Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Maßgebliches und Unmaßgebliches

glücklicher Gedanke. Dr. Martin Vnder gibt zu diesem Zwecke im Verlag von
Rinder und Loening in Frankfurt am Main Bändchen heraus, die schon viel Schönes
und Gutes gebracht haben; es mag nur an "Das Proletariat" von Werner Sombart.
"Die Religion" von Georg Simmel, "Der Streik" von Ed. Bernstein, "Der
Weltverkehr" von Albrecht Wirth, "Der Architekt" von Karl Scheffler, "Die geistigen
Epidemien" von Willy Hellpach, "Erfinder und Entdecker" von Wilhelm Ostwald,
"Das Warenhaus" von Paul Göhre erinnert werden. Augenblicklich liegen uns die
Bändchen 25 und 26 vor: "Die Sitte" von Ferd. Tönnies und "Die Kirche"
von Arthur Borns. Tönnies grenzt die Sitte von den Nachbcirbcgrisien als "eine
höchst wichtige Gestalt des sozialen Willens" ab, verfolgt ihre Entstehung und Wirk¬
samkeit durch alle Gebiete des Gemeinschaftslebens und zeigt zuletzt, wie sie in
Konflikt gerät mit dem Staate, der ebenfalls Volkswille, und zwar ein höherer,
berechtigerer sein will, und mit der dem Staate Verbündeten Wissenschaft. Aus diesem
Konflikt erwachse für die in Staat und Wissenschaft herrschenden Denkenden die
Doppelaufgabe, zwar in kritischer Tätigkeit die Volkssitte zu reinigen, aber bei der
Auflösung der alten Sitte nicht stehen zu bleiben, sondern "das unbewußt Schaffende"
in der Volkssitte anzuerkennen und dessen Werk mit Bewußtsein fortzuführen, wodurch
die Vernunft, auf die sich die Gebietenden dem Volke gegenüber zu berufen pflegen,
erst wahrhaft Vernunft werde. Arthur Borns warnt die Leser vor seinem Buche;
viele würden ausrufen, das, was er sage, sei ja noch schlimmer als die Kirche!
Dieses Schlimme besteht hauptsächlich in folgendem. Die Kirche ist -- was immer
sonst noch Geschichte, Staat, Dogma, Priesterschaft aus ihr gemacht haben mögen -- ihrem
Wesen nach nichts andres als die nach Selbstvervollkommnung, nach Höherentwicklung
strebende und sich sehnende Menschheit. Die Menschheit kann aber ihr Sehnen nur
stillen, von Stufe zu Stufe höher steigen, wenn sich auf jeder Stufe aus der natür¬
lichen Volksgemeinschaft eine die Besten umfassende Wahlgemeinschaft absondert, die
zum Volke in Gegensatz tritt, und wenn diese Wahlgemeinschaft der gerade herrschenden
Kultur als einer unzulänglichen, nicht mehr berechtigten den Krieg erklärt. Nicht
an dem Widerspruch gegen Staat, Wissenschaft und Kultur geht nach Borns die
Kirche zugrunde, sondern weil sie die Wissenschaft und Kultur in sich aufnimmt und
sich mit dem Staate verbündet. Borns erfaßt das Kirchenproblem tiefer als irgendein
andrer Denker und entdeckt Seiten an ihm, die bisher den meisten, wo nicht allen
entgangen sind. Darum ist seine Darstellung durchaus originell und mit keinem
einzigen Gemeinplatz belastet. Am Schluß erfahren wir, daß die Kirchen der alten
Welt, so lebendig sie in mancher Beziehung sein mögen, religiös tot seien und wir
eine Neugeburt der Religion, die dazu erfordert wird, den nächst höhern Menschen-
thpus zu entwickeln, nur von dem in Amerika ausgebildeten Sektenwesen zu erwarten
hätten. Dazu wird man ein großes Fragezeichen machen dürfen. -- Das soeben
erschienene 30. Bändchen der Sammlung, "Die Partei", hat den Unterzeichneten
L. I. ZUM Verfasser.


Lebensweisheit.

