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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Line Lapplandfahrt zur Winterszeit

er dem Winke des Todes gefolgt, wie er dem Winke des Lebens zu folgen
pflegte: rasch dahin, ohne längeres Gefackel ... Er war nicht bloß der kind¬
hafte Spielmann, nicht nur der Junker Übermut, der liebenswürdige Leicht¬
sinn, für den ihn viele gehalten haben, er war auch der Mann der schweren
Stunde", der einsamen Fragen und Gedanken, und er hat nur deshalb das
menschliche Leben in ein launisches Spiel der Natur umgedichtet, weil er den
furchtbaren Ernst unsers Lebens aus innerster Erfahrung begriff, weil er sich
befreien wollte von der grausamen Notwendigkeit ... Er hat erst als Mann
zu dichten begonnen, der vom Schicksale geprüft war . . . Deshalb der edel-
münnische Zauber seiner ganzen Gestalt, dessen sonniger Liebenswürdigkeit
niemand widerstehn konnte, der selbst seine trübsten und leidvollsten Angelegen¬
heiten in Heller Lust vor uns allen verhandelt hat, und der uns auch über
den Abschiedsschmerz noch hinweghilft."




Line Lapplandsahrt zur Winterszeit
von Arnold Jacob!

saß jemand dem Schnee nachreist, würde heute in der Zeit des
Wintersports nicht weiter auffallen, aber wer dabei, wie ich, bis
in die Polarzone geht, ohne das Unbehagen und den Zeitauf¬
wand der Seereise und einer mehrtägigen Eisenbahnfahrt zu
! scheuen, der muß dem Uneingeweihten als Sonderling erscheinen.
Darum sei dem Leser verraten, daß ich nicht um des Naturgenusses willen,
sondern deshalb nach Norden zog, weil ich mich über die Renntierhaltung der
Lappen für gewisse völkerkundliche Studien unterrichten wollte. Im Winter
aber machen Eisdecke und Schlittenbahn es leichter, diese Halbnomaden an
ihren zeitweiligen Standplätzen aufzusuchen als im Sommer, wo man ihnen
durch Wälder, Sümpfe und Mückenschwärme aufs Hochgebirge nachziehen
müßte. So fuhr ich denn Anfang März vorigen Jahres mit der Eisenbahn,
die Schweden nordsüdlich als Verkehrsrückgrat durchschneidet, bis zu der schon
jenseit des Polarkreises im Gebirge liegenden Stadt Kirr na. Erst vor zehn
Jahren entstanden, verdanken dieser Ort ebenso wie die Lapplandbahn, die
Bohnischen Busen und Eismeer verbindet, ihr Dasein nur den reichen, hoch¬
wertigen Eisenerzen, die man in unmittelbarer Nähe abhaut; er ist mit ameri¬
kanischer Schnelligkeit in jener kurzen Zeitspanne zu einer wohlgebauten, aus¬
gedehnten Stadt herangewachsen. Kiruna also wurde der Ausgangspunkt
für meine weitere Reise in das Herz der schwedischen Lappmark. Von zwei
dortigen Großhändlern, den Herren Green und Harun, in zuvorkommender
Weise beraten und mit Pelzen und Proviant wohl versehen, fuhr ich eines


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er dem Winke des Todes gefolgt, wie er dem Winke des Lebens zu folgen
pflegte: rasch dahin, ohne längeres Gefackel ... Er war nicht bloß der kind¬
hafte Spielmann, nicht nur der Junker Übermut, der liebenswürdige Leicht¬
sinn, für den ihn viele gehalten haben, er war auch der Mann der schweren
Stunde«, der einsamen Fragen und Gedanken, und er hat nur deshalb das
menschliche Leben in ein launisches Spiel der Natur umgedichtet, weil er den
furchtbaren Ernst unsers Lebens aus innerster Erfahrung begriff, weil er sich
befreien wollte von der grausamen Notwendigkeit ... Er hat erst als Mann
zu dichten begonnen, der vom Schicksale geprüft war . . . Deshalb der edel-
münnische Zauber seiner ganzen Gestalt, dessen sonniger Liebenswürdigkeit
niemand widerstehn konnte, der selbst seine trübsten und leidvollsten Angelegen¬
heiten in Heller Lust vor uns allen verhandelt hat, und der uns auch über
den Abschiedsschmerz noch hinweghilft."




Line Lapplandsahrt zur Winterszeit
von Arnold Jacob!

saß jemand dem Schnee nachreist, würde heute in der Zeit des
Wintersports nicht weiter auffallen, aber wer dabei, wie ich, bis
in die Polarzone geht, ohne das Unbehagen und den Zeitauf¬
wand der Seereise und einer mehrtägigen Eisenbahnfahrt zu
! scheuen, der muß dem Uneingeweihten als Sonderling erscheinen.
Darum sei dem Leser verraten, daß ich nicht um des Naturgenusses willen,
sondern deshalb nach Norden zog, weil ich mich über die Renntierhaltung der
Lappen für gewisse völkerkundliche Studien unterrichten wollte. Im Winter
aber machen Eisdecke und Schlittenbahn es leichter, diese Halbnomaden an
ihren zeitweiligen Standplätzen aufzusuchen als im Sommer, wo man ihnen
durch Wälder, Sümpfe und Mückenschwärme aufs Hochgebirge nachziehen
müßte. So fuhr ich denn Anfang März vorigen Jahres mit der Eisenbahn,
die Schweden nordsüdlich als Verkehrsrückgrat durchschneidet, bis zu der schon
jenseit des Polarkreises im Gebirge liegenden Stadt Kirr na. Erst vor zehn
Jahren entstanden, verdanken dieser Ort ebenso wie die Lapplandbahn, die
Bohnischen Busen und Eismeer verbindet, ihr Dasein nur den reichen, hoch¬
wertigen Eisenerzen, die man in unmittelbarer Nähe abhaut; er ist mit ameri¬
kanischer Schnelligkeit in jener kurzen Zeitspanne zu einer wohlgebauten, aus¬
gedehnten Stadt herangewachsen. Kiruna also wurde der Ausgangspunkt
für meine weitere Reise in das Herz der schwedischen Lappmark. Von zwei
dortigen Großhändlern, den Herren Green und Harun, in zuvorkommender
Weise beraten und mit Pelzen und Proviant wohl versehen, fuhr ich eines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/32>, abgerufen am 03.05.2024.