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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Seydewitz schnappte ein wenig nach Luft, wie ein Renner nach einem
schnellen Lauf.

Herr Bürgermeister, sagte er dann lächelnd, der Idiot hatte keinen Haftbefehl.
Deshalb warf ich ihn hinaus.

Der Bürgermeister riß Mund und Nase auf. Haftbefehl!

Ja, sagte Seydewitz lächelnd. Sie wenden natürlich derartige Formalitäten
selbst nicht einmal an. Aber wie Sie sehen, Herr Bürgermeister, es kann zu¬
weilen gut sein, die Papiere in Ordnung zu haben, und manches von dem, was
wir zum Examen lernen, hat praktische Bedeutung.

Lieber junger Freund, sagte der Bürgermeister, das war vortrefflich -- es
war mehr als das; besser, als ich es getan haben könnte.

Aber was jetzt? sagte Hilmer.

Jetzt fahre ich sofort in die Stadt, sagte der Bürgermeister. Ich telegraphiere
an den Amtmann, wenn es sein muß an den Minister; ich verspreche Ihnen, lieber
Freund, ich setze mein Amt für die Geschichte hier ein.

Die Gesellschaft versammelte sich allmählich, die Stimmung war gedrückt. Der
Hofjägermeister und der Postmeister brachen schnell auf. Der Bürgermeister meinte
ebenfalls, es sei das beste, keine Zeit zu verlieren, und Justesen bekam Order, an¬
zuspannen.

Seydewitz stand auf dem Flur -- um seinen Mantel zu suchen. Die Tür
ging auf, und Jnger glitt daraus hervor.

Herr Seydewitz, sagte sie blutrot, Sie müssen das von vorhin entschuldige".

Seydewitz wandte sich zu ihr.

Fräulein Jnger, sagte er -- nnr unter einer Bedingung. Er trat ein paar
Schritt auf sie zu. Daß Sie -- es noch einmal tun.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Vom sozialdemokratischen Parteitag. Berlin und Tnntenhansen. Die Reisen
des Reichskanzlers. Kaisermanöver.)

In der vergangnen Woche haben die Sozialdemokrnten ihren Parteitag ab¬
gehalten. Wir haben schon daran erinnert, daß die bürgerlichen Parteien diesen
Beratungen mit Aufmerksamkeit zu folgen Pflegen, wie es sich ganz natürlich aus
der Rolle ergibt, die die Sozialdemokratie in unserm Politischen Leben spielt.
Außerdem fällt diese Veranstaltung in eine Zeit des Jahres, in der die politische
Welt zu solchen Auseinandersetzungen besonders aufgelegt ist. Es ist für die
Arbeiten der innern Politik immer noch "tote Saison", aber desto eifriger rüsten
sich die Parteien zu den Kämpfen, die in der neuen parlamentarischen Arbeits¬
periode im Winter zu erwarten sind. So ist es denn nicht nur verständlich,
sondern auch durchaus richtig, daß die rote Woche in Leipzig der Gegenstand
gründlicher Beobachtung gewesen ist. Nur kaun man sich des Eindrucks nicht er¬
wehren, als ob dabei von der bürgerlichen Presse etwas zu viel geschähe. Ver¬
zeihlich ist es insofern, als der Durchschnittsgeschmack des modernen Zeituuglesers


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Seydewitz schnappte ein wenig nach Luft, wie ein Renner nach einem
schnellen Lauf.

Herr Bürgermeister, sagte er dann lächelnd, der Idiot hatte keinen Haftbefehl.
Deshalb warf ich ihn hinaus.

Der Bürgermeister riß Mund und Nase auf. Haftbefehl!

Ja, sagte Seydewitz lächelnd. Sie wenden natürlich derartige Formalitäten
selbst nicht einmal an. Aber wie Sie sehen, Herr Bürgermeister, es kann zu¬
weilen gut sein, die Papiere in Ordnung zu haben, und manches von dem, was
wir zum Examen lernen, hat praktische Bedeutung.

Lieber junger Freund, sagte der Bürgermeister, das war vortrefflich — es
war mehr als das; besser, als ich es getan haben könnte.

Aber was jetzt? sagte Hilmer.

Jetzt fahre ich sofort in die Stadt, sagte der Bürgermeister. Ich telegraphiere
an den Amtmann, wenn es sein muß an den Minister; ich verspreche Ihnen, lieber
Freund, ich setze mein Amt für die Geschichte hier ein.

Die Gesellschaft versammelte sich allmählich, die Stimmung war gedrückt. Der
Hofjägermeister und der Postmeister brachen schnell auf. Der Bürgermeister meinte
ebenfalls, es sei das beste, keine Zeit zu verlieren, und Justesen bekam Order, an¬
zuspannen.

Seydewitz stand auf dem Flur — um seinen Mantel zu suchen. Die Tür
ging auf, und Jnger glitt daraus hervor.

