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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Goethe als Freimaurer

Die Unvollkommenheit des Völkerrechts wird als ein vorläufig nicht zu
beseitigendes Gebrechen der Menschheit anerkannt. Mit dem Gedanken, daß
es ein überstaatliches Recht gebe, sei eine höhere Kulturstufe erklommen worden,
aber dieses Recht in einem Weltreiche oder einem Weltstaate verwirklichen zu
wollen, sei ein utopischer Gedanke; es werde höchstens zu immer umfassenden
Staatenbünden und Bundesstaaten kommen. Daß der moderne Verkehr die
Staaten immer inniger miteinander verbinde, sei nicht zu verkennen. Müsse
man sich vorläufig auch mit der Humanisiernng des Krieges begnügen, die
von dem Grundsatze ausgehe, daß Krieg nur gegen den Staat, nicht gegen
die Bevölkerung geführt werde, und daß den Gegnern nicht mehr Leiden zu¬
gefügt werden dürfen, als der Zweck des Krieges fordert, so stehe doch zu er¬
warten, daß die Kriege immer seltner werden und vielleicht einmal ganz auf¬
hören werden. Der Hegelsche Satz, daß das Bestehende vernünftig sei, gelte
ganz besonders im Völkerrecht, nicht in dem Sinne, daß das Bestehende
schlechthin vernünftig und keiner Besserung bedürftig wäre, sondern nur so,
daß es trotz seiner UnVollkommenheit Gutes wirke, und daß seine gewaltsame
Änderung die Lage der Menschen verschlimmern würde. -- Ein Vorzug des
Buches ist sein mäßiger Umfang; es kann darum solchen Nichtjuristen
empfohlen werden, die sich ohne großen Aufwand von Mühe und Zeit eine
Übersicht über das ganze Gebiet der Rechtswissenschaft verschaffen wollen.




Goethe als Freimaurer

^ZU'M^S
WH>H/M^!^ M,!N Ur. 40 der Grenzboten (1908) ist über das Wesen der Frei¬
maurerei gesprochen und darauf hingewiesen worden, daß unter dem
deutschen Maurertum auch die Vertreter des klassischen Idealismus,
insbesondre Herder. Lessing, Goethe, Wieland, Fichte und andre
Jm nennen sind. Eben ist ein Buch*) erschienen, in dein Goethes
persönliche Beziehungen zur Freimaurerei geschildert werden, der er über fünfzig
Jahre angehört hat. Die erste Annäherung an die Gesellschaften versuchte der
Dichter schon 1764 in seiner Vaterstadt Frankfurt a. M, wo einige Jahre
vorher die Arkadische Gesellschaft Philandria gestiftet worden war, die zu den
geheimen Orden gehörte. Man wurde unter symbolischen Handlungen aufge¬
nommen, nachdem unter großer Vorsicht eine gehörige Prüfung durch die Auf¬
seher heimlich vorangegangen war. Goethe bestand diese Prüfung nicht, und



Goethe als Freimaurer. Von Gotthold Delle. Ernst Siegfried Mittler und
Sohn, Berlin 190L. Sonderheft der Stunden mit Goethe. 327 S. Preis 4 Mark.
Goethe als Freimaurer

Die Unvollkommenheit des Völkerrechts wird als ein vorläufig nicht zu
beseitigendes Gebrechen der Menschheit anerkannt. Mit dem Gedanken, daß
es ein überstaatliches Recht gebe, sei eine höhere Kulturstufe erklommen worden,
aber dieses Recht in einem Weltreiche oder einem Weltstaate verwirklichen zu
wollen, sei ein utopischer Gedanke; es werde höchstens zu immer umfassenden
Staatenbünden und Bundesstaaten kommen. Daß der moderne Verkehr die
Staaten immer inniger miteinander verbinde, sei nicht zu verkennen. Müsse
man sich vorläufig auch mit der Humanisiernng des Krieges begnügen, die
von dem Grundsatze ausgehe, daß Krieg nur gegen den Staat, nicht gegen
die Bevölkerung geführt werde, und daß den Gegnern nicht mehr Leiden zu¬
gefügt werden dürfen, als der Zweck des Krieges fordert, so stehe doch zu er¬
warten, daß die Kriege immer seltner werden und vielleicht einmal ganz auf¬
hören werden. Der Hegelsche Satz, daß das Bestehende vernünftig sei, gelte
ganz besonders im Völkerrecht, nicht in dem Sinne, daß das Bestehende
schlechthin vernünftig und keiner Besserung bedürftig wäre, sondern nur so,
daß es trotz seiner UnVollkommenheit Gutes wirke, und daß seine gewaltsame
Änderung die Lage der Menschen verschlimmern würde. — Ein Vorzug des
Buches ist sein mäßiger Umfang; es kann darum solchen Nichtjuristen
empfohlen werden, die sich ohne großen Aufwand von Mühe und Zeit eine
Übersicht über das ganze Gebiet der Rechtswissenschaft verschaffen wollen.




