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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Meine Jugend und die Religion

zukünftige Wirksamkeit. Andrerseits unterwarf er sich aber auch den öster¬
reichischen Kirchengesetzen von 1874, nachdem er sie selbstverständlich bekämpft
hatte, "und brachte es fertig, daß kaum ein einziger Bischof diesen Gesetzen
Widerstand leistete. Mag sein Patriotismus, mag die Erkenntnis, daß ein andres
Verhalten die Lage der Hierarchie verschlechtern würde, oder endlich die kluge
Rechnung auf die ihm nur zu gut bekannte sschlaffej Verwaltung ihn bestimmt
haben, die Deutschösterreicher durften den Kardinal mit Fug und Recht als
Patrioten feiern und am Abende seines Lebens vergessen, wofür sie ihn früher
gehalten hatten." Schwarzenberg war frei von Bigotterie, ein Feind der geistigen
Dressur, Anhänger der in Rom verworfnen Philosophie seines Lehrers Anton
Günther, aufrichtig fromm und in jeder Beziehung wohlgesinnt. Die vatikanischen
Beschlüsse hat er seinem Klerus im lateinischen Urtext ohne Zusatz bekannt ge¬
geben. "Er hat an die neuen Dogmen, die er entschieden bekämpft hatte,
niemals geglaubt, den Glauben an sie niemandem zugemutet; er fügte sich
stillschweigend, weil er nicht die Kraft besaß öden Mut zum Ungeheuern,
würde ich lieber sagen), offen zu widerstehn, nachdem die übrigen Bischöfe ge¬
fallen waren." Daß Schulte noch ein paar Jahre in freundschaftlichem Ver¬
kehr mit ihm blieb, war schon im ersten Bande berichtet worden. Aber
tschechisiert hat Schwarzenberg in Böhmen, gleich den andern böhmischen
Bischöfen und gleich dem gesamten deutschböhmischen Adel. "In den Deutschen
sah er Liberale, womöglich zum Protestantismus neigende, in den Tschechen
die Unterdrückten. Er teilte den deutschen Erbfehler, sich der angeblich unter¬
drückten interessanten Natiönchen anzunehmen ... Die Deutschen, insbesondre
die deutschen Politiker im Landtage und Neichsrat, tragen einen großen Teil
der Schuld, indem sie, durchweg persönlich völlig indifferent, weder das ge¬
ringste taten, zu einer Besserung der kirchlichen Zustände und der Lage des
Klerus beizutragen, noch den ultramontanen Bestrebungen ein andres Gegen¬
gewicht entgegenzustellen als M überlegnes) Lächeln oder Angriffe in der
jüdischen Presse." ______




Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germersheim (Fortsetzung)
7. Die Hexenangst

c>s Wort Hexe hören die Kinder früh, aber nur als Märchenwort.
Das Märchen hat den Begriff, der in der Geschichte soviel Wahn-
und Leidensschrecken umfaßt, das dunkelste Leideuswort unsrer Sprache,
so harmlos und so komisch gemacht wie das Kasperltheater den Teufel.
Die Hexe ist im Märchen ein drolliges, fast niedliches Ungeheuerchen,
dessen Bosheit durch die überlegne Klugheit guter Menschen und
ihrer Schutzgeister prompt und prächtig vereitelt wird. Man sagt nicht umsonst
Knusperhexe, die Zauberin hat etwas von der Eßbarkeit ihres Knusperhäuschens an


Meine Jugend und die Religion

zukünftige Wirksamkeit. Andrerseits unterwarf er sich aber auch den öster¬
reichischen Kirchengesetzen von 1874, nachdem er sie selbstverständlich bekämpft
hatte, „und brachte es fertig, daß kaum ein einziger Bischof diesen Gesetzen
Widerstand leistete. Mag sein Patriotismus, mag die Erkenntnis, daß ein andres
Verhalten die Lage der Hierarchie verschlechtern würde, oder endlich die kluge
Rechnung auf die ihm nur zu gut bekannte sschlaffej Verwaltung ihn bestimmt
haben, die Deutschösterreicher durften den Kardinal mit Fug und Recht als
Patrioten feiern und am Abende seines Lebens vergessen, wofür sie ihn früher
gehalten hatten." Schwarzenberg war frei von Bigotterie, ein Feind der geistigen
Dressur, Anhänger der in Rom verworfnen Philosophie seines Lehrers Anton
Günther, aufrichtig fromm und in jeder Beziehung wohlgesinnt. Die vatikanischen
Beschlüsse hat er seinem Klerus im lateinischen Urtext ohne Zusatz bekannt ge¬
geben. „Er hat an die neuen Dogmen, die er entschieden bekämpft hatte,
niemals geglaubt, den Glauben an sie niemandem zugemutet; er fügte sich
stillschweigend, weil er nicht die Kraft besaß öden Mut zum Ungeheuern,
würde ich lieber sagen), offen zu widerstehn, nachdem die übrigen Bischöfe ge¬
fallen waren." Daß Schulte noch ein paar Jahre in freundschaftlichem Ver¬
kehr mit ihm blieb, war schon im ersten Bande berichtet worden. Aber
tschechisiert hat Schwarzenberg in Böhmen, gleich den andern böhmischen
Bischöfen und gleich dem gesamten deutschböhmischen Adel. „In den Deutschen
sah er Liberale, womöglich zum Protestantismus neigende, in den Tschechen
die Unterdrückten. Er teilte den deutschen Erbfehler, sich der angeblich unter¬
drückten interessanten Natiönchen anzunehmen ... Die Deutschen, insbesondre
die deutschen Politiker im Landtage und Neichsrat, tragen einen großen Teil
der Schuld, indem sie, durchweg persönlich völlig indifferent, weder das ge¬
ringste taten, zu einer Besserung der kirchlichen Zustände und der Lage des
Klerus beizutragen, noch den ultramontanen Bestrebungen ein andres Gegen¬
gewicht entgegenzustellen als M überlegnes) Lächeln oder Angriffe in der
jüdischen Presse." ______




