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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr.

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Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

auch durchzuführen, und bewährt es sich nicht, so verscherzen sie sich damit die
Gunst der Wähler, gefährden ihre Stellung und versperren sich die Rückkehr
ins Amt.

Low beschreibt u. a. noch den gründlichen Wandel, der sich seit dem Re¬
gierungsantritt der Königin Viktoria in der Schätzung und Stellung des
Monarchen vollzogen hat, und macht eine Reihe von Vorschlägen zur Reform
beider Häuser des Parlaments. In einem Ausblick in die Zukunft, mit dem
er schließt, erinnert er an die politische Bedeutung des Gegensatzes von reich
und arm, der oft so grell hervortrete, z. B. wenn die Gäste eines vornehmen
Hauses ihre Wagen besteigen, und die umherstehenden Zuschauer auf den Stirnen
der Damen Steine funkeln sehen, deren jeder so viel kostet, wie ein Arbeiter
an Jahreslvhn einnimmt. "IZn <ZÄt, ils sont clef IiommkL, schrieb La Bruyere
in seiner bittern Beschreibung des französischen Landvolks unter dem auoieu
rgFimo. Sie waren Menschen, aber sie waren keine Wähler. Unser moderner
Reichtum, der wohlwollender, zurückhaltender, weniger anmaßend ist als der der
frühern Zeiten, lebt gleichwohl unter den prüfenden Blicken eines bewaffneten
und mitunter hungrigen Riesen. Die Demokratie Englands hat bis jetzt ihre
Macht noch nicht benutzt, ja sie ist sich ihrer kaum bewußt worden. Aber das
ist Umständen und Bedingungen zuzuschreiben, die nicht ewig sind, und die
vielleicht nicht mehr lange fortdauern werden." Zu den hemmenden Umständen
hat, wie ich oft hervorgehoben habe, das Analphabetentum der ärmern Be¬
völkerung gehört; erst jetzt fängt die Schulbildung an, allgemein zu werden,
und ist den sozialistischen Agitatoren die Möglichkeit gegeben, durch die Presse
auf alle Angehörigen des vierten Standes einzuwirken. Bis jetzt sind die
Parlamentsparteien nichts weniger als Vertretungen sozialer Schichten gewesen,
Carl Ientsch in Zukunft können sie das werden.




Zur Hchicksalsstunde des ehemaligen Königreichs
Hannover
von G. v. Bismarck 2

ar nicht zweifelhaft über die sicher bevorstehende Demütigung
Preußens zeigte sich nur der eingefleischte Partikularismus, der
dynastische wie der radikal demokratische und, gegen das pro¬
testantische Preußen stets auf der Lauer liegend, der Ultramonta¬
nismus. In diesen Lagern war lediglich der Wunsch der Vater
des Gedankens. Das übrige Deutschland schaute doch besorgt auf Preußen, von
dem es bei aller Abneigung gegen dessen Staatswesen und seine augenblickliche
Leitung dennoch die Zukunft Deutschlands erhoffte. Denn ganz unvermerkt,


Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover

auch durchzuführen, und bewährt es sich nicht, so verscherzen sie sich damit die
Gunst der Wähler, gefährden ihre Stellung und versperren sich die Rückkehr
ins Amt.

Low beschreibt u. a. noch den gründlichen Wandel, der sich seit dem Re¬
gierungsantritt der Königin Viktoria in der Schätzung und Stellung des
Monarchen vollzogen hat, und macht eine Reihe von Vorschlägen zur Reform
beider Häuser des Parlaments. In einem Ausblick in die Zukunft, mit dem
er schließt, erinnert er an die politische Bedeutung des Gegensatzes von reich
und arm, der oft so grell hervortrete, z. B. wenn die Gäste eines vornehmen
Hauses ihre Wagen besteigen, und die umherstehenden Zuschauer auf den Stirnen
der Damen Steine funkeln sehen, deren jeder so viel kostet, wie ein Arbeiter
an Jahreslvhn einnimmt. „IZn <ZÄt, ils sont clef IiommkL, schrieb La Bruyere
in seiner bittern Beschreibung des französischen Landvolks unter dem auoieu
rgFimo. Sie waren Menschen, aber sie waren keine Wähler. Unser moderner
Reichtum, der wohlwollender, zurückhaltender, weniger anmaßend ist als der der
frühern Zeiten, lebt gleichwohl unter den prüfenden Blicken eines bewaffneten
und mitunter hungrigen Riesen. Die Demokratie Englands hat bis jetzt ihre
Macht noch nicht benutzt, ja sie ist sich ihrer kaum bewußt worden. Aber das
ist Umständen und Bedingungen zuzuschreiben, die nicht ewig sind, und die
vielleicht nicht mehr lange fortdauern werden." Zu den hemmenden Umständen
hat, wie ich oft hervorgehoben habe, das Analphabetentum der ärmern Be¬
völkerung gehört; erst jetzt fängt die Schulbildung an, allgemein zu werden,
und ist den sozialistischen Agitatoren die Möglichkeit gegeben, durch die Presse
auf alle Angehörigen des vierten Standes einzuwirken. Bis jetzt sind die
Parlamentsparteien nichts weniger als Vertretungen sozialer Schichten gewesen,
Carl Ientsch in Zukunft können sie das werden.




