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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ach, Frederiksen, sagte der Assessor, kommen Sie mit, wir wollen heute
arbeiten.

Und Frederiksen folgte seinem Herrn.

Aber Justesen und Seydewitz gingen zusammen die Straße entlang zum
Amtsgericht.

Justesen lästerte, aber Seydewitz behauptete bestimmt, daß der Assessor keinen
Augenblick an Deichhof dächte. Darauf wollte sich Justesen lieber nicht verlassen,
sagte er.

Seydewitz ging nach Hause, er hatte heute nachmittag frei.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Zur Zarenreise. Vom parlamentarischen System. Zur Einigung der Liberalen.)

Kaiser Nikolaus der Zweite hat in den letzten Wochen eine Reihe rückständiger
Besuche erledigt; Dänemark und Schweden sind zuerst darangekommen, dann folgte
ein Familienbesuch bei seinem Schwager, dem Prinzen Heinrich in Hemmelmark,
daran schloß sich die Zusammenkunft mit dem Staatsoberhaupt des Verbündeten
Frankreichs und die Begegnung mit dem König Eduard. Den Schluß machte gestern
der Besuch bei dem inzwischen von der Nordlandsreise zurückgekehrten Kaiser
Wilhelm. Auf der Hin- und Rückreise hat der Zar das deutsche Gebiet berührt,
das heißt den Kaiser-Wilhelms-Kanal, und ist nicht, wie der Präsident der franzö¬
sischen Republik, um Deutschland herumgefahren. Jswolski hat in einer für
die Öffentlichkeit bestimmten Äußerung den Franzosen ganz klar herausgesagt, daß
Rußland mit Deutschland herzliche Beziehungen unterhalten muß, und Kaiser Nikolaus
hat dem Minister des Äußern Pichon seine Befriedigung über dessen bedachte und
feste Politik gegenüber Deutschland ausgedrückt, das ebenso wie Frankreich und
Rußland um die Erhaltung des Friedens bemüht sei. Ob das freilich in Frank¬
reich einen allgemein günstigen Eindruck machen wird, steht dahin, denn für gewisse
nichtamtliche Kreise in Frankreich und in England hat die Tripleentente nur in¬
sofern einen praktischen Wert, als sie geeignet und gewillt ist, Deutschland schlecht
oder mindestens nebensächlich zu behandeln. Hierzu ist sie nun allerdings nicht
geeignet, wie der Ausgang der böhmischen Frage und das gänzliche Scheitern des
Konferenzplans vor einem halben Jahre bewiesen hat. In staatsmännischen Kreisen
ist man darüber nicht im Zweifel, und die dabei interessierten Völker werden sich
auch daran gewöhnen müssen. Wenn der Zar und sein Minister des Äußern den
Franzosen darüber eine unmißverständliche Andeutung gemacht haben, so waren sie
dabei im vollen Rechte, denn gerade Rußland hätte bei der von den westlichen
Vertretern der Ententepolitik eingeschlagnen Richtung die Hauptopfer bringen müssen.
Rußland lehnt es in jedem Falle ab, sich als Mauerbrecher gegen die deutsche
Friedenspolitik verwenden zu lassen, wenn diese Haltung auch daheim wie bei den
Westmächten vielen Kreisen der Bevölkerungen manche Enttäuschungen bringt. Diese
haben übrigens weniger in dem an das russische Bündnis bereits gewöhnten
Frankreich als in England für den Zarenbesnch eine gewisse Kühle hervorgerufen
und auch bewirkt, daß sich die hergebrachten sozialistischen und radikalen Angriffe


Grenzboten III 1909 43
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ach, Frederiksen, sagte der Assessor, kommen Sie mit, wir wollen heute
arbeiten.

Und Frederiksen folgte seinem Herrn.

Aber Justesen und Seydewitz gingen zusammen die Straße entlang zum
Amtsgericht.

Justesen lästerte, aber Seydewitz behauptete bestimmt, daß der Assessor keinen
Augenblick an Deichhof dächte. Darauf wollte sich Justesen lieber nicht verlassen,
sagte er.

Seydewitz ging nach Hause, er hatte heute nachmittag frei.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Zur Zarenreise. Vom parlamentarischen System. Zur Einigung der Liberalen.)

