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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nein, erwiderte ich, das bin ich nicht -- aber ich bin fest überzeugt, daß eine
Frau den liebt, den sie so ansieht!

Champagner! rief er in den Garten hinab, dem Kellner zu, die beste Marke,
die Sie führen, Pommery oder Cliqnot! -- Ich will dir nur sagen, fügte er zu
mir gewandt hinzu, daß meine Cousine mich so ansah -- wenigstens ungefähr
so -- an dem Tage, als ich abreiste.




Wir kehrten mit dem letzten Zuge in die Stadt zurück, wir waren die einzigen,
die in Fredensborg einstiegen, und niemand von uns hat jemals wieder das geringste
von "Gerald" oder von "Ast" gehört.

Als ich im vergangnen Jahre im Billardzimmer nach der Fensterscheibe sah,
war sie durch eine andre ersetzt, und der Schloßkrug hatte einen neuen Wirt be¬
kommen, der nicht mit der Vergangenheit Bescheid wußte.

Es scheint ja fast, als ob alle Spuren von den beiden, die an jenem 9. August
in der Eremitagenallee verschwanden, ausgelöscht sein sollen -- aber es war doch
ein Abglanz ihres Glücks, der Frederik Gjedde eine Braut brachte.



Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Jswolski und Aehrenthal. Englisch-deutsche Beziehungen. Deutschland und
Frankreich in Marokko. Die innerpolitische Lage. Der Kieler Werstprozeß.)

Von der europäischen Lage ist jetzt wieder viel die Rede. Es ist die natürliche
Folge des Zarenbesuchs in Racconigi, der immer noch fortbestehenden Schwierig¬
keiten im europäischen Orient und auch der Entwicklung der Verhältnisse in England.
Nach den Erörterungen über Racconigi konnte es nicht ausbleiben, daß die chauvi¬
nistische russische Presse an die antiösterreichische Stimmung in Italien anknüpfte
und die Annäherung zwischen Rußland und Italien benutzte, um auch Nußland
und Österreich-Ungarn in scharfem Gegensatz zueinander erscheinen zu lassen.
Inzwischen wurde mau aufmerksam auf Veröffentlichungen der englischen Zeitschrift
Fortnightly Review. wonach Jswolski zu der Okkupation Bosniens und der
Herzegowina, über die er vorher verständigt worden war, schon vorher seine Zu¬
stimmung ausgesprochen haben sollte. Die schon oft zutage getretne persönliche
Gereiztheit Jswolskis gegen den Grafen Aehrenthal wurde dnrch diese unbequeme
Enthüllung aufs neue angefacht, und die Folge war ein in der Presse beider
Länder ausgefochtner förmlicher Kampf zwischen den beiden Staatsmännern. Vom
Standpunkte der deutschen Interessen haben wir keine Veranlassung, diesem Streite,
dem die Tagespresse aller Kulturländer mit Aufmerksamkeit folgt, auch in einer
zusammenfassenden Betrachtung näherzutreten. Das. was daran von geschichtlicher
Bedeutung ist. ist in dem gegenwärtigen Streite noch nicht genügend geklärt; politisch
"ber kann uus nichts daran liegen, die alten Gegensätze zwischen russischer und
österreichisch-ungarischer Balkanpolitik wieder aufgerührt zu sehen. Unsre Politik


Grenzboten IV 1909 49
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Nein, erwiderte ich, das bin ich nicht — aber ich bin fest überzeugt, daß eine
Frau den liebt, den sie so ansieht!

Champagner! rief er in den Garten hinab, dem Kellner zu, die beste Marke,
die Sie führen, Pommery oder Cliqnot! — Ich will dir nur sagen, fügte er zu
mir gewandt hinzu, daß meine Cousine mich so ansah — wenigstens ungefähr
so — an dem Tage, als ich abreiste.




Wir kehrten mit dem letzten Zuge in die Stadt zurück, wir waren die einzigen,
die in Fredensborg einstiegen, und niemand von uns hat jemals wieder das geringste
von „Gerald" oder von „Ast" gehört.

Als ich im vergangnen Jahre im Billardzimmer nach der Fensterscheibe sah,
war sie durch eine andre ersetzt, und der Schloßkrug hatte einen neuen Wirt be¬
kommen, der nicht mit der Vergangenheit Bescheid wußte.

Es scheint ja fast, als ob alle Spuren von den beiden, die an jenem 9. August
in der Eremitagenallee verschwanden, ausgelöscht sein sollen — aber es war doch
ein Abglanz ihres Glücks, der Frederik Gjedde eine Braut brachte.



Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

(Jswolski und Aehrenthal. Englisch-deutsche Beziehungen. Deutschland und
Frankreich in Marokko. Die innerpolitische Lage. Der Kieler Werstprozeß.)