Zur Hchicksalsstunde des ehemaligen Königreichs
Hannover
von G. v. Bismarck 2

ar nicht zweifelhaft über die sicher bevorstehende Demütigung
Preußens zeigte sich nur der eingefleischte Partikularismus, der
dynastische wie der radikal demokratische und, gegen das pro¬
testantische Preußen stets auf der Lauer liegend, der Ultramonta¬
nismus. In diesen Lagern war lediglich der Wunsch der Vater
des Gedankens. Das übrige Deutschland schaute doch besorgt auf Preußen, von
dem es bei aller Abneigung gegen dessen Staatswesen und seine augenblickliche
Leitung dennoch die Zukunft Deutschlands erhoffte. Denn ganz unvermerkt,


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[0079] Zur Schicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover auch durchzuführen, und bewährt es sich nicht, so verscherzen sie sich damit die Gunst der Wähler, gefährden ihre Stellung und versperren sich die Rückkehr ins Amt. Low beschreibt u. a. noch den gründlichen Wandel, der sich seit dem Re¬ gierungsantritt der Königin Viktoria in der Schätzung und Stellung des Monarchen vollzogen hat, und macht eine Reihe von Vorschlägen zur Reform beider Häuser des Parlaments. In einem Ausblick in die Zukunft, mit dem er schließt, erinnert er an die politische Bedeutung des Gegensatzes von reich und arm, der oft so grell hervortrete, z. B. wenn die Gäste eines vornehmen Hauses ihre Wagen besteigen, und die umherstehenden Zuschauer auf den Stirnen der Damen Steine funkeln sehen, deren jeder so viel kostet, wie ein Arbeiter an Jahreslvhn einnimmt. „IZn <ZÄt, ils sont clef IiommkL, schrieb La Bruyere in seiner bittern Beschreibung des französischen Landvolks unter dem auoieu rgFimo. Sie waren Menschen, aber sie waren keine Wähler. Unser moderner Reichtum, der wohlwollender, zurückhaltender, weniger anmaßend ist als der der frühern Zeiten, lebt gleichwohl unter den prüfenden Blicken eines bewaffneten und mitunter hungrigen Riesen. Die Demokratie Englands hat bis jetzt ihre Macht noch nicht benutzt, ja sie ist sich ihrer kaum bewußt worden. Aber das ist Umständen und Bedingungen zuzuschreiben, die nicht ewig sind, und die vielleicht nicht mehr lange fortdauern werden." Zu den hemmenden Umständen hat, wie ich oft hervorgehoben habe, das Analphabetentum der ärmern Be¬ völkerung gehört; erst jetzt fängt die Schulbildung an, allgemein zu werden, und ist den sozialistischen Agitatoren die Möglichkeit gegeben, durch die Presse auf alle Angehörigen des vierten Standes einzuwirken. Bis jetzt sind die Parlamentsparteien nichts weniger als Vertretungen sozialer Schichten gewesen, Carl Ientsch in Zukunft können sie das werden. Zur Hchicksalsstunde des ehemaligen Königreichs Hannover von G. v. Bismarck 2 ar nicht zweifelhaft über die sicher bevorstehende Demütigung Preußens zeigte sich nur der eingefleischte Partikularismus, der dynastische wie der radikal demokratische und, gegen das pro¬ testantische Preußen stets auf der Lauer liegend, der Ultramonta¬ nismus. In diesen Lagern war lediglich der Wunsch der Vater des Gedankens. Das übrige Deutschland schaute doch besorgt auf Preußen, von dem es bei aller Abneigung gegen dessen Staatswesen und seine augenblickliche Leitung dennoch die Zukunft Deutschlands erhoffte. Denn ganz unvermerkt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_313702/79>, abgerufen am 28.04.2024.