Kaiser Nikolaus der Zweite hat in den letzten Wochen eine Reihe rückständiger
Besuche erledigt; Dänemark und Schweden sind zuerst darangekommen, dann folgte
ein Familienbesuch bei seinem Schwager, dem Prinzen Heinrich in Hemmelmark,
daran schloß sich die Zusammenkunft mit dem Staatsoberhaupt des Verbündeten
Frankreichs und die Begegnung mit dem König Eduard. Den Schluß machte gestern
der Besuch bei dem inzwischen von der Nordlandsreise zurückgekehrten Kaiser
Wilhelm. Auf der Hin- und Rückreise hat der Zar das deutsche Gebiet berührt,
das heißt den Kaiser-Wilhelms-Kanal, und ist nicht, wie der Präsident der franzö¬
sischen Republik, um Deutschland herumgefahren. Jswolski hat in einer für
die Öffentlichkeit bestimmten Äußerung den Franzosen ganz klar herausgesagt, daß
Rußland mit Deutschland herzliche Beziehungen unterhalten muß, und Kaiser Nikolaus
hat dem Minister des Äußern Pichon seine Befriedigung über dessen bedachte und
feste Politik gegenüber Deutschland ausgedrückt, das ebenso wie Frankreich und
Rußland um die Erhaltung des Friedens bemüht sei. Ob das freilich in Frank¬
reich einen allgemein günstigen Eindruck machen wird, steht dahin, denn für gewisse
nichtamtliche Kreise in Frankreich und in England hat die Tripleentente nur in¬
sofern einen praktischen Wert, als sie geeignet und gewillt ist, Deutschland schlecht
oder mindestens nebensächlich zu behandeln. Hierzu ist sie nun allerdings nicht
geeignet, wie der Ausgang der böhmischen Frage und das gänzliche Scheitern des
Konferenzplans vor einem halben Jahre bewiesen hat. In staatsmännischen Kreisen
ist man darüber nicht im Zweifel, und die dabei interessierten Völker werden sich
auch daran gewöhnen müssen. Wenn der Zar und sein Minister des Äußern den
Franzosen darüber eine unmißverständliche Andeutung gemacht haben, so waren sie
dabei im vollen Rechte, denn gerade Rußland hätte bei der von den westlichen
Vertretern der Ententepolitik eingeschlagnen Richtung die Hauptopfer bringen müssen.
Rußland lehnt es in jedem Falle ab, sich als Mauerbrecher gegen die deutsche
Friedenspolitik verwenden zu lassen, wenn diese Haltung auch daheim wie bei den
Westmächten vielen Kreisen der Bevölkerungen manche Enttäuschungen bringt. Diese
haben übrigens weniger in dem an das russische Bündnis bereits gewöhnten
Frankreich als in England für den Zarenbesnch eine gewisse Kühle hervorgerufen
und auch bewirkt, daß sich die hergebrachten sozialistischen und radikalen Angriffe


Grenzboten III 1909 43
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[0339] Maßgebliches und Unmaßgebliches Ach, Frederiksen, sagte der Assessor, kommen Sie mit, wir wollen heute arbeiten. Und Frederiksen folgte seinem Herrn. Aber Justesen und Seydewitz gingen zusammen die Straße entlang zum Amtsgericht. Justesen lästerte, aber Seydewitz behauptete bestimmt, daß der Assessor keinen Augenblick an Deichhof dächte. Darauf wollte sich Justesen lieber nicht verlassen, sagte er. Seydewitz ging nach Hause, er hatte heute nachmittag frei. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Zur Zarenreise. Vom parlamentarischen System. Zur Einigung der Liberalen.) Kaiser Nikolaus der Zweite hat in den letzten Wochen eine Reihe rückständiger Besuche erledigt; Dänemark und Schweden sind zuerst darangekommen, dann folgte ein Familienbesuch bei seinem Schwager, dem Prinzen Heinrich in Hemmelmark, daran schloß sich die Zusammenkunft mit dem Staatsoberhaupt des Verbündeten Frankreichs und die Begegnung mit dem König Eduard. Den Schluß machte gestern der Besuch bei dem inzwischen von der Nordlandsreise zurückgekehrten Kaiser Wilhelm. Auf der Hin- und Rückreise hat der Zar das deutsche Gebiet berührt, das heißt den Kaiser-Wilhelms-Kanal, und ist nicht, wie der Präsident der franzö¬ sischen Republik, um Deutschland herumgefahren. Jswolski hat in einer für die Öffentlichkeit bestimmten Äußerung den Franzosen ganz klar herausgesagt, daß Rußland mit Deutschland herzliche Beziehungen unterhalten muß, und Kaiser Nikolaus hat dem Minister des Äußern Pichon seine Befriedigung über dessen bedachte und feste Politik gegenüber Deutschland ausgedrückt, das ebenso wie Frankreich und Rußland um die Erhaltung des Friedens bemüht sei. Ob das freilich in Frank¬ reich einen allgemein günstigen Eindruck machen wird, steht dahin, denn für gewisse nichtamtliche Kreise in Frankreich und in England hat die Tripleentente nur in¬ sofern einen praktischen Wert, als sie geeignet und gewillt ist, Deutschland schlecht oder mindestens nebensächlich zu behandeln. Hierzu ist sie nun allerdings nicht geeignet, wie der Ausgang der böhmischen Frage und das gänzliche Scheitern des Konferenzplans vor einem halben Jahre bewiesen hat. In staatsmännischen Kreisen ist man darüber nicht im Zweifel, und die dabei interessierten Völker werden sich auch daran gewöhnen müssen. Wenn der Zar und sein Minister des Äußern den Franzosen darüber eine unmißverständliche Andeutung gemacht haben, so waren sie dabei im vollen Rechte, denn gerade Rußland hätte bei der von den westlichen Vertretern der Ententepolitik eingeschlagnen Richtung die Hauptopfer bringen müssen. Rußland lehnt es in jedem Falle ab, sich als Mauerbrecher gegen die deutsche Friedenspolitik verwenden zu lassen, wenn diese Haltung auch daheim wie bei den Westmächten vielen Kreisen der Bevölkerungen manche Enttäuschungen bringt. Diese haben übrigens weniger in dem an das russische Bündnis bereits gewöhnten Frankreich als in England für den Zarenbesnch eine gewisse Kühle hervorgerufen und auch bewirkt, daß sich die hergebrachten sozialistischen und radikalen Angriffe Grenzboten III 1909 43

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/339>, abgerufen am 27.04.2024.