Goethe als Freimaurer

^ZU'M^S
WH>H/M^!^ M,!N Ur. 40 der Grenzboten (1908) ist über das Wesen der Frei¬
maurerei gesprochen und darauf hingewiesen worden, daß unter dem
deutschen Maurertum auch die Vertreter des klassischen Idealismus,
insbesondre Herder. Lessing, Goethe, Wieland, Fichte und andre
Jm nennen sind. Eben ist ein Buch*) erschienen, in dein Goethes
persönliche Beziehungen zur Freimaurerei geschildert werden, der er über fünfzig
Jahre angehört hat. Die erste Annäherung an die Gesellschaften versuchte der
Dichter schon 1764 in seiner Vaterstadt Frankfurt a. M, wo einige Jahre
vorher die Arkadische Gesellschaft Philandria gestiftet worden war, die zu den
geheimen Orden gehörte. Man wurde unter symbolischen Handlungen aufge¬
nommen, nachdem unter großer Vorsicht eine gehörige Prüfung durch die Auf¬
seher heimlich vorangegangen war. Goethe bestand diese Prüfung nicht, und



Goethe als Freimaurer. Von Gotthold Delle. Ernst Siegfried Mittler und
Sohn, Berlin 190L. Sonderheft der Stunden mit Goethe. 327 S. Preis 4 Mark.
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[0612] Goethe als Freimaurer Die Unvollkommenheit des Völkerrechts wird als ein vorläufig nicht zu beseitigendes Gebrechen der Menschheit anerkannt. Mit dem Gedanken, daß es ein überstaatliches Recht gebe, sei eine höhere Kulturstufe erklommen worden, aber dieses Recht in einem Weltreiche oder einem Weltstaate verwirklichen zu wollen, sei ein utopischer Gedanke; es werde höchstens zu immer umfassenden Staatenbünden und Bundesstaaten kommen. Daß der moderne Verkehr die Staaten immer inniger miteinander verbinde, sei nicht zu verkennen. Müsse man sich vorläufig auch mit der Humanisiernng des Krieges begnügen, die von dem Grundsatze ausgehe, daß Krieg nur gegen den Staat, nicht gegen die Bevölkerung geführt werde, und daß den Gegnern nicht mehr Leiden zu¬ gefügt werden dürfen, als der Zweck des Krieges fordert, so stehe doch zu er¬ warten, daß die Kriege immer seltner werden und vielleicht einmal ganz auf¬ hören werden. Der Hegelsche Satz, daß das Bestehende vernünftig sei, gelte ganz besonders im Völkerrecht, nicht in dem Sinne, daß das Bestehende schlechthin vernünftig und keiner Besserung bedürftig wäre, sondern nur so, daß es trotz seiner UnVollkommenheit Gutes wirke, und daß seine gewaltsame Änderung die Lage der Menschen verschlimmern würde. — Ein Vorzug des Buches ist sein mäßiger Umfang; es kann darum solchen Nichtjuristen empfohlen werden, die sich ohne großen Aufwand von Mühe und Zeit eine Übersicht über das ganze Gebiet der Rechtswissenschaft verschaffen wollen. Goethe als Freimaurer ^ZU'M^S WH>H/M^!^ M,!N Ur. 40 der Grenzboten (1908) ist über das Wesen der Frei¬ maurerei gesprochen und darauf hingewiesen worden, daß unter dem deutschen Maurertum auch die Vertreter des klassischen Idealismus, insbesondre Herder. Lessing, Goethe, Wieland, Fichte und andre Jm nennen sind. Eben ist ein Buch*) erschienen, in dein Goethes persönliche Beziehungen zur Freimaurerei geschildert werden, der er über fünfzig Jahre angehört hat. Die erste Annäherung an die Gesellschaften versuchte der Dichter schon 1764 in seiner Vaterstadt Frankfurt a. M, wo einige Jahre vorher die Arkadische Gesellschaft Philandria gestiftet worden war, die zu den geheimen Orden gehörte. Man wurde unter symbolischen Handlungen aufge¬ nommen, nachdem unter großer Vorsicht eine gehörige Prüfung durch die Auf¬ seher heimlich vorangegangen war. Goethe bestand diese Prüfung nicht, und Goethe als Freimaurer. Von Gotthold Delle. Ernst Siegfried Mittler und Sohn, Berlin 190L. Sonderheft der Stunden mit Goethe. 327 S. Preis 4 Mark.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/612>, abgerufen am 28.04.2024.