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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Seydewitz geriet ein wenig in Eifer. Der Herr Gutsbesitzer müssen ent¬
schuldigen, aber wenn Sie Ihren Knechten oder den Wildschützen im Fjord gegenüber
Recht bekommen wollen, dann flüchten Sie doch zur Polizei.

Er dachte nicht mehr daran, daß er gekommen war, um seine Sache mit
Hilmer auszugleichen.

Hilmer wurde rot. Ich habe nicht mehr Dienstboteuprozesse als andre. Ihre
Sticheleien können Sie sich sparen, Herr Referendar. Aber Sie halten es natürlich
mit dem andern Kopenhagner. Wie Sie wollen, das geht mich nichts an. Aber
ich beschwere mich beim Amtmann. Ich werde doch den Kerl lehren, daß er auf
jeden Fall erst mich zu fragen hat. Das tut der Bürgermeister immer. Es ist
weiter nichts wie Höflichkeit. Welchem Grunde verdanke ich übrigens die Ehre
Ihres Besuches heute? Haben Sie hier Amtsgeschiifte zu erledigen?

Seydewitz fühlte sich nicht gerade behaglich. Doch in diesem Augenblick kam
Frau Hilnier aus der Küche, sie hatte erst jetzt erfahren, was geschehen war. Aber
um Gottes willen, was gibt es hier? fragte sie außer Atem.

Das war nur die Geschichte mit dem verdammten Brandassessor, lautete
Hilmers Antwort.

Sie ergriff seine Hand. Hans, ich beschwöre dich, er will dich doch nicht
verhaften?

Seydewitz zuckte zusammen. Hilmer antwortete beruhigend: Mich! Wer spricht
von mir? Nein, Hans Jepsen und Stine sinds.

Gott sei Dank. Ja, Hans -- ich hatte mich so erschrocken -- so, jetzt ist
es vorüber.

Seydewitz trat unwillkürlich zu Frau Hilmer, die aussah, als ob sie in Ohn¬
macht fallen wollte.

Sie bezwang sich jedoch, und mit ein paar entschuldigenden Worten zu Seydewitz
ging sie in die Küche zurück. Jnger stand ans der Treppe und blickte verwundert
auf den Hof hinab.

Ich hätte gern ein paar Worte mit Ihnen gesprochen, sagte Seydewitz und
verneigte sich. Dann gingen Hilmer und er ins Bureau.

^Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die Entwicklung der kretischen Frage. Der Wechsel im preußischen Kriegs¬
ministerium.)

Wieder einmal drohen kriegerische Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel.
Der Streit um Kreta ist in ein Stadium getreten, in dem niemand vorhersagen
kann, welcher Lösung die Frage entgegengeführt wird. Die zum vollen Bewußtsein
erwachte nationale Energie der neuen Türkei will den letzten Schlußstrich machen
nnter das alte System, das zur Losreißung eines Bestandteils des ottomanischen
Reichs nach dem andern führte. Sie hat die letzte Konsequenz dieses Systems
gezogen, indem sie Bulgarien freigab und durch die Beseitigung einer unhaltbaren
Halbheit an dem empfindlichsten Punkt ihrer Grenzen freie Hand gewann. Darüber


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Seydewitz geriet ein wenig in Eifer. Der Herr Gutsbesitzer müssen ent¬
schuldigen, aber wenn Sie Ihren Knechten oder den Wildschützen im Fjord gegenüber
Recht bekommen wollen, dann flüchten Sie doch zur Polizei.

Er dachte nicht mehr daran, daß er gekommen war, um seine Sache mit
Hilmer auszugleichen.

Hilmer wurde rot. Ich habe nicht mehr Dienstboteuprozesse als andre. Ihre
Sticheleien können Sie sich sparen, Herr Referendar. Aber Sie halten es natürlich
mit dem andern Kopenhagner. Wie Sie wollen, das geht mich nichts an. Aber
ich beschwere mich beim Amtmann. Ich werde doch den Kerl lehren, daß er auf
jeden Fall erst mich zu fragen hat. Das tut der Bürgermeister immer. Es ist
weiter nichts wie Höflichkeit. Welchem Grunde verdanke ich übrigens die Ehre
Ihres Besuches heute? Haben Sie hier Amtsgeschiifte zu erledigen?

Seydewitz fühlte sich nicht gerade behaglich. Doch in diesem Augenblick kam
Frau Hilnier aus der Küche, sie hatte erst jetzt erfahren, was geschehen war. Aber
um Gottes willen, was gibt es hier? fragte sie außer Atem.

Das war nur die Geschichte mit dem verdammten Brandassessor, lautete
Hilmers Antwort.

Sie ergriff seine Hand. Hans, ich beschwöre dich, er will dich doch nicht
verhaften?