Der Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart hat uns
zwei Lehrbüchlein der Lebensweisheit geschickt. Das wertvollere ist "Die Werte
des Lebens" von Se. B. Stanton, übersetzt von Otto Knapp. Es behandelt
Themata wie Individualität. Phantasie. Glück, Geselligkeit, "die Schule der Kraft"
w origineller Weise und enthält viele Sätze, die als Sentenzen gelten können, zum
Beispiel "Unsre schönste Freude ist eine Frucht unsrer Furcht." "Alle ethischen
Systeme haben höchstens den Wert einer sittlichen Heilkunde; ein gesunder Sinn
kennt und braucht keine." "Hindernisse sind Felswände, um die der Strom des
Lebens sich herumwindet -- am prächtigsten da, wo die Schwierigkeiten am größten
sind." Philosophisch Gerichteten kann das Buch ähnliche Dienste leisten wie des
jüngst verstorbnen Hilty "Glück" den Bibelgläubigen. Jean Finot hat in zwei
Büchern die Furcht vorm Tode und die Rassenvorurteile bekämpft. In 5er "Lehre


Maßgebliches und Unmaßgebliches

glücklicher Gedanke. Dr. Martin Vnder gibt zu diesem Zwecke im Verlag von
Rinder und Loening in Frankfurt am Main Bändchen heraus, die schon viel Schönes
und Gutes gebracht haben; es mag nur an „Das Proletariat" von Werner Sombart.
„Die Religion" von Georg Simmel, „Der Streik" von Ed. Bernstein, „Der
Weltverkehr" von Albrecht Wirth, „Der Architekt" von Karl Scheffler, „Die geistigen
Epidemien" von Willy Hellpach, „Erfinder und Entdecker" von Wilhelm Ostwald,
„Das Warenhaus" von Paul Göhre erinnert werden. Augenblicklich liegen uns die
Bändchen 25 und 26 vor: „Die Sitte" von Ferd. Tönnies und „Die Kirche"
von Arthur Borns. Tönnies grenzt die Sitte von den Nachbcirbcgrisien als „eine
höchst wichtige Gestalt des sozialen Willens" ab, verfolgt ihre Entstehung und Wirk¬
samkeit durch alle Gebiete des Gemeinschaftslebens und zeigt zuletzt, wie sie in
Konflikt gerät mit dem Staate, der ebenfalls Volkswille, und zwar ein höherer,
berechtigerer sein will, und mit der dem Staate Verbündeten Wissenschaft. Aus diesem
Konflikt erwachse für die in Staat und Wissenschaft herrschenden Denkenden die
Doppelaufgabe, zwar in kritischer Tätigkeit die Volkssitte zu reinigen, aber bei der
Auflösung der alten Sitte nicht stehen zu bleiben, sondern „das unbewußt Schaffende"
in der Volkssitte anzuerkennen und dessen Werk mit Bewußtsein fortzuführen, wodurch
die Vernunft, auf die sich die Gebietenden dem Volke gegenüber zu berufen pflegen,
erst wahrhaft Vernunft werde. Arthur Borns warnt die Leser vor seinem Buche;
viele würden ausrufen, das, was er sage, sei ja noch schlimmer als die Kirche!
Dieses Schlimme besteht hauptsächlich in folgendem. Die Kirche ist — was immer
sonst noch Geschichte, Staat, Dogma, Priesterschaft aus ihr gemacht haben mögen — ihrem
Wesen nach nichts andres als die nach Selbstvervollkommnung, nach Höherentwicklung
strebende und sich sehnende Menschheit. Die Menschheit kann aber ihr Sehnen nur
stillen, von Stufe zu Stufe höher steigen, wenn sich auf jeder Stufe aus der natür¬
lichen Volksgemeinschaft eine die Besten umfassende Wahlgemeinschaft absondert, die
zum Volke in Gegensatz tritt, und wenn diese Wahlgemeinschaft der gerade herrschenden
Kultur als einer unzulänglichen, nicht mehr berechtigten den Krieg erklärt. Nicht
an dem Widerspruch gegen Staat, Wissenschaft und Kultur geht nach Borns die
Kirche zugrunde, sondern weil sie die Wissenschaft und Kultur in sich aufnimmt und
sich mit dem Staate verbündet. Borns erfaßt das Kirchenproblem tiefer als irgendein
andrer Denker und entdeckt Seiten an ihm, die bisher den meisten, wo nicht allen
entgangen sind. Darum ist seine Darstellung durchaus originell und mit keinem
einzigen Gemeinplatz belastet. Am Schluß erfahren wir, daß die Kirchen der alten
Welt, so lebendig sie in mancher Beziehung sein mögen, religiös tot seien und wir
eine Neugeburt der Religion, die dazu erfordert wird, den nächst höhern Menschen-
thpus zu entwickeln, nur von dem in Amerika ausgebildeten Sektenwesen zu erwarten
hätten. Dazu wird man ein großes Fragezeichen machen dürfen. — Das soeben
erschienene 30. Bändchen der Sammlung, „Die Partei", hat den Unterzeichneten
L. I. ZUM Verfasser.