Herr Seydewitz, sagte sie blutrot, Sie müssen das von vorhin entschuldige».

Seydewitz wandte sich zu ihr.

Fräulein Jnger, sagte er — nnr unter einer Bedingung. Er trat ein paar
Schritt auf sie zu. Daß Sie — es noch einmal tun.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Vom sozialdemokratischen Parteitag. Berlin und Tnntenhansen. Die Reisen
des Reichskanzlers. Kaisermanöver.)

In der vergangnen Woche haben die Sozialdemokrnten ihren Parteitag ab¬
gehalten. Wir haben schon daran erinnert, daß die bürgerlichen Parteien diesen
Beratungen mit Aufmerksamkeit zu folgen Pflegen, wie es sich ganz natürlich aus
der Rolle ergibt, die die Sozialdemokratie in unserm Politischen Leben spielt.
Außerdem fällt diese Veranstaltung in eine Zeit des Jahres, in der die politische
Welt zu solchen Auseinandersetzungen besonders aufgelegt ist. Es ist für die
Arbeiten der innern Politik immer noch „tote Saison", aber desto eifriger rüsten
sich die Parteien zu den Kämpfen, die in der neuen parlamentarischen Arbeits¬
periode im Winter zu erwarten sind. So ist es denn nicht nur verständlich,
sondern auch durchaus richtig, daß die rote Woche in Leipzig der Gegenstand
gründlicher Beobachtung gewesen ist. Nur kaun man sich des Eindrucks nicht er¬
wehren, als ob dabei von der bürgerlichen Presse etwas zu viel geschähe. Ver¬
zeihlich ist es insofern, als der Durchschnittsgeschmack des modernen Zeituuglesers


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[0629] Maßgebliches und Unmaßgebliches Seydewitz schnappte ein wenig nach Luft, wie ein Renner nach einem schnellen Lauf. Herr Bürgermeister, sagte er dann lächelnd, der Idiot hatte keinen Haftbefehl. Deshalb warf ich ihn hinaus. Der Bürgermeister riß Mund und Nase auf. Haftbefehl! Ja, sagte Seydewitz lächelnd. Sie wenden natürlich derartige Formalitäten selbst nicht einmal an. Aber wie Sie sehen, Herr Bürgermeister, es kann zu¬ weilen gut sein, die Papiere in Ordnung zu haben, und manches von dem, was wir zum Examen lernen, hat praktische Bedeutung. Lieber junger Freund, sagte der Bürgermeister, das war vortrefflich — es war mehr als das; besser, als ich es getan haben könnte. Aber was jetzt? sagte Hilmer. Jetzt fahre ich sofort in die Stadt, sagte der Bürgermeister. Ich telegraphiere an den Amtmann, wenn es sein muß an den Minister; ich verspreche Ihnen, lieber Freund, ich setze mein Amt für die Geschichte hier ein. Die Gesellschaft versammelte sich allmählich, die Stimmung war gedrückt. Der Hofjägermeister und der Postmeister brachen schnell auf. Der Bürgermeister meinte ebenfalls, es sei das beste, keine Zeit zu verlieren, und Justesen bekam Order, an¬ zuspannen. Seydewitz stand auf dem Flur — um seinen Mantel zu suchen. Die Tür ging auf, und Jnger glitt daraus hervor. Herr Seydewitz, sagte sie blutrot, Sie müssen das von vorhin entschuldige». Seydewitz wandte sich zu ihr. Fräulein Jnger, sagte er — nnr unter einer Bedingung. Er trat ein paar Schritt auf sie zu. Daß Sie — es noch einmal tun. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Vom sozialdemokratischen Parteitag. Berlin und Tnntenhansen. Die Reisen des Reichskanzlers. Kaisermanöver.) In der vergangnen Woche haben die Sozialdemokrnten ihren Parteitag ab¬ gehalten. Wir haben schon daran erinnert, daß die bürgerlichen Parteien diesen Beratungen mit Aufmerksamkeit zu folgen Pflegen, wie es sich ganz natürlich aus der Rolle ergibt, die die Sozialdemokratie in unserm Politischen Leben spielt. Außerdem fällt diese Veranstaltung in eine Zeit des Jahres, in der die politische Welt zu solchen Auseinandersetzungen besonders aufgelegt ist. Es ist für die Arbeiten der innern Politik immer noch „tote Saison", aber desto eifriger rüsten sich die Parteien zu den Kämpfen, die in der neuen parlamentarischen Arbeits¬ periode im Winter zu erwarten sind. So ist es denn nicht nur verständlich, sondern auch durchaus richtig, daß die rote Woche in Leipzig der Gegenstand gründlicher Beobachtung gewesen ist. Nur kaun man sich des Eindrucks nicht er¬ wehren, als ob dabei von der bürgerlichen Presse etwas zu viel geschähe. Ver¬ zeihlich ist es insofern, als der Durchschnittsgeschmack des modernen Zeituuglesers

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/629>, abgerufen am 27.04.2024.