Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika

Amelangschen Bände zu einem Bande. Die dort nicht weiter auffallende
Isolierung der einzelnen Darstellungen aber wird hier, auf dem kleinen Raume,
zu einem übel empfundnen Nachteil; denn dem Leser dieser knappen Zusammen¬
fassungen liegt nicht so sehr daran, sich einen Begriff von den einzelnen
Literaturen zu machen -- dazu genügt auch das Konversationslexikon --, als
vielmehr daran, das Gewebe der Entwicklung und Einwirkungen zu durch¬
schauen, das diese Literaturen bilden. Von der jetzt vorliegenden Darstellung
gilt Goethes Wort: "Dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider nur
das geistige Band!" Die Herstellung dieses geistigen Bandes aber sollte doch
gerade die Aufgabe solcher Monographien sein. So dankenswert also auch die
Zusammenfassung der hier vereinigten Literaturen für die Erkenntnis jeder
einzelnen ist, so wünschenswert wäre eine wirklich innerliche Zusammenfassung
unter dem Gesichtspunkt der Totalität, eine Vereinigung des Einzelnen unter
dem Begriffe des Ganzen, nichts Auseinanderfallendes, sondern etwas Fest¬
ineinandergefügtes. Erst so würde ein wirklich historisches Verständnis möglich.




Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika

jüngst erschien in Newyork eine Geschichte der amerikanischen
Philosophie von Dr. I. Woodbridge Riley, ein enthusiastisch
geschriebnes Werk, das als wertvolles Hilfsmittel zum Ver¬
ständnis des amerikanischen Volksgeistes zu begrüßen ist. Der
I Verfasser führt den Leser durch die frühen Philosophenschulen
und macht ihn mit Persönlichkeiten wie Cotton Malser, Benjamin Franklin
und vor allem Jonathan Edwards vertraut, deren wichtige Mission im Geistes¬
leben der Vereinigten Staaten zwar unbestritten ist, die aber auch dem Ge¬
bildeten mehr dem Namen als dem Wesen nach bekannt sind.

Im weitesten Sinne aber ist dieses Buch ein Protest -- der Ausdruck
einer Reaktion gegen die allzulaute Anerkennung Europas, das im staunenden
Betrachten der unerschöpflichen Hilfsquellen, der gewaltigen Industrie Amerikas
dessen Bedeutung für das Geistesleben der zivilisierten Welt zu vergessen
scheint. Daß sein Vaterland auch auf diesem Gebiet eine bevorzugte Stellung
einnimmt, sucht Riley nachzuweisen; der kühnste Denker Neuenglands, Emerson,
ist dabei noch nicht mit hineingenommen, sondern soll erst in einem spätern
Bande gewürdigt werden.

Ob das vorliegende Werk mit seiner Betonung idealer Lebenswerte gegen¬
über der immer mehr um sich greifenden materialistischen Weltanschauung in
weiten Kreisen Widerhall finden wird, bleibt abzuwarten. Die räumliche


Grenzboten IV 1908 71
Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika

Amelangschen Bände zu einem Bande. Die dort nicht weiter auffallende
Isolierung der einzelnen Darstellungen aber wird hier, auf dem kleinen Raume,
zu einem übel empfundnen Nachteil; denn dem Leser dieser knappen Zusammen¬
fassungen liegt nicht so sehr daran, sich einen Begriff von den einzelnen
Literaturen zu machen — dazu genügt auch das Konversationslexikon —, als
vielmehr daran, das Gewebe der Entwicklung und Einwirkungen zu durch¬
schauen, das diese Literaturen bilden. Von der jetzt vorliegenden Darstellung
gilt Goethes Wort: „Dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider nur
das geistige Band!" Die Herstellung dieses geistigen Bandes aber sollte doch
gerade die Aufgabe solcher Monographien sein. So dankenswert also auch die
Zusammenfassung der hier vereinigten Literaturen für die Erkenntnis jeder
einzelnen ist, so wünschenswert wäre eine wirklich innerliche Zusammenfassung
unter dem Gesichtspunkt der Totalität, eine Vereinigung des Einzelnen unter
dem Begriffe des Ganzen, nichts Auseinanderfallendes, sondern etwas Fest¬
ineinandergefügtes. Erst so würde ein wirklich historisches Verständnis möglich.




Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika

jüngst erschien in Newyork eine Geschichte der amerikanischen
Philosophie von Dr. I. Woodbridge Riley, ein enthusiastisch
geschriebnes Werk, das als wertvolles Hilfsmittel zum Ver¬
ständnis des amerikanischen Volksgeistes zu begrüßen ist. Der
I Verfasser führt den Leser durch die frühen Philosophenschulen
und macht ihn mit Persönlichkeiten wie Cotton Malser, Benjamin Franklin
und vor allem Jonathan Edwards vertraut, deren wichtige Mission im Geistes¬
leben der Vereinigten Staaten zwar unbestritten ist, die aber auch dem Ge¬
bildeten mehr dem Namen als dem Wesen nach bekannt sind.

Im weitesten Sinne aber ist dieses Buch ein Protest — der Ausdruck
einer Reaktion gegen die allzulaute Anerkennung Europas, das im staunenden
Betrachten der unerschöpflichen Hilfsquellen, der gewaltigen Industrie Amerikas
dessen Bedeutung für das Geistesleben der zivilisierten Welt zu vergessen
scheint. Daß sein Vaterland auch auf diesem Gebiet eine bevorzugte Stellung
einnimmt, sucht Riley nachzuweisen; der kühnste Denker Neuenglands, Emerson,
ist dabei noch nicht mit hineingenommen, sondern soll erst in einem spätern
Bande gewürdigt werden.

Ob das vorliegende Werk mit seiner Betonung idealer Lebenswerte gegen¬
über der immer mehr um sich greifenden materialistischen Weltanschauung in
weiten Kreisen Widerhall finden wird, bleibt abzuwarten. Die räumliche


