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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die Interessen Deutschlands in der Türkei

Württemberg, Baden, Kurfürstentum und Großherzogtum Hessen, Thüringen,
Nassau und die freie Stadt Frankfurt a. M. eine gemeinschaftliche Handels¬
konvention mit der Türkei und erneuerten diese durch den Handelsvertrag
des Zollvereins vom Jahre 1862. Die auf diese Weise angebahnten Be¬
ziehungen nahmen durch die Siege von 1870/71 einen neuen Aufschwung.
Der wenig bekannte Name "Allemcmia" erhielt einen neuen Klang im Orient,
wo bis dahin nur von den "Freuds" gesprochen worden war. Die Achtung
vor den siegreichen Schlachten und der Militärmacht Deutschlands und die
Überzeugung von der Gemeinschaft der politischen Interessen des Deutschen
Reiches und der Türkei erweckten die Sympathien des Sultans und des
türkischen Volkes für Deutschland. Das Vertrauen des Großherrn zu dem
Deutschen Kaiser und Volke wuchs in dem Maße, daß er im Jahre 1880 den
Entschluß faßte, die nach dem russisch-türkischen Kriege wieder begonnene Re-
formierung der Verwaltung und des Heeres sowie des Gesundheitswesens mit
deutschen Beamten, Offizieren und Ärzten durchzuführend Durch diese deutsche
Reform und die seit Jahren erfolgte Absendung türkischer Offiziere und Stu¬
denten nach Deutschland haben sich die gegenseitigen Beziehungen immer freund¬
schaftlicher gestaltet und sich dnrch die persönlichen Begegnungen der Herrscher
beider Länder in den Jahren 1889 und 1898 befestigt. Deutschland hat seitdem
der Türkei außer tüchtigen Männern auch deutsches Kapital und deutsche Arbeit
zur Verfügung gestellt, ihr stets mit freundschaftlichem Rat zur Seite gestanden
und durch Abschluß eines neuen Handelsvertrages vom 26. August 1890 sowie
durch seine Befürwortung der im Jahre 1907 erfolgten Erhöhung der Ein¬
fuhrzölle von acht aus elf Prozent zur Hebung der türkischen Finanzen ver¬
helfen wollen. Gegenwärtig arbeitet Deutschland an der Ausführung der
großen Bagdadbahn zur wirtschaftlichen, militärischen und politischen Erstarkung
der Türkei. Es ist ihr vor allem in den jetzigen schweren Zeiten der Evolution
ein aufrichtiger Berater gewesen und wird es bleiben.

Die Verkehrswege

Die Verkehrswege zwischen Deutschland und der Türkei waren viele Jahre
für die Anknüpfung näherer Beziehungen ungünstig. Die älteste Handels¬
straße zwischen beiden Ländern ist die Donau, die noch im Anfang des neun¬
zehnten Jahrhunderts als die wichtigste galt. Als im Jahre 1837 von Triest
und 1851 von Marseille aus regelmäßige Schiffahrten nach der Levante ein¬
geführt wurden, konnte bei der Billigkeit der Seefrachten die kostspielige
Donauschiffahrt nicht mehr in den Wettbewerb treten. Aber auch diese fremden
Verkehrsstraßen genügten auf die Dauer den deutschen Handelsinteressen nicht.
Es wurde daher ein unmittelbarer Schiffsverkehr mit dem Orient in Erwägung
gezogen. Ein solcher konnte, solange die Varbareskenstaaten noch im Anfange
des vorigen Jahrhunderts ihre Seerüuberei trieben, bei dem Fehlen einer


Die Interessen Deutschlands in der Türkei

Württemberg, Baden, Kurfürstentum und Großherzogtum Hessen, Thüringen,
Nassau und die freie Stadt Frankfurt a. M. eine gemeinschaftliche Handels¬
konvention mit der Türkei und erneuerten diese durch den Handelsvertrag
des Zollvereins vom Jahre 1862. Die auf diese Weise angebahnten Be¬
ziehungen nahmen durch die Siege von 1870/71 einen neuen Aufschwung.
Der wenig bekannte Name „Allemcmia" erhielt einen neuen Klang im Orient,
wo bis dahin nur von den „Freuds" gesprochen worden war. Die Achtung
vor den siegreichen Schlachten und der Militärmacht Deutschlands und die
Überzeugung von der Gemeinschaft der politischen Interessen des Deutschen
Reiches und der Türkei erweckten die Sympathien des Sultans und des
türkischen Volkes für Deutschland. Das Vertrauen des Großherrn zu dem
Deutschen Kaiser und Volke wuchs in dem Maße, daß er im Jahre 1880 den
Entschluß faßte, die nach dem russisch-türkischen Kriege wieder begonnene Re-
formierung der Verwaltung und des Heeres sowie des Gesundheitswesens mit
deutschen Beamten, Offizieren und Ärzten durchzuführend Durch diese deutsche
Reform und die seit Jahren erfolgte Absendung türkischer Offiziere und Stu¬
denten nach Deutschland haben sich die gegenseitigen Beziehungen immer freund¬
schaftlicher gestaltet und sich dnrch die persönlichen Begegnungen der Herrscher
beider Länder in den Jahren 1889 und 1898 befestigt. Deutschland hat seitdem
der Türkei außer tüchtigen Männern auch deutsches Kapital und deutsche Arbeit
zur Verfügung gestellt, ihr stets mit freundschaftlichem Rat zur Seite gestanden
und durch Abschluß eines neuen Handelsvertrages vom 26. August 1890 sowie
durch seine Befürwortung der im Jahre 1907 erfolgten Erhöhung der Ein¬
fuhrzölle von acht aus elf Prozent zur Hebung der türkischen Finanzen ver¬
helfen wollen. Gegenwärtig arbeitet Deutschland an der Ausführung der
großen Bagdadbahn zur wirtschaftlichen, militärischen und politischen Erstarkung
der Türkei. Es ist ihr vor allem in den jetzigen schweren Zeiten der Evolution
ein aufrichtiger Berater gewesen und wird es bleiben.

