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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Die militärische Lage in Marokko

zu erwarten. Die religiöse Vertiefung des Menschen, die ja das ganze Leben
hindurch gepflegt werden muß, gehört in die Kirche und in die rein religiösen
Vereine. Wenn hier mit Erfolg gearbeitet wird, wird sich die Frucht im
öffentlichen Leben von selbst zeigen.




Die militärische Lage in Marokko

<?KMt>>le Kämpfe der Spamer mit den Marokkanern bilden heute den
Gegenstand des lebhaftesten allgemeinen Interesses, und mit
gespannter Aufmerksamkeit verfolgt alle Welt die vom Kriegs¬
schauplatz einlaufenden, vielfach verworrnen, lückenhaften und
leinander widersprechenden Nachrichten. Das letzte bezieht sich
namentlich auf die Marokkaner, über deren militärische Einrichtungen bisher
nicht viel bekannt war. Es erscheint deshalb besonders interessant, einmal einen
Blick auf die Organisation und Kriegführung werfen zu können, die vom
italienischen Generalstabshauptmann Johann Marietti in seinem Werke kolitivg,
ca srui al Uaroovo näher beschrieben sind, und dem wir folgendes entnehmen:
Die Organisation der Streitkräfte fußt auf der politischen Einteilung. Das
marokkanische Sultanat stellt ein Aggregat von Volksstämmen, Tribus, dar,
von denen jeder von der Zentralgewalt so unabhängig als möglich zu werden
bestrebt ist. So schwach nun auch das politische Band ist, das alle Stämme
umfaßt, so stark ist doch das religiöse. Die Tribus unterscheiden sich in solche,
die dem Magzen, d. i. der Regierung des Sultans, ganz ergeben sind und
wahre Militärkolonien darstellen, deren Mitglieder sich zeitlebens dem Sultan
zur Verfügung stellen, ferner in solche, die Steuern zahlen und Soldaten
beistellen müssen, ohne die Vorteile zu genießen, und endlich in solche, die
vollkommen selbständig sind, und von denen die Abgaben gewaltsam eingetrieben
werden müssen. Jene Gebiete, die der Autorität des Magzen direkt unterstellt
sind, heißen Blad el magzen, die andern Blad el Sida. Kaum ein Fünftel des
ganzen Landes gehört zum Blad el magzen.

Die von der Tribu Magzen stammenden Truppen werden als Mukaznia
bezeichnet. Alle männlichen Mitglieder sind militärdienstpflichtig, doch dient nur
ein Teil, das sind Angehörige bestimmter, mit besondern Privilegien aus¬
gezeichneter Familien, aktiv, während die übrigen Ackerbau treibe" und die
Reserve bilden. Das Haupt des Tribu ist zugleich Chef des Mukaznia. Die taktische
Einheit ist die Reha, zählt fünfhundert zumeist berittne Mann, wird vom Kalb
el Reha befehligt und zerfällt in fünf Mia, jede unter dem Kommando des
Kalb el Mia. Bei jeder Mia gibt es mehrere Chargen, Mokkadem genannt.
Jeder Tribu ist gehalten, eine bestimmte Anzahl Rehas zu stellen; die Gesäme-


Die militärische Lage in Marokko

zu erwarten. Die religiöse Vertiefung des Menschen, die ja das ganze Leben
hindurch gepflegt werden muß, gehört in die Kirche und in die rein religiösen
Vereine. Wenn hier mit Erfolg gearbeitet wird, wird sich die Frucht im
öffentlichen Leben von selbst zeigen.




Die militärische Lage in Marokko

<?KMt>>le Kämpfe der Spamer mit den Marokkanern bilden heute den
Gegenstand des lebhaftesten allgemeinen Interesses, und mit
gespannter Aufmerksamkeit verfolgt alle Welt die vom Kriegs¬
schauplatz einlaufenden, vielfach verworrnen, lückenhaften und
leinander widersprechenden Nachrichten. Das letzte bezieht sich
namentlich auf die Marokkaner, über deren militärische Einrichtungen bisher
nicht viel bekannt war. Es erscheint deshalb besonders interessant, einmal einen
Blick auf die Organisation und Kriegführung werfen zu können, die vom
italienischen Generalstabshauptmann Johann Marietti in seinem Werke kolitivg,
ca srui al Uaroovo näher beschrieben sind, und dem wir folgendes entnehmen:
Die Organisation der Streitkräfte fußt auf der politischen Einteilung. Das
marokkanische Sultanat stellt ein Aggregat von Volksstämmen, Tribus, dar,
von denen jeder von der Zentralgewalt so unabhängig als möglich zu werden
bestrebt ist. So schwach nun auch das politische Band ist, das alle Stämme
umfaßt, so stark ist doch das religiöse. Die Tribus unterscheiden sich in solche,
die dem Magzen, d. i. der Regierung des Sultans, ganz ergeben sind und
wahre Militärkolonien darstellen, deren Mitglieder sich zeitlebens dem Sultan
zur Verfügung stellen, ferner in solche, die Steuern zahlen und Soldaten
beistellen müssen, ohne die Vorteile zu genießen, und endlich in solche, die
vollkommen selbständig sind, und von denen die Abgaben gewaltsam eingetrieben
werden müssen. Jene Gebiete, die der Autorität des Magzen direkt unterstellt
sind, heißen Blad el magzen, die andern Blad el Sida. Kaum ein Fünftel des
ganzen Landes gehört zum Blad el magzen.

