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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Der rote Hahn

ein Gefühl der Dauer in unsre nur allzu leicht mit dem Vergehenden dcchin-
schweifende Seele senkt? Sind es nicht dieselben Höhen, die den Ahnen zur
Verehrung des Göttlichen riefen? Sind es nicht die heilenden, heiligen Quellen
noch? Ist nicht der Vogelflug noch, dem er nachschaute wie ich? Rauschten
ihm nicht die Linden wie mir heimlich offenbarende Sprache? Fuhr der Ge¬
wittersturm nicht über ihn schon hin, ungestüm und drohend, wie der ins Un¬
geheure gewachsne Dämon der eignen Leidenschaft? Ich lausche der Natur und
höre Entschwindendes, auf immer Entschwundnes, das doch ewig ist.




Der rote Hahn
von volle Rosenkrantz. Deutsch von Jda Anders
(Fortsetzung)
Neuntes Aapitel. Im "Hofe"

-in Krüge klirrten, der Fußboden knackte, und Händeklatschen erscholl
in der verräucherten Stube des "Hofes".

Rechtsanwalt Nörretranders hatte gesungen, verneigte sich und
dankte.

Da. c-Äpc>! ertönte es im Chor.

Und der Rechtsanwalt sang noch einmal -- und diesmal über¬
schlug sich seine Stimme nicht beim hohen V.

Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, und ans der Schwelle stand lächelnd,
wohlwollend, anerkennend Assessor Richter. Der Assessor schlug demonstrativ die
Nägel seiner Daumen aufeinander. Bravo, Herr Rechtsanwalt, bravo!

Der alte Wiking brüstete sich. Dieses Lied. Herr Assessor, hören Sie von
keinem andern als von mir -- das ist mein Lied.

Singen Sie es noch einmal, bat der Assessor.

Und der Rechtsanwalt sang -- und schon im ersten Verse überschlug sich
seine Stimme beim hohen 0, aber das bewirkte nur, daß er den zweiten Vers
dröhnend durchführte.

Und durch den Tabaksqualm und den Lärm des donnernden Beifalls ertönte
seine Stentorstimme: Piper, eine Flasche Champagner, ich bezahle.

Zwei, sagte der Assessor, eine ist zu wenig.

Und während der Rechtsanwalt in dem Noßhcicirsofa versank und sein großes
Glas Grog leerte, wandte sich Assessor Richter zu den versammelten Herren und
sagte mit strahlendem Lächeln: Meine Herren, jetzt wollen wir kneipen. Wollen
Sie, Seydewitz, mich der Gesellschaft vorstellen.

Dann ging die Vorstellung vom rechten Flügel quer durch das Zimmer vor
sich. Dr. Halgren, groß, melancholisch und musikalisch, Arzt, Philosoph und mäßiger
Teilnehmer an den Gelagen des "Hofes"; Kaufmann Rabe, genannt der Nacht¬
rabe, Manufaktur; Kaufmann Franz Andersen, allerhand; der Assessor Imsen,
alter Bekannter; Gastwirt Piper, ehemaliger Gendarm; Kaufmann Holst, Manu¬
faktur; Gendarm Justesen -- etwas verlegen; und dann der Sänger, Rechts¬
anwalt Nörrctranders, genannt Bismcirck wegen seiner Riesenkraft und äußern Ähn¬
lichkeit mit dem "eisernen Kanzler".


Der rote Hahn

ein Gefühl der Dauer in unsre nur allzu leicht mit dem Vergehenden dcchin-
schweifende Seele senkt? Sind es nicht dieselben Höhen, die den Ahnen zur
Verehrung des Göttlichen riefen? Sind es nicht die heilenden, heiligen Quellen
noch? Ist nicht der Vogelflug noch, dem er nachschaute wie ich? Rauschten
ihm nicht die Linden wie mir heimlich offenbarende Sprache? Fuhr der Ge¬
wittersturm nicht über ihn schon hin, ungestüm und drohend, wie der ins Un¬
geheure gewachsne Dämon der eignen Leidenschaft? Ich lausche der Natur und
höre Entschwindendes, auf immer Entschwundnes, das doch ewig ist.




Der rote Hahn
von volle Rosenkrantz. Deutsch von Jda Anders
(Fortsetzung)
Neuntes Aapitel. Im „Hofe"

-in Krüge klirrten, der Fußboden knackte, und Händeklatschen erscholl
in der verräucherten Stube des „Hofes".

Rechtsanwalt Nörretranders hatte gesungen, verneigte sich und
dankte.

Da. c-Äpc>! ertönte es im Chor.

Und der Rechtsanwalt sang noch einmal — und diesmal über¬
schlug sich seine Stimme nicht beim hohen V.

Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, und ans der Schwelle stand lächelnd,
wohlwollend, anerkennend Assessor Richter. Der Assessor schlug demonstrativ die
Nägel seiner Daumen aufeinander. Bravo, Herr Rechtsanwalt, bravo!

Der alte Wiking brüstete sich. Dieses Lied. Herr Assessor, hören Sie von
keinem andern als von mir — das ist mein Lied.

