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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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(Line Rechtsphilosophie
von Carl Jentsch

!le Abhandlung über Rechtstechnik ist zu fachmännisch gehalten,
als daß sich ein Nichtjurist erlauben dürfte, darüber zu berichten.
Dagegen ist der "Besondere Teil", der sich in das Recht der
Einzelpersonen und das Gesamtheitsrecht gliedert, allgemein ver-
I ständlich und für jedermann interessant. Daß darin nicht der
Zusammenhang jeder einzelnen Rechtsinstitution mit den von Kohler ange-
nommnen philosophischen Grundideen des Rechts nachgewiesen wird, hat auch
Lasson an einer Stelle seiner höchst anerkennenden Rezension des Werkes an¬
gedeutet. Rationalistische Naturrechtler glauben, daß der Mensch alles ver¬
möge, was er wolle, daß er namentlich die absolut vernünftige, die vermeintlich
natürliche Staats- und Gesellschaftsordnung nicht allein herausfinden, sondern
auch verwirklichen könne, und daß es bis jetzt nur darum nicht geschehen sei,
weil der Mehrzahl die richtige Einsicht fehle. So hat jüngst wieder einmal
der französierte Russe Novicow in seinem letzten Buche ("Das Problem des
Elends") alle gesellschaftlichen Übel aus den irrigen Vorstellungen abgeleitet, die
man ganz allgemein in Beziehung auf die Natur, Schaffung und Gewinnung
des Reichtums hege. Auch die Sklaverei sei lediglich eine Wirkung dieser
Irrtümer und für die Begründung der Kultur durchaus nicht notwendig ge¬
wesen. Kohler hält es mit der ziemlich allgemein anerkannten entgegengesetzten
Ansicht. Abgesehen von der allertiefsten Kulturstufe, dem Jägerleben, auf der
die Sklaverei noch gar nicht möglich war, habe diese sich sofort nach der Er¬
klimmung der Kulturstufe des Ackerbaus als das einfachste und natürlichste
Mittel, Helfer in der Arbeit zu gewinnen, dargeboten; sogar Kriege habe man
geführt, um sich das unentbehrliche zweibeinige Arbeitvieh zu verschaffen;
außerdem hat der Aberglaube Menschenopfer gefordert, zu denen man lieber
Sklaven als Freie verwandte. Vor der Ausbildung einer höhern Gewerbe¬
technik sei die Sklaverei das einzige Mittel gewesen, größere Betriebe mit weit¬
gehender Arbeitteilung einzurichten und dadurch die Produktion zu beschleunigen
und zu vermehren, was dann eben den Fortschritt der Technik anbahnte. Das
sei jahrhundertelang nicht anders möglich gewesen als durch massenhafte Auf¬
opferung von Menschenleben und Menschenglück. "Das Opfer an sfür^ die
Kultur ist das heiligste Opfer, das der Einzelne bringen kann, das er aber




(Line Rechtsphilosophie
von Carl Jentsch

!le Abhandlung über Rechtstechnik ist zu fachmännisch gehalten,
als daß sich ein Nichtjurist erlauben dürfte, darüber zu berichten.
Dagegen ist der „Besondere Teil", der sich in das Recht der
Einzelpersonen und das Gesamtheitsrecht gliedert, allgemein ver-
I ständlich und für jedermann interessant. Daß darin nicht der
Zusammenhang jeder einzelnen Rechtsinstitution mit den von Kohler ange-
nommnen philosophischen Grundideen des Rechts nachgewiesen wird, hat auch
Lasson an einer Stelle seiner höchst anerkennenden Rezension des Werkes an¬
gedeutet. Rationalistische Naturrechtler glauben, daß der Mensch alles ver¬
möge, was er wolle, daß er namentlich die absolut vernünftige, die vermeintlich
natürliche Staats- und Gesellschaftsordnung nicht allein herausfinden, sondern
auch verwirklichen könne, und daß es bis jetzt nur darum nicht geschehen sei,
weil der Mehrzahl die richtige Einsicht fehle. So hat jüngst wieder einmal
der französierte Russe Novicow in seinem letzten Buche („Das Problem des
Elends") alle gesellschaftlichen Übel aus den irrigen Vorstellungen abgeleitet, die
man ganz allgemein in Beziehung auf die Natur, Schaffung und Gewinnung
des Reichtums hege. Auch die Sklaverei sei lediglich eine Wirkung dieser
Irrtümer und für die Begründung der Kultur durchaus nicht notwendig ge¬
wesen. Kohler hält es mit der ziemlich allgemein anerkannten entgegengesetzten
Ansicht. Abgesehen von der allertiefsten Kulturstufe, dem Jägerleben, auf der
die Sklaverei noch gar nicht möglich war, habe diese sich sofort nach der Er¬
klimmung der Kulturstufe des Ackerbaus als das einfachste und natürlichste
Mittel, Helfer in der Arbeit zu gewinnen, dargeboten; sogar Kriege habe man
geführt, um sich das unentbehrliche zweibeinige Arbeitvieh zu verschaffen;
außerdem hat der Aberglaube Menschenopfer gefordert, zu denen man lieber
Sklaven als Freie verwandte. Vor der Ausbildung einer höhern Gewerbe¬
technik sei die Sklaverei das einzige Mittel gewesen, größere Betriebe mit weit¬
gehender Arbeitteilung einzurichten und dadurch die Produktion zu beschleunigen
und zu vermehren, was dann eben den Fortschritt der Technik anbahnte. Das
sei jahrhundertelang nicht anders möglich gewesen als durch massenhafte Auf¬
opferung von Menschenleben und Menschenglück. „Das Opfer an sfür^ die
Kultur ist das heiligste Opfer, das der Einzelne bringen kann, das er aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/601>, abgerufen am 28.04.2024.