Lebensweisheit.

Der Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart hat uns
zwei Lehrbüchlein der Lebensweisheit geschickt. Das wertvollere ist „Die Werte
des Lebens" von Se. B. Stanton, übersetzt von Otto Knapp. Es behandelt
Themata wie Individualität. Phantasie. Glück, Geselligkeit, „die Schule der Kraft"
w origineller Weise und enthält viele Sätze, die als Sentenzen gelten können, zum
Beispiel „Unsre schönste Freude ist eine Frucht unsrer Furcht." „Alle ethischen
Systeme haben höchstens den Wert einer sittlichen Heilkunde; ein gesunder Sinn
kennt und braucht keine." „Hindernisse sind Felswände, um die der Strom des
Lebens sich herumwindet — am prächtigsten da, wo die Schwierigkeiten am größten
sind." Philosophisch Gerichteten kann das Buch ähnliche Dienste leisten wie des
jüngst verstorbnen Hilty „Glück" den Bibelgläubigen. Jean Finot hat in zwei
Büchern die Furcht vorm Tode und die Rassenvorurteile bekämpft. In 5er „Lehre


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0585" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/314932"/>
            <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_2583" prev="#ID_2582"> glücklicher Gedanke. Dr. Martin Vnder gibt zu diesem Zwecke im Verlag von<lb/>
Rinder und Loening in Frankfurt am Main Bändchen heraus, die schon viel Schönes<lb/>
und Gutes gebracht haben; es mag nur an &#x201E;Das Proletariat" von Werner Sombart.<lb/>
&#x201E;Die Religion" von Georg Simmel, &#x201E;Der Streik" von Ed. Bernstein, &#x201E;Der<lb/>
Weltverkehr" von Albrecht Wirth, &#x201E;Der Architekt" von Karl Scheffler, &#x201E;Die geistigen<lb/>
Epidemien" von Willy Hellpach, &#x201E;Erfinder und Entdecker" von Wilhelm Ostwald,<lb/>
&#x201E;Das Warenhaus" von Paul Göhre erinnert werden. Augenblicklich liegen uns die<lb/>
Bändchen 25 und 26 vor: &#x201E;Die Sitte" von Ferd. Tönnies und &#x201E;Die Kirche"<lb/>
von Arthur Borns. Tönnies grenzt die Sitte von den Nachbcirbcgrisien als &#x201E;eine<lb/>
höchst wichtige Gestalt des sozialen Willens" ab, verfolgt ihre Entstehung und Wirk¬<lb/>
samkeit durch alle Gebiete des Gemeinschaftslebens und zeigt zuletzt, wie sie in<lb/>
Konflikt gerät mit dem Staate, der ebenfalls Volkswille, und zwar ein höherer,<lb/>
berechtigerer sein will, und mit der dem Staate Verbündeten Wissenschaft. Aus diesem<lb/>
Konflikt erwachse für die in Staat und Wissenschaft herrschenden Denkenden die<lb/>
Doppelaufgabe, zwar in kritischer Tätigkeit die Volkssitte zu reinigen, aber bei der<lb/>
Auflösung der alten Sitte nicht stehen zu bleiben, sondern &#x201E;das unbewußt Schaffende"<lb/>
in der Volkssitte anzuerkennen und dessen Werk mit Bewußtsein fortzuführen, wodurch<lb/>
die Vernunft, auf die sich die Gebietenden dem Volke gegenüber zu berufen pflegen,<lb/>
erst wahrhaft Vernunft werde. Arthur Borns warnt die Leser vor seinem Buche;<lb/>
viele würden ausrufen, das, was er sage, sei ja noch schlimmer als die Kirche!<lb/>
Dieses Schlimme besteht hauptsächlich in folgendem. Die Kirche ist &#x2014; was immer<lb/>
sonst noch Geschichte, Staat, Dogma, Priesterschaft aus ihr gemacht haben mögen &#x2014; ihrem<lb/>
Wesen nach nichts andres als die nach Selbstvervollkommnung, nach Höherentwicklung<lb/>
strebende und sich sehnende Menschheit. Die Menschheit kann aber ihr Sehnen nur<lb/>
stillen, von Stufe zu Stufe höher steigen, wenn sich auf jeder Stufe aus der natür¬<lb/>
