Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Österreichs Grenzschutz gegen Rußland

Ws war ja schon seit einiger Zeit die Rede davon, daß sich
Nußland mit der Absicht trage, in den Anordnungen seines Be¬
festigungssystems wesentliche Änderungen eintreten zu lassen. Die
wiederholt auftretenden Gerüchte ließen sich aber nie recht auf
ihre Zuverlässigkeit prüfen, da ihnen fast immer ein offiziöses
Dementi auf dem Fuße folgte. Erst seitdem vor kurzem der bisherige Chef
des Generalstabes der Armee, General Suchomlinow, das Kriegsministerium
übernommen hat, ist der Schleier der Geheimnisse etwas gelüftet und wenigstens
das eine bekannt geworden, daß die russische Regierung, trotz des Einspruchs
des Generalgouverneurs Skalon in Warschau, die bereits begonnenen Bau¬
arbeiten an den großen Weichselfestungen Warschau, Rooo-Georgiewsk und
Jwangorod eingestellt hat. Es handelte sich bei diesen festen Plätzen haupt¬
sächlich darum, sie durch Belon-und Panzerverstürkungen zu modernisieren und
sie gegen die neuzeitlichen Mittel des Angriffs widerstandsfähig zu machen. Ob
sich nun die für diese Zwecke ausgeworfnen Mittel als unzulänglich erwiesen
oder ob rein strategische Gründe die russische Heeresverwaltung zum Fallenlassen
des alten Grenzschutzes veranlaßt haben, entzieht sich der Beurteilung. Mit
der Tatsache aber wird zu rechnen sein, daß bei einem etwaigen Kriege der
Angreifer in Polen und an den Ufern der Weichsel keinen wesentlichen Wider¬
stand mehr finden wird, sondern daß er bis an den Riemen und den Bug
Vordringen muß, um hier auf die ersten stark befestigten Hindernisse zu stoßend
Vor allem kommt da Brest-Litowsk in Betracht, an dessen Ausbau schon seit
Zwei Jahren gebaut wird, und das nach zuverlässigen Nachrichten zum Haupt-
bollwerk am Zusammenfluß des Bug und des Muchawiec entwickelt werden soll,
um einen vollwertigen Ersatz für die alten Stützpunkte an der Weichsel bilden
zu können. Daneben kommen die großen Befestigungsgruppen Rowno-Dubno-
Luck und die Festungen Podoliens in Betracht, für deren Verstärkung ebenfalls
schon sehr bedeutende Mittel ausgeworfen sind. Alle diese Anlagen haben ihre
Spitze hauptsächlich gegen die benachbarte galizische Grenze gerichtet, von der
angeblich die größte Gefahr im Falle eines Krieges drohen soll. Bei dieser


Grenzboten Ill 1909 88


Österreichs Grenzschutz gegen Rußland

Ws war ja schon seit einiger Zeit die Rede davon, daß sich
Nußland mit der Absicht trage, in den Anordnungen seines Be¬
festigungssystems wesentliche Änderungen eintreten zu lassen. Die
wiederholt auftretenden Gerüchte ließen sich aber nie recht auf
ihre Zuverlässigkeit prüfen, da ihnen fast immer ein offiziöses
Dementi auf dem Fuße folgte. Erst seitdem vor kurzem der bisherige Chef
des Generalstabes der Armee, General Suchomlinow, das Kriegsministerium
übernommen hat, ist der Schleier der Geheimnisse etwas gelüftet und wenigstens
das eine bekannt geworden, daß die russische Regierung, trotz des Einspruchs
des Generalgouverneurs Skalon in Warschau, die bereits begonnenen Bau¬
arbeiten an den großen Weichselfestungen Warschau, Rooo-Georgiewsk und
Jwangorod eingestellt hat. Es handelte sich bei diesen festen Plätzen haupt¬
sächlich darum, sie durch Belon-und Panzerverstürkungen zu modernisieren und
sie gegen die neuzeitlichen Mittel des Angriffs widerstandsfähig zu machen. Ob
sich nun die für diese Zwecke ausgeworfnen Mittel als unzulänglich erwiesen
oder ob rein strategische Gründe die russische Heeresverwaltung zum Fallenlassen
des alten Grenzschutzes veranlaßt haben, entzieht sich der Beurteilung. Mit
der Tatsache aber wird zu rechnen sein, daß bei einem etwaigen Kriege der
Angreifer in Polen und an den Ufern der Weichsel keinen wesentlichen Wider¬
stand mehr finden wird, sondern daß er bis an den Riemen und den Bug
Vordringen muß, um hier auf die ersten stark befestigten Hindernisse zu stoßend
Vor allem kommt da Brest-Litowsk in Betracht, an dessen Ausbau schon seit
Zwei Jahren gebaut wird, und das nach zuverlässigen Nachrichten zum Haupt-
bollwerk am Zusammenfluß des Bug und des Muchawiec entwickelt werden soll,
um einen vollwertigen Ersatz für die alten Stützpunkte an der Weichsel bilden
zu können. Daneben kommen die großen Befestigungsgruppen Rowno-Dubno-
Luck und die Festungen Podoliens in Betracht, für deren Verstärkung ebenfalls
schon sehr bedeutende Mittel ausgeworfen sind. Alle diese Anlagen haben ihre
Spitze hauptsächlich gegen die benachbarte galizische Grenze gerichtet, von der
angeblich die größte Gefahr im Falle eines Krieges drohen soll. Bei dieser