Die von der Tribu Magzen stammenden Truppen werden als Mukaznia
bezeichnet. Alle männlichen Mitglieder sind militärdienstpflichtig, doch dient nur
ein Teil, das sind Angehörige bestimmter, mit besondern Privilegien aus¬
gezeichneter Familien, aktiv, während die übrigen Ackerbau treibe» und die
Reserve bilden. Das Haupt des Tribu ist zugleich Chef des Mukaznia. Die taktische
Einheit ist die Reha, zählt fünfhundert zumeist berittne Mann, wird vom Kalb
el Reha befehligt und zerfällt in fünf Mia, jede unter dem Kommando des
Kalb el Mia. Bei jeder Mia gibt es mehrere Chargen, Mokkadem genannt.
Jeder Tribu ist gehalten, eine bestimmte Anzahl Rehas zu stellen; die Gesäme-


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[0595] Die militärische Lage in Marokko zu erwarten. Die religiöse Vertiefung des Menschen, die ja das ganze Leben hindurch gepflegt werden muß, gehört in die Kirche und in die rein religiösen Vereine. Wenn hier mit Erfolg gearbeitet wird, wird sich die Frucht im öffentlichen Leben von selbst zeigen. Die militärische Lage in Marokko <?KMt>>le Kämpfe der Spamer mit den Marokkanern bilden heute den Gegenstand des lebhaftesten allgemeinen Interesses, und mit gespannter Aufmerksamkeit verfolgt alle Welt die vom Kriegs¬ schauplatz einlaufenden, vielfach verworrnen, lückenhaften und leinander widersprechenden Nachrichten. Das letzte bezieht sich namentlich auf die Marokkaner, über deren militärische Einrichtungen bisher nicht viel bekannt war. Es erscheint deshalb besonders interessant, einmal einen Blick auf die Organisation und Kriegführung werfen zu können, die vom italienischen Generalstabshauptmann Johann Marietti in seinem Werke kolitivg, ca srui al Uaroovo näher beschrieben sind, und dem wir folgendes entnehmen: Die Organisation der Streitkräfte fußt auf der politischen Einteilung. Das marokkanische Sultanat stellt ein Aggregat von Volksstämmen, Tribus, dar, von denen jeder von der Zentralgewalt so unabhängig als möglich zu werden bestrebt ist. So schwach nun auch das politische Band ist, das alle Stämme umfaßt, so stark ist doch das religiöse. Die Tribus unterscheiden sich in solche, die dem Magzen, d. i. der Regierung des Sultans, ganz ergeben sind und wahre Militärkolonien darstellen, deren Mitglieder sich zeitlebens dem Sultan zur Verfügung stellen, ferner in solche, die Steuern zahlen und Soldaten beistellen müssen, ohne die Vorteile zu genießen, und endlich in solche, die vollkommen selbständig sind, und von denen die Abgaben gewaltsam eingetrieben werden müssen. Jene Gebiete, die der Autorität des Magzen direkt unterstellt sind, heißen Blad el magzen, die andern Blad el Sida. Kaum ein Fünftel des ganzen Landes gehört zum Blad el magzen. Die von der Tribu Magzen stammenden Truppen werden als Mukaznia bezeichnet. Alle männlichen Mitglieder sind militärdienstpflichtig, doch dient nur ein Teil, das sind Angehörige bestimmter, mit besondern Privilegien aus¬ gezeichneter Familien, aktiv, während die übrigen Ackerbau treibe» und die Reserve bilden. Das Haupt des Tribu ist zugleich Chef des Mukaznia. Die taktische Einheit ist die Reha, zählt fünfhundert zumeist berittne Mann, wird vom Kalb el Reha befehligt und zerfällt in fünf Mia, jede unter dem Kommando des Kalb el Mia. Bei jeder Mia gibt es mehrere Chargen, Mokkadem genannt. Jeder Tribu ist gehalten, eine bestimmte Anzahl Rehas zu stellen; die Gesäme-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/595>, abgerufen am 27.04.2024.