lichen Volksgemeinschaft eine die Besten umfassende Wahlgemeinschaft absondert, die<lb/>
zum Volke in Gegensatz tritt, und wenn diese Wahlgemeinschaft der gerade herrschenden<lb/>
Kultur als einer unzulänglichen, nicht mehr berechtigten den Krieg erklärt. Nicht<lb/>
an dem Widerspruch gegen Staat, Wissenschaft und Kultur geht nach Borns die<lb/>
Kirche zugrunde, sondern weil sie die Wissenschaft und Kultur in sich aufnimmt und<lb/>
sich mit dem Staate verbündet. Borns erfaßt das Kirchenproblem tiefer als irgendein<lb/>
andrer Denker und entdeckt Seiten an ihm, die bisher den meisten, wo nicht allen<lb/>
entgangen sind. Darum ist seine Darstellung durchaus originell und mit keinem<lb/>
einzigen Gemeinplatz belastet. Am Schluß erfahren wir, daß die Kirchen der alten<lb/>
Welt, so lebendig sie in mancher Beziehung sein mögen, religiös tot seien und wir<lb/>
eine Neugeburt der Religion, die dazu erfordert wird, den nächst höhern Menschen-<lb/>
thpus zu entwickeln, nur von dem in Amerika ausgebildeten Sektenwesen zu erwarten<lb/>
hätten. Dazu wird man ein großes Fragezeichen machen dürfen. &#x2014; Das soeben<lb/>
erschienene 30. Bändchen der Sammlung, &#x201E;Die Partei", hat den Unterzeichneten<lb/><note type="byline"> L. I.</note> ZUM Verfasser. </p><lb/>
          </div>
          <div n="2">
            <head> Lebensweisheit. </head>
            <p xml:id="ID_2584" next="#ID_2585"> Der Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart hat uns<lb/>
zwei Lehrbüchlein der Lebensweisheit geschickt. Das wertvollere ist &#x201E;Die Werte<lb/>
des Lebens" von Se. B. Stanton, übersetzt von Otto Knapp. Es behandelt<lb/>
Themata wie Individualität. Phantasie. Glück, Geselligkeit, &#x201E;die Schule der Kraft"<lb/>
w origineller Weise und enthält viele Sätze, die als Sentenzen gelten können, zum<lb/>
Beispiel &#x201E;Unsre schönste Freude ist eine Frucht unsrer Furcht." &#x201E;Alle ethischen<lb/>
Systeme haben höchstens den Wert einer sittlichen Heilkunde; ein gesunder Sinn<lb/>
kennt und braucht keine." &#x201E;Hindernisse sind Felswände, um die der Strom des<lb/>
Lebens sich herumwindet &#x2014; am prächtigsten da, wo die Schwierigkeiten am größten<lb/>
sind." Philosophisch Gerichteten kann das Buch ähnliche Dienste leisten wie des<lb/>
jüngst verstorbnen Hilty &#x201E;Glück" den Bibelgläubigen. Jean Finot hat in zwei<lb/>
Büchern die Furcht vorm Tode und die Rassenvorurteile bekämpft. In 5er &#x201E;Lehre</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0585] Maßgebliches und Unmaßgebliches glücklicher Gedanke. Dr. Martin Vnder gibt zu diesem Zwecke im Verlag von Rinder und Loening in Frankfurt am Main Bändchen heraus, die schon viel Schönes und Gutes gebracht haben; es mag nur an „Das Proletariat" von Werner Sombart. „Die Religion" von Georg Simmel, „Der Streik" von Ed. Bernstein, „Der Weltverkehr" von Albrecht Wirth, „Der Architekt" von Karl Scheffler, „Die geistigen Epidemien" von Willy Hellpach, „Erfinder und Entdecker" von Wilhelm Ostwald, „Das Warenhaus" von Paul Göhre erinnert werden. Augenblicklich liegen uns die Bändchen 25 und 26 vor: „Die Sitte" von Ferd. Tönnies und „Die Kirche" von Arthur Borns. Tönnies grenzt die Sitte von den Nachbcirbcgrisien als „eine höchst wichtige Gestalt des sozialen Willens" ab, verfolgt ihre Entstehung und Wirk¬ samkeit durch alle Gebiete des Gemeinschaftslebens und zeigt zuletzt, wie