Grenzboten Ill 1909 88
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314002"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341889_313702/figures/grenzboten_341889_313702_314002_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Österreichs Grenzschutz gegen Rußland</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1293" next="#ID_1294"> Ws war ja schon seit einiger Zeit die Rede davon, daß sich<lb/>
Nußland mit der Absicht trage, in den Anordnungen seines Be¬<lb/>
festigungssystems wesentliche Änderungen eintreten zu lassen. Die<lb/>
wiederholt auftretenden Gerüchte ließen sich aber nie recht auf<lb/>
ihre Zuverlässigkeit prüfen, da ihnen fast immer ein offiziöses<lb/>
Dementi auf dem Fuße folgte. Erst seitdem vor kurzem der bisherige Chef<lb/>
des Generalstabes der Armee, General Suchomlinow, das Kriegsministerium<lb/>
übernommen hat, ist der Schleier der Geheimnisse etwas gelüftet und wenigstens<lb/>
das eine bekannt geworden, daß die russische Regierung, trotz des Einspruchs<lb/>
des Generalgouverneurs Skalon in Warschau, die bereits begonnenen Bau¬<lb/>
arbeiten an den großen Weichselfestungen Warschau, Rooo-Georgiewsk und<lb/>
Jwangorod eingestellt hat. Es handelte sich bei diesen festen Plätzen haupt¬<lb/>
sächlich darum, sie durch Belon-und Panzerverstürkungen zu modernisieren und<lb/>
sie gegen die neuzeitlichen Mittel des Angriffs widerstandsfähig zu machen. Ob<lb/>
sich nun die für diese Zwecke ausgeworfnen Mittel als unzulänglich erwiesen<lb/>
oder ob rein strategische Gründe die russische Heeresverwaltung zum Fallenlassen<lb/>
des alten Grenzschutzes veranlaßt haben, entzieht sich der Beurteilung. Mit<lb/>
der Tatsache aber wird zu rechnen sein, daß bei einem etwaigen Kriege der<lb/>
Angreifer in Polen und an den Ufern der Weichsel keinen wesentlichen Wider¬<lb/>
stand mehr finden wird, sondern daß er bis an den Riemen und den Bug<lb/>
Vordringen muß, um hier auf die ersten stark befestigten Hindernisse zu stoßend<lb/>
Vor allem kommt da Brest-Litowsk in Betracht, an dessen Ausbau schon seit<lb/>
Zwei Jahren gebaut wird, und das nach zuverlässigen Nachrichten zum Haupt-<lb/>
bollwerk am Zusammenfluß des Bug und des Muchawiec entwickelt werden soll,<lb/>
um einen vollwertigen Ersatz für die alten Stützpunkte an der Weichsel bilden<lb/>
zu können. Daneben kommen die großen Befestigungsgruppen Rowno-Dubno-<lb/>
Luck und die Festungen Podoliens in Betracht, für deren Verstärkung ebenfalls<lb/>
schon sehr bedeutende Mittel ausgeworfen sind. Alle diese Anlagen haben ihre<lb/>
Spitze hauptsächlich gegen die benachbarte galizische Grenze gerichtet, von der<lb/>
angeblich die größte Gefahr im Falle eines Krieges drohen soll. Bei dieser</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten Ill 1909 88</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0299] [Abbildung] Österreichs Grenzschutz gegen Rußland Ws war ja schon seit einiger Zeit die Rede davon, daß sich Nußland mit der Absicht trage, in den Anordnungen seines Be¬ festigungssystems wesentliche Änderungen eintreten zu lassen. Die wiederholt auftretenden Gerüchte ließen sich aber nie recht auf ihre Zuverlässigkeit prüfen, da ihnen fast immer ein offiziöses Dementi auf dem Fuße folgte. Erst seitdem vor kurzem der bisherige Chef des Generalstabes der Armee, General Suchomlinow, das Kriegsministerium übernommen hat, ist der Schleier der Geheimnisse etwas gelüftet und wenigstens das eine bekannt geworden, daß die russische Regierung, trotz des Einspruchs des Generalgouverneurs Skalon in Warschau, die bereits begonnenen Bau¬ arbeiten an den großen Weichselfestungen Warschau, Rooo-Georgiewsk und Jwangorod eingestellt hat. Es handelte sich bei diesen festen Plätzen haupt¬ sächlich darum, sie durch Belon-und Panzerverstürkungen zu modernisieren und sie gegen die neuzeitlichen Mittel des Angriffs widerstandsfähig zu machen. Ob sich nun die für diese Zwecke ausgeworfnen Mittel als unzulänglich erwiesen oder ob rein strategische Gründe die russische Heeresverwaltung zum Fallenlassen des alten Grenzschutzes veranlaßt haben, entzieht sich der Beurteilung. Mit der Tatsache aber wird zu rechnen sein, daß bei einem etwaigen Kriege der Angreifer in Polen und an den Ufern der Weichsel keinen wesentlichen Wider¬ stand mehr finden wird, sondern daß er bis an den Riemen und den Bug Vordringen muß, um hier auf die ersten stark befestigten Hindernisse zu stoßend Vor allem kommt da Brest-Litowsk in Betracht, an dessen Ausbau schon seit Zwei Jahren gebaut wird, und das nach zuverlässigen Nachrichten zum Haupt- bollwerk am Zusammenfluß des Bug und des Muchawiec entwickelt werden soll, um einen vollwertigen Ersatz für die alten Stützpunkte an der Weichsel bilden zu können. Daneben kommen die großen Befestigungsgruppen Rowno-Dubno- Luck und die Festungen Podoliens in Betracht, für deren Verstärkung ebenfalls schon sehr bedeutende Mittel ausgeworfen sind. Alle diese Anlagen haben ihre Spitze hauptsächlich gegen die benachbarte galizische Grenze gerichtet, von der angeblich die größte Gefahr im Falle eines Krieges drohen soll. Bei dieser Grenzboten Ill 1909 88

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/299
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/299>, abgerufen am 28.04.2024.