Seydewitz zuckte zusammen. Hilmer antwortete beruhigend: Mich! Wer spricht
von mir? Nein, Hans Jepsen und Stine sinds.

Gott sei Dank. Ja, Hans — ich hatte mich so erschrocken — so, jetzt ist
es vorüber.

Seydewitz trat unwillkürlich zu Frau Hilmer, die aussah, als ob sie in Ohn¬
macht fallen wollte.

Sie bezwang sich jedoch, und mit ein paar entschuldigenden Worten zu Seydewitz
ging sie in die Küche zurück. Jnger stand ans der Treppe und blickte verwundert
auf den Hof hinab.

Ich hätte gern ein paar Worte mit Ihnen gesprochen, sagte Seydewitz und
verneigte sich. Dann gingen Hilmer und er ins Bureau.

^Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Die Entwicklung der kretischen Frage. Der Wechsel im preußischen Kriegs¬
ministerium.)

Wieder einmal drohen kriegerische Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel.
Der Streit um Kreta ist in ein Stadium getreten, in dem niemand vorhersagen
kann, welcher Lösung die Frage entgegengeführt wird. Die zum vollen Bewußtsein
erwachte nationale Energie der neuen Türkei will den letzten Schlußstrich machen
nnter das alte System, das zur Losreißung eines Bestandteils des ottomanischen
Reichs nach dem andern führte. Sie hat die letzte Konsequenz dieses Systems
gezogen, indem sie Bulgarien freigab und durch die Beseitigung einer unhaltbaren
Halbheit an dem empfindlichsten Punkt ihrer Grenzen freie Hand gewann. Darüber


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[0390] Maßgebliches und Unmaßgebliches Seydewitz geriet ein wenig in Eifer. Der Herr Gutsbesitzer müssen ent¬ schuldigen, aber wenn Sie Ihren Knechten oder den Wildschützen im Fjord gegenüber Recht bekommen wollen, dann flüchten Sie doch zur Polizei. Er dachte nicht mehr daran, daß er gekommen war, um seine Sache mit Hilmer auszugleichen. Hilmer wurde rot. Ich habe nicht mehr Dienstboteuprozesse als andre. Ihre Sticheleien können Sie sich sparen, Herr Referendar. Aber Sie halten es natürlich mit dem andern Kopenhagner. Wie Sie wollen, das geht mich nichts an. Aber ich beschwere mich beim Amtmann. Ich werde doch den Kerl lehren, daß er auf jeden Fall erst mich zu fragen hat. Das tut der Bürgermeister immer. Es ist weiter nichts wie Höflichkeit. Welchem Grunde verdanke ich übrigens die Ehre Ihres Besuches heute? Haben Sie hier Amtsgeschiifte zu erledigen? Seydewitz fühlte sich nicht gerade behaglich. Doch in diesem Augenblick kam Frau Hilnier aus der Küche, sie hatte erst jetzt erfahren, was geschehen war. Aber um Gottes willen, was gibt es hier? fragte sie außer Atem. Das war nur die Geschichte mit dem verdammten Brandassessor, lautete Hilmers Antwort. Sie ergriff seine Hand. Hans, ich beschwöre dich, er will dich doch nicht verhaften? Seydewitz zuckte zusammen. Hilmer antwortete beruhigend: Mich! Wer spricht von mir? Nein, Hans Jepsen und Stine sinds. Gott sei Dank. Ja, Hans — ich hatte mich so erschrocken — so, jetzt ist es vorüber. Seydewitz trat unwillkürlich zu Frau Hilmer, die aussah, als ob sie in Ohn¬ macht fallen wollte. Sie bezwang sich jedoch, und mit ein paar entschuldigenden Worten zu Seydewitz ging sie in die Küche zurück. Jnger stand ans der Treppe und blickte verwundert auf den Hof hinab. Ich hätte gern ein paar Worte mit Ihnen gesprochen, sagte Seydewitz und verneigte sich. Dann gingen Hilmer und er ins Bureau. ^Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Die Entwicklung der kretischen Frage. Der Wechsel im preußischen Kriegs¬ ministerium.) Wieder einmal drohen kriegerische Verwicklungen auf der Balkanhalbinsel. Der Streit um Kreta ist in ein Stadium getreten, in dem niemand vorhersagen kann, welcher Lösung die Frage entgegengeführt wird. Die zum vollen Bewußtsein erwachte nationale Energie der neuen Türkei will den letzten Schlußstrich machen nnter das alte System, das zur Losreißung eines Bestandteils des ottomanischen Reichs nach dem andern führte. Sie hat die letzte Konsequenz dieses Systems gezogen, indem sie Bulgarien freigab und durch die Beseitigung einer unhaltbaren Halbheit an dem empfindlichsten Punkt ihrer Grenzen freie Hand gewann. Darüber

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/390>, abgerufen am 27.04.2024.