Meine Jugend und die Religion
von Ludwig Germersheim (Fortsetzung)
7. Die Hexenangst

c>s Wort Hexe hören die Kinder früh, aber nur als Märchenwort.
Das Märchen hat den Begriff, der in der Geschichte soviel Wahn-
und Leidensschrecken umfaßt, das dunkelste Leideuswort unsrer Sprache,
so harmlos und so komisch gemacht wie das Kasperltheater den Teufel.
Die Hexe ist im Märchen ein drolliges, fast niedliches Ungeheuerchen,
dessen Bosheit durch die überlegne Klugheit guter Menschen und
ihrer Schutzgeister prompt und prächtig vereitelt wird. Man sagt nicht umsonst
Knusperhexe, die Zauberin hat etwas von der Eßbarkeit ihres Knusperhäuschens an


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[0325] Meine Jugend und die Religion zukünftige Wirksamkeit. Andrerseits unterwarf er sich aber auch den öster¬ reichischen Kirchengesetzen von 1874, nachdem er sie selbstverständlich bekämpft hatte, „und brachte es fertig, daß kaum ein einziger Bischof diesen Gesetzen Widerstand leistete. Mag sein Patriotismus, mag die Erkenntnis, daß ein andres Verhalten die Lage der Hierarchie verschlechtern würde, oder endlich die kluge Rechnung auf die ihm nur zu gut bekannte sschlaffej Verwaltung ihn bestimmt haben, die Deutschösterreicher durften den Kardinal mit Fug und Recht als Patrioten feiern und am Abende seines Lebens vergessen, wofür sie ihn früher gehalten hatten." Schwarzenberg war frei von Bigotterie, ein Feind der geistigen Dressur, Anhänger der in Rom verworfnen Philosophie seines Lehrers Anton Günther, aufrichtig fromm und in jeder Beziehung wohlgesinnt. Die vatikanischen Beschlüsse hat er seinem Klerus im lateinischen Urtext ohne Zusatz bekannt ge¬ geben. „Er hat an die neuen Dogmen, die er entschieden bekämpft hatte, niemals geglaubt, den Glauben an sie niemandem zugemutet; er fügte sich stillschweigend, weil er nicht die Kraft besaß öden Mut zum Ungeheuern, würde ich lieber sagen), offen zu widerstehn, nachdem die übrigen Bischöfe ge¬ fallen waren." Daß Schulte noch ein paar Jahre in freundschaftlichem Ver¬ kehr mit ihm blieb, war schon im ersten Bande berichtet worden. Aber tschechisiert hat Schwarzenberg in Böhmen, gleich den andern böhmischen Bischöfen und gleich dem gesamten deutschböhmischen Adel. „In den Deutschen sah er Liberale, womöglich zum Protestantismus neigende, in den Tschechen die Unterdrückten. Er teilte den deutschen Erbfehler, sich der angeblich unter¬ drückten interessanten Natiönchen anzunehmen ... Die Deutschen, insbesondre die deutschen Politiker im Landtage und Neichsrat, tragen einen großen Teil der Schuld, indem sie, durchweg persönlich völlig indifferent, weder das ge¬ ringste taten, zu einer Besserung der kirchlichen Zustände und der Lage des Klerus beizutragen, noch den ultramontanen Bestrebungen ein andres Gegen¬ gewicht entgegenzustellen als M überlegnes) Lächeln oder Angriffe in der jüdischen Presse." ______ Meine Jugend und die Religion von Ludwig Germersheim (Fortsetzung) 7. Die Hexenangst c>s Wort Hexe hören die Kinder früh, aber nur als Märchenwort. Das Märchen hat den Begriff, der in der Geschichte soviel Wahn- und Leidensschrecken umfaßt, das dunkelste Leideuswort unsrer Sprache, so harmlos und so komisch gemacht wie das Kasperltheater den Teufel. Die Hexe ist im Märchen ein drolliges, fast niedliches Ungeheuerchen, dessen Bosheit durch die überlegne Klugheit guter Menschen und ihrer Schutzgeister prompt und prächtig vereitelt wird. Man sagt nicht umsonst Knusperhexe, die Zauberin hat etwas von der Eßbarkeit ihres Knusperhäuschens an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/325>, abgerufen am 28.04.2024.