sie in Konflikt gerät mit dem Staate, der ebenfalls Volkswille, und zwar ein höherer, berechtigerer sein will, und mit der dem Staate Verbündeten Wissenschaft. Aus diesem Konflikt erwachse für die in Staat und Wissenschaft herrschenden Denkenden die Doppelaufgabe, zwar in kritischer Tätigkeit die Volkssitte zu reinigen, aber bei der Auflösung der alten Sitte nicht stehen zu bleiben, sondern „das unbewußt Schaffende" in der Volkssitte anzuerkennen und dessen Werk mit Bewußtsein fortzuführen, wodurch die Vernunft, auf die sich die Gebietenden dem Volke gegenüber zu berufen pflegen, erst wahrhaft Vernunft werde. Arthur Borns warnt die Leser vor seinem Buche; viele würden ausrufen, das, was er sage, sei ja noch schlimmer als die Kirche! Dieses Schlimme besteht hauptsächlich in folgendem. Die Kirche ist — was immer sonst noch Geschichte, Staat, Dogma, Priesterschaft aus ihr gemacht haben mögen — ihrem Wesen nach nichts andres als die nach Selbstvervollkommnung, nach Höherentwicklung strebende und sich sehnende Menschheit. Die Menschheit kann aber ihr Sehnen nur stillen, von Stufe zu Stufe höher steigen, wenn sich auf jeder Stufe aus der natür¬ lichen Volksgemeinschaft eine die Besten umfassende Wahlgemeinschaft absondert, die zum Volke in Gegensatz tritt, und wenn diese Wahlgemeinschaft der gerade herrschenden Kultur als einer unzulänglichen, nicht mehr berechtigten den Krieg erklärt. Nicht an dem Widerspruch gegen Staat, Wissenschaft und Kultur geht nach Borns die Kirche zugrunde, sondern weil sie die Wissenschaft und Kultur in sich aufnimmt und sich mit dem Staate verbündet. Borns erfaßt das Kirchenproblem tiefer als irgendein andrer Denker und entdeckt Seiten an ihm, die bisher den meisten, wo nicht allen entgangen sind. Darum ist seine Darstellung durchaus originell und mit keinem einzigen Gemeinplatz belastet. Am Schluß erfahren wir, daß die Kirchen der alten Welt, so lebendig sie in mancher Beziehung sein mögen, religiös tot seien und wir eine Neugeburt der Religion, die dazu erfordert wird, den nächst höhern Menschen- thpus zu entwickeln, nur von dem in Amerika ausgebildeten Sektenwesen zu erwarten hätten. Dazu wird man ein großes Fragezeichen machen dürfen. — Das soeben erschienene 30. Bändchen der Sammlung, „Die Partei", hat den Unterzeichneten L. I. ZUM Verfasser. Lebensweisheit. Der Verlag von Julius Hoffmann in Stuttgart hat uns zwei Lehrbüchlein der Lebensweisheit geschickt. Das wertvollere ist „Die Werte des Lebens" von Se. B. Stanton, übersetzt von Otto Knapp. Es behandelt Themata wie Individualität. Phantasie. Glück, Geselligkeit, „die Schule der Kraft" w origineller Weise und enthält viele Sätze, die als Sentenzen gelten können, zum Beispiel „Unsre schönste Freude ist eine Frucht unsrer Furcht." „Alle ethischen Systeme haben höchstens den Wert einer sittlichen Heilkunde; ein gesunder Sinn kennt und braucht keine." „Hindernisse sind Felswände, um die der Strom des Lebens sich herumwindet — am prächtigsten da, wo die Schwierigkeiten am größten sind." Philosophisch Gerichteten kann das Buch ähnliche Dienste leisten wie des jüngst verstorbnen Hilty „Glück" den Bibelgläubigen. Jean Finot hat in zwei Büchern die Furcht vorm Tode und die Rassenvorurteile bekämpft. In 5er „Lehre

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/585
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/585>, abgerufen am 04.05.2024.