Die Verkehrswege

Die Verkehrswege zwischen Deutschland und der Türkei waren viele Jahre
für die Anknüpfung näherer Beziehungen ungünstig. Die älteste Handels¬
straße zwischen beiden Ländern ist die Donau, die noch im Anfang des neun¬
zehnten Jahrhunderts als die wichtigste galt. Als im Jahre 1837 von Triest
und 1851 von Marseille aus regelmäßige Schiffahrten nach der Levante ein¬
geführt wurden, konnte bei der Billigkeit der Seefrachten die kostspielige
Donauschiffahrt nicht mehr in den Wettbewerb treten. Aber auch diese fremden
Verkehrsstraßen genügten auf die Dauer den deutschen Handelsinteressen nicht.
Es wurde daher ein unmittelbarer Schiffsverkehr mit dem Orient in Erwägung
gezogen. Ein solcher konnte, solange die Varbareskenstaaten noch im Anfange
des vorigen Jahrhunderts ihre Seerüuberei trieben, bei dem Fehlen einer


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[0348] Die Interessen Deutschlands in der Türkei Württemberg, Baden, Kurfürstentum und Großherzogtum Hessen, Thüringen, Nassau und die freie Stadt Frankfurt a. M. eine gemeinschaftliche Handels¬ konvention mit der Türkei und erneuerten diese durch den Handelsvertrag des Zollvereins vom Jahre 1862. Die auf diese Weise angebahnten Be¬ ziehungen nahmen durch die Siege von 1870/71 einen neuen Aufschwung. Der wenig bekannte Name „Allemcmia" erhielt einen neuen Klang im Orient, wo bis dahin nur von den „Freuds" gesprochen worden war. Die Achtung vor den siegreichen Schlachten und der Militärmacht Deutschlands und die Überzeugung von der Gemeinschaft der politischen Interessen des Deutschen Reiches und der Türkei erweckten die Sympathien des Sultans und des türkischen Volkes für Deutschland. Das Vertrauen des Großherrn zu dem Deutschen Kaiser und Volke wuchs in dem Maße, daß er im Jahre 1880 den Entschluß faßte, die nach dem russisch-türkischen Kriege wieder begonnene Re- formierung der Verwaltung und des Heeres sowie des Gesundheitswesens mit deutschen Beamten, Offizieren und Ärzten durchzuführend Durch diese deutsche Reform und die seit Jahren erfolgte Absendung türkischer Offiziere und Stu¬ denten nach Deutschland haben sich die gegenseitigen Beziehungen immer freund¬ schaftlicher gestaltet und sich dnrch die persönlichen Begegnungen der Herrscher beider Länder in den Jahren 1889 und 1898 befestigt. Deutschland hat seitdem der Türkei außer tüchtigen Männern auch deutsches Kapital und deutsche Arbeit zur Verfügung gestellt, ihr stets mit freundschaftlichem Rat zur Seite gestanden und durch Abschluß eines neuen Handelsvertrages vom 26. August 1890 sowie durch seine Befürwortung der im Jahre 1907 erfolgten Erhöhung der Ein¬ fuhrzölle von acht aus elf Prozent zur Hebung der türkischen Finanzen ver¬ helfen wollen. Gegenwärtig arbeitet Deutschland an der Ausführung der großen Bagdadbahn zur wirtschaftlichen, militärischen und politischen Erstarkung der Türkei. Es ist ihr vor allem in den jetzigen schweren Zeiten der Evolution ein aufrichtiger Berater gewesen und wird es bleiben. Die Verkehrswege Die Verkehrswege zwischen Deutschland und der Türkei waren viele Jahre für die Anknüpfung näherer Beziehungen ungünstig. Die älteste Handels¬ straße zwischen beiden Ländern ist die Donau, die noch im Anfang des neun¬ zehnten Jahrhunderts als die wichtigste galt. Als im Jahre 1837 von Triest und 1851 von Marseille aus regelmäßige Schiffahrten nach der Levante ein¬ geführt wurden, konnte bei der Billigkeit der Seefrachten die kostspielige Donauschiffahrt nicht mehr in den Wettbewerb treten. Aber auch diese fremden Verkehrsstraßen genügten auf die Dauer den deutschen Handelsinteressen nicht. Es wurde daher ein unmittelbarer Schiffsverkehr mit dem Orient in Erwägung gezogen. Ein solcher konnte, solange die Varbareskenstaaten noch im Anfange des vorigen Jahrhunderts ihre Seerüuberei trieben, bei dem Fehlen einer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/348>, abgerufen am 28.04.2024.