Singen Sie es noch einmal, bat der Assessor.

Und der Rechtsanwalt sang — und schon im ersten Verse überschlug sich
seine Stimme beim hohen 0, aber das bewirkte nur, daß er den zweiten Vers
dröhnend durchführte.

Und durch den Tabaksqualm und den Lärm des donnernden Beifalls ertönte
seine Stentorstimme: Piper, eine Flasche Champagner, ich bezahle.

Zwei, sagte der Assessor, eine ist zu wenig.

Und während der Rechtsanwalt in dem Noßhcicirsofa versank und sein großes
Glas Grog leerte, wandte sich Assessor Richter zu den versammelten Herren und
sagte mit strahlendem Lächeln: Meine Herren, jetzt wollen wir kneipen. Wollen
Sie, Seydewitz, mich der Gesellschaft vorstellen.

Dann ging die Vorstellung vom rechten Flügel quer durch das Zimmer vor
sich. Dr. Halgren, groß, melancholisch und musikalisch, Arzt, Philosoph und mäßiger
Teilnehmer an den Gelagen des „Hofes"; Kaufmann Rabe, genannt der Nacht¬
rabe, Manufaktur; Kaufmann Franz Andersen, allerhand; der Assessor Imsen,
alter Bekannter; Gastwirt Piper, ehemaliger Gendarm; Kaufmann Holst, Manu¬
faktur; Gendarm Justesen — etwas verlegen; und dann der Sänger, Rechts¬
anwalt Nörrctranders, genannt Bismcirck wegen seiner Riesenkraft und äußern Ähn¬
lichkeit mit dem „eisernen Kanzler".


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[0484] Der rote Hahn ein Gefühl der Dauer in unsre nur allzu leicht mit dem Vergehenden dcchin- schweifende Seele senkt? Sind es nicht dieselben Höhen, die den Ahnen zur Verehrung des Göttlichen riefen? Sind es nicht die heilenden, heiligen Quellen noch? Ist nicht der Vogelflug noch, dem er nachschaute wie ich? Rauschten ihm nicht die Linden wie mir heimlich offenbarende Sprache? Fuhr der Ge¬ wittersturm nicht über ihn schon hin, ungestüm und drohend, wie der ins Un¬ geheure gewachsne Dämon der eignen Leidenschaft? Ich lausche der Natur und höre Entschwindendes, auf immer Entschwundnes, das doch ewig ist. Der rote Hahn von volle Rosenkrantz. Deutsch von Jda Anders (Fortsetzung) Neuntes Aapitel. Im „Hofe" -in Krüge klirrten, der Fußboden knackte, und Händeklatschen erscholl in der verräucherten Stube des „Hofes". Rechtsanwalt Nörretranders hatte gesungen, verneigte sich und dankte. Da. c-Äpc>! ertönte es im Chor. Und der Rechtsanwalt sang noch einmal — und diesmal über¬ schlug sich seine Stimme nicht beim hohen V. Die Tür zum Nebenzimmer öffnete sich, und ans der Schwelle stand lächelnd, wohlwollend, anerkennend Assessor Richter. Der Assessor schlug demonstrativ die Nägel seiner Daumen aufeinander. Bravo, Herr Rechtsanwalt, bravo! Der alte Wiking brüstete sich. Dieses Lied. Herr Assessor, hören Sie von keinem andern als von mir — das ist mein Lied. Singen Sie es noch einmal, bat der Assessor. Und der Rechtsanwalt sang — und schon im ersten Verse überschlug sich seine Stimme beim hohen 0, aber das bewirkte nur, daß er den zweiten Vers dröhnend durchführte. Und durch den Tabaksqualm und den Lärm des donnernden Beifalls ertönte seine Stentorstimme: Piper, eine Flasche Champagner, ich bezahle. Zwei, sagte der Assessor, eine ist zu wenig. Und während der Rechtsanwalt in dem Noßhcicirsofa versank und sein großes Glas Grog leerte, wandte sich Assessor Richter zu den versammelten Herren und sagte mit strahlendem Lächeln: Meine Herren, jetzt wollen wir kneipen. Wollen Sie, Seydewitz, mich der Gesellschaft vorstellen. Dann ging die Vorstellung vom rechten Flügel quer durch das Zimmer vor sich. Dr. Halgren, groß, melancholisch und musikalisch, Arzt, Philosoph und mäßiger Teilnehmer an den Gelagen des „Hofes"; Kaufmann Rabe, genannt der Nacht¬ rabe, Manufaktur; Kaufmann Franz Andersen, allerhand; der Assessor Imsen, alter Bekannter; Gastwirt Piper, ehemaliger Gendarm; Kaufmann Holst, Manu¬ faktur; Gendarm Justesen — etwas verlegen; und dann der Sänger, Rechts¬ anwalt Nörrctranders, genannt Bismcirck wegen seiner Riesenkraft und äußern Ähn¬ lichkeit mit dem „eisernen Kanzler".

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/484>, abgerufen am 28.04.2024.