gesichtsausdruck lebhafter und fröhlicher wird. Er deutet hinaus auf

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/273
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/273>, abgerufen am 28.04.2024.