Grenzboten IV 1908 71
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0565" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314912"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2515" prev="#ID_2514"> Amelangschen Bände zu einem Bande. Die dort nicht weiter auffallende<lb/>
Isolierung der einzelnen Darstellungen aber wird hier, auf dem kleinen Raume,<lb/>
zu einem übel empfundnen Nachteil; denn dem Leser dieser knappen Zusammen¬<lb/>
fassungen liegt nicht so sehr daran, sich einen Begriff von den einzelnen<lb/>
Literaturen zu machen &#x2014; dazu genügt auch das Konversationslexikon &#x2014;, als<lb/>
vielmehr daran, das Gewebe der Entwicklung und Einwirkungen zu durch¬<lb/>
schauen, das diese Literaturen bilden. Von der jetzt vorliegenden Darstellung<lb/>
gilt Goethes Wort: &#x201E;Dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider nur<lb/>
das geistige Band!" Die Herstellung dieses geistigen Bandes aber sollte doch<lb/>
gerade die Aufgabe solcher Monographien sein. So dankenswert also auch die<lb/>
Zusammenfassung der hier vereinigten Literaturen für die Erkenntnis jeder<lb/>
einzelnen ist, so wünschenswert wäre eine wirklich innerliche Zusammenfassung<lb/>
unter dem Gesichtspunkt der Totalität, eine Vereinigung des Einzelnen unter<lb/>
dem Begriffe des Ganzen, nichts Auseinanderfallendes, sondern etwas Fest¬<lb/>
ineinandergefügtes. Erst so würde ein wirklich historisches Verständnis möglich.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2516"> jüngst erschien in Newyork eine Geschichte der amerikanischen<lb/>
Philosophie von Dr. I. Woodbridge Riley, ein enthusiastisch<lb/>
geschriebnes Werk, das als wertvolles Hilfsmittel zum Ver¬<lb/>
ständnis des amerikanischen Volksgeistes zu begrüßen ist. Der<lb/>
I Verfasser führt den Leser durch die frühen Philosophenschulen<lb/>
und macht ihn mit Persönlichkeiten wie Cotton Malser, Benjamin Franklin<lb/>
und vor allem Jonathan Edwards vertraut, deren wichtige Mission im Geistes¬<lb/>
leben der Vereinigten Staaten zwar unbestritten ist, die aber auch dem Ge¬<lb/>
bildeten mehr dem Namen als dem Wesen nach bekannt sind.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2517"> Im weitesten Sinne aber ist dieses Buch ein Protest &#x2014; der Ausdruck<lb/>
einer Reaktion gegen die allzulaute Anerkennung Europas, das im staunenden<lb/>
Betrachten der unerschöpflichen Hilfsquellen, der gewaltigen Industrie Amerikas<lb/>
dessen Bedeutung für das Geistesleben der zivilisierten Welt zu vergessen<lb/>
scheint. Daß sein Vaterland auch auf diesem Gebiet eine bevorzugte Stellung<lb/>
einnimmt, sucht Riley nachzuweisen; der kühnste Denker Neuenglands, Emerson,<lb/>
ist dabei noch nicht mit hineingenommen, sondern soll erst in einem spätern<lb/>
Bande gewürdigt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2518" next="#ID_2519"> Ob das vorliegende Werk mit seiner Betonung idealer Lebenswerte gegen¬<lb/>
über der immer mehr um sich greifenden materialistischen Weltanschauung in<lb/>
weiten Kreisen Widerhall finden wird, bleibt abzuwarten.  Die räumliche</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1908 71</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0565] Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika Amelangschen Bände zu einem Bande. Die dort nicht weiter auffallende Isolierung der einzelnen Darstellungen aber wird hier, auf dem kleinen Raume, zu einem übel empfundnen Nachteil; denn dem Leser dieser knappen Zusammen¬ fassungen liegt nicht so sehr daran, sich einen Begriff von den einzelnen Literaturen zu machen — dazu genügt auch das Konversationslexikon —, als vielmehr daran, das Gewebe der Entwicklung und Einwirkungen zu durch¬ schauen, das diese Literaturen bilden. Von der jetzt vorliegenden Darstellung gilt Goethes Wort: „Dann hat er die Teile in seiner Hand, fehlt leider nur das geistige Band!" Die Herstellung dieses geistigen Bandes aber sollte doch gerade die Aufgabe solcher Monographien sein. So dankenswert also auch die Zusammenfassung der hier vereinigten Literaturen für die Erkenntnis jeder einzelnen ist, so wünschenswert wäre eine wirklich innerliche Zusammenfassung unter dem Gesichtspunkt der Totalität, eine Vereinigung des Einzelnen unter dem Begriffe des Ganzen, nichts Auseinanderfallendes, sondern etwas Fest¬ ineinandergefügtes. Erst so würde ein wirklich historisches Verständnis möglich. Neue Ziele des psychologischen Romans in Amerika jüngst erschien in Newyork eine Geschichte der amerikanischen Philosophie von Dr. I. Woodbridge Riley, ein enthusiastisch geschriebnes Werk, das als wertvolles Hilfsmittel zum Ver¬ ständnis des amerikanischen Volksgeistes zu begrüßen ist. Der I Verfasser führt den Leser durch die frühen Philosophenschulen und macht ihn mit Persönlichkeiten wie Cotton Malser, Benjamin Franklin und vor allem Jonathan Edwards vertraut, deren wichtige Mission im Geistes¬ leben der Vereinigten Staaten zwar unbestritten ist, die aber auch dem Ge¬ bildeten mehr dem Namen als dem Wesen nach bekannt sind. Im weitesten Sinne aber ist dieses Buch ein Protest — der Ausdruck einer Reaktion gegen die allzulaute Anerkennung Europas, das im staunenden Betrachten der unerschöpflichen Hilfsquellen, der gewaltigen Industrie Amerikas dessen Bedeutung für das Geistesleben der zivilisierten Welt zu vergessen scheint. Daß sein Vaterland auch auf diesem Gebiet eine bevorzugte Stellung einnimmt, sucht Riley nachzuweisen; der kühnste Denker Neuenglands, Emerson, ist dabei noch nicht mit hineingenommen, sondern soll erst in einem spätern Bande gewürdigt werden. Ob das vorliegende Werk mit seiner Betonung idealer Lebenswerte gegen¬ über der immer mehr um sich greifenden materialistischen Weltanschauung in weiten Kreisen Widerhall finden wird, bleibt abzuwarten. Die räumliche Grenzboten IV 1908 71

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/565
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/565>, abgerufen am 04.05.2024.