Von der europäischen Lage ist jetzt wieder viel die Rede. Es ist die natürliche
Folge des Zarenbesuchs in Racconigi, der immer noch fortbestehenden Schwierig¬
keiten im europäischen Orient und auch der Entwicklung der Verhältnisse in England.
Nach den Erörterungen über Racconigi konnte es nicht ausbleiben, daß die chauvi¬
nistische russische Presse an die antiösterreichische Stimmung in Italien anknüpfte
und die Annäherung zwischen Rußland und Italien benutzte, um auch Nußland
und Österreich-Ungarn in scharfem Gegensatz zueinander erscheinen zu lassen.
Inzwischen wurde mau aufmerksam auf Veröffentlichungen der englischen Zeitschrift
Fortnightly Review. wonach Jswolski zu der Okkupation Bosniens und der
Herzegowina, über die er vorher verständigt worden war, schon vorher seine Zu¬
stimmung ausgesprochen haben sollte. Die schon oft zutage getretne persönliche
Gereiztheit Jswolskis gegen den Grafen Aehrenthal wurde dnrch diese unbequeme
Enthüllung aufs neue angefacht, und die Folge war ein in der Presse beider
Länder ausgefochtner förmlicher Kampf zwischen den beiden Staatsmännern. Vom
Standpunkte der deutschen Interessen haben wir keine Veranlassung, diesem Streite,
dem die Tagespresse aller Kulturländer mit Aufmerksamkeit folgt, auch in einer
zusammenfassenden Betrachtung näherzutreten. Das. was daran von geschichtlicher
Bedeutung ist. ist in dem gegenwärtigen Streite noch nicht genügend geklärt; politisch
"ber kann uus nichts daran liegen, die alten Gegensätze zwischen russischer und
österreichisch-ungarischer Balkanpolitik wieder aufgerührt zu sehen. Unsre Politik


Grenzboten IV 1909 49
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[0389] Maßgebliches und Unmaßgebliches Nein, erwiderte ich, das bin ich nicht — aber ich bin fest überzeugt, daß eine Frau den liebt, den sie so ansieht! Champagner! rief er in den Garten hinab, dem Kellner zu, die beste Marke, die Sie führen, Pommery oder Cliqnot! — Ich will dir nur sagen, fügte er zu mir gewandt hinzu, daß meine Cousine mich so ansah — wenigstens ungefähr so — an dem Tage, als ich abreiste. Wir kehrten mit dem letzten Zuge in die Stadt zurück, wir waren die einzigen, die in Fredensborg einstiegen, und niemand von uns hat jemals wieder das geringste von „Gerald" oder von „Ast" gehört. Als ich im vergangnen Jahre im Billardzimmer nach der Fensterscheibe sah, war sie durch eine andre ersetzt, und der Schloßkrug hatte einen neuen Wirt be¬ kommen, der nicht mit der Vergangenheit Bescheid wußte. Es scheint ja fast, als ob alle Spuren von den beiden, die an jenem 9. August in der Eremitagenallee verschwanden, ausgelöscht sein sollen — aber es war doch ein Abglanz ihres Glücks, der Frederik Gjedde eine Braut brachte. [Abbildung] Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegel (Jswolski und Aehrenthal. Englisch-deutsche Beziehungen. Deutschland und Frankreich in Marokko. Die innerpolitische Lage. Der Kieler Werstprozeß.) Von der europäischen Lage ist jetzt wieder viel die Rede. Es ist die natürliche Folge des Zarenbesuchs in Racconigi, der immer noch fortbestehenden Schwierig¬ keiten im europäischen Orient und auch der Entwicklung der Verhältnisse in England. Nach den Erörterungen über Racconigi konnte es nicht ausbleiben, daß die chauvi¬ nistische russische Presse an die antiösterreichische Stimmung in Italien anknüpfte und die Annäherung zwischen Rußland und Italien benutzte, um auch Nußland und Österreich-Ungarn in scharfem Gegensatz zueinander erscheinen zu lassen. Inzwischen wurde mau aufmerksam auf Veröffentlichungen der englischen Zeitschrift Fortnightly Review. wonach Jswolski zu der Okkupation Bosniens und der Herzegowina, über die er vorher verständigt worden war, schon vorher seine Zu¬ stimmung ausgesprochen haben sollte. Die schon oft zutage getretne persönliche Gereiztheit Jswolskis gegen den Grafen Aehrenthal wurde dnrch diese unbequeme Enthüllung aufs neue angefacht, und die Folge war ein in der Presse beider Länder ausgefochtner förmlicher Kampf zwischen den beiden Staatsmännern. Vom Standpunkte der deutschen Interessen haben wir keine Veranlassung, diesem Streite, dem die Tagespresse aller Kulturländer mit Aufmerksamkeit folgt, auch in einer zusammenfassenden Betrachtung näherzutreten. Das. was daran von geschichtlicher Bedeutung ist. ist in dem gegenwärtigen Streite noch nicht genügend geklärt; politisch "ber kann uus nichts daran liegen, die alten Gegensätze zwischen russischer und österreichisch-ungarischer Balkanpolitik wieder aufgerührt zu sehen. Unsre Politik Grenzboten IV 1909 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/389>, abgerufen am 04.05.2024.