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Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

vom Glück" (übersetzt von Walther Lohmeyer) geht er dem Pessimismus zuleide.
Er scheint seine Gedanken für neu zu halten; in Wirklichkeit sind sie von Philosophen
und von Predigern des Christentums schon unzähligemal ausgesprochen worden;
aber wahre und nützliche Gedanken können ja nicht oft genug wiederholt werden,
und einem,! der es mit so viel Wärme und Geschick tut, muß mau dankbar sein, -- In
dieselbe Kategorie gehört eines der winzigen Büchlein von Ralph Waldo Trine"
die Dr. Max Christlich übersetzt und bei I. Engelhorn in Stuttgart herausgibt:
"Auf,dem Wege zur Wahrheit." Es ist ein "Glaubensbekenntnis von unter¬
wegs, heute giltig, morgen geändert oder abgeschafft, je nachdem unsre Erkenntnis
fortschreitet". Man k^ es auch einen Katechismus nennen. Es enthält sechzehn
Sätze, deren jedem ein paar Seiten Erläuterungen beigegeben werden. Die bekannte
mystische Tendenz Trines" als Kern und Schluß aller Lebensweisheit die bewußte
Einheit mit Gott oder dem "Unendlichen" zu predigen, tritt erst im letzten Satze
hervor. Die vielen Freunde Trines werden-auch dieses neue Büchlein mit Freuden
L. I- begrüßen.,.. .v^/ , -,^ ,-


Michelagniolo Buonarroti. Dichtungen.

Übertragen von Heinrich
Nelson. (Leipzig, Eugen Diederichs.) Die italienische Lyrik der Renaissance bezeugt
trotz ihres formalen Charakters mehr von der Seele und dem Wesen des Menschen
und der menschlichen Individualität und somit von dem wahren Geiste der Zeit als
die Lyrik jedes andern Volkes jener Zeit. Man könnte zum Vergleich nur noch
die gleichzeitige orientalische - arabische und persische -- Dichtkunst heranziehen, die
ebenfalls eine hohe Kultur des Geistes und der Seele sowie der Form erkennen
läßt. Die- Verse Dantes, Petrarcas, Ariosts (Epistel") und Tassos unter wie moderne
alt, weil sie ganz mit der Seele.und mit dem subtilsten Kunstgefühl gedichtet worden
sind. Auch d,eS-Titans",-,. deS' unvergleichlichen.> Wchelagnjow lyrische Knies erscheint
in der schon traditionellen klassischen Schönheit der italienischen Poesie: ihre noch erdige
Gedankenfracht ist gehämmert und geschmiedet, und das Geschmiedete wurde mit Gold"
feilen geglättet und ziseliert. Es tst mir -- ähnlich wie bei der Lektüre Dantes oder
bei dem Anblick der Werke Lionardos-- auch hier wieder die dem alten Römergeiste
durchaus fremde Tiefe und Größe der dichterischen Phantasie und Gedankenarbeit
aufgefallen. Ich habe immer das Gefühl, als wäre dies alles -- wie auch der hohe
Gedankenflug italienischer Fürsten, Staatsmänner und Feldherren der Renaissance ---
eine auf fremdem Boden üppig emporgewucherte germanische Kultur. Michel-
agniolos gedämpftes Pathos ist ganz Seele, es ist gar nicht romanisch äußerlich.
Charakteristisch für ihn ist, daß alle seine Verse Gelegenheitsgedichte und dem
Moment abgerungen sind, daß sie sich mit bitterster Notwendigkeit ergeben haben und
nur der Niederschlag eines Empfindens sind, das sich befreien will. So erklärt sich
ihr fragmentarischer Charakter. Heroisch sind sie und dunkel, schwer von Gefühl,
und unter ihren nach vollkommnem Ausdruck ringenden Worten glimmt eine ver-
haltne Leidenschaft. Aber immer wieder bändigt die ideale Schönheit, die himmlische
Liebe diese ewig mit sich ringende, sich zersetzende Seele. Nelson, ein neuer Über¬
setzer der Dichtungen Michelagniolos, hat auch die durchaus fragmentarische" Verse
übertragen. Diese Verse -- oft nur Zeilen-- besagen häufig recht wenig, und
es war wohl nur ein Akt der Pietät, daß auch sie in diesem ausgezeichneten Werke
miterschienen sind. Man hat so wenigstens alles beisammen. Anderseits erhöhen
gerade viele dieser Fragmente, dieser lyrischen Rotationen, dieser hingeworfnen
Gefühle und Gedanken, Bilder und Klänge den intimen Charakter der Sammlung-
Interessant sind die an Zeitgenossen gerichteten, die den Charakter der Zeit und
persönliche Beziehungen widerspiegelnden Gedichte, bedeutend sind die spinnenartigen
Sonette an die Nacht, an Dante, an die Schönheit, an den Tod, die "religiösen
Sonette", von besondern, intimen Reize die Selbstbekenntnisse, die Zerfaserungen deS
eignen Geistes- und Trieblebens. Im Mittelpunkt ober leuchten und überleuchten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

vom Glück" (übersetzt von Walther Lohmeyer) geht er dem Pessimismus zuleide.
Er scheint seine Gedanken für neu zu halten; in Wirklichkeit sind sie von Philosophen
und von Predigern des Christentums schon unzähligemal ausgesprochen worden;
aber wahre und nützliche Gedanken können ja nicht oft genug wiederholt werden,
und einem,! der es mit so viel Wärme und Geschick tut, muß mau dankbar sein, — In
dieselbe Kategorie gehört eines der winzigen Büchlein von Ralph Waldo Trine»
die Dr. Max Christlich übersetzt und bei I. Engelhorn in Stuttgart herausgibt:
„Auf,dem Wege zur Wahrheit." Es ist ein „Glaubensbekenntnis von unter¬
wegs, heute giltig, morgen geändert oder abgeschafft, je nachdem unsre Erkenntnis
fortschreitet". Man k^ es auch einen Katechismus nennen. Es enthält sechzehn
Sätze, deren jedem ein paar Seiten Erläuterungen beigegeben werden. Die bekannte
mystische Tendenz Trines» als Kern und Schluß aller Lebensweisheit die bewußte
Einheit mit Gott oder dem „Unendlichen" zu predigen, tritt erst im letzten Satze
hervor. Die vielen Freunde Trines werden-auch dieses neue Büchlein mit Freuden
L. I- begrüßen.,.. .v^/ , -,^ ,-


Michelagniolo Buonarroti. Dichtungen.

Übertragen von Heinrich
Nelson. (Leipzig, Eugen Diederichs.) Die italienische Lyrik der Renaissance bezeugt
trotz ihres formalen Charakters mehr von der Seele und dem Wesen des Menschen
und der menschlichen Individualität und somit von dem wahren Geiste der Zeit als
die Lyrik jedes andern Volkes jener Zeit. Man könnte zum Vergleich nur noch
die gleichzeitige orientalische - arabische und persische — Dichtkunst heranziehen, die
ebenfalls eine hohe Kultur des Geistes und der Seele sowie der Form erkennen
läßt. Die- Verse Dantes, Petrarcas, Ariosts (Epistel») und Tassos unter wie moderne
alt, weil sie ganz mit der Seele.und mit dem subtilsten Kunstgefühl gedichtet worden
sind. Auch d,eS-Titans»,-,. deS' unvergleichlichen.> Wchelagnjow lyrische Knies erscheint
in der schon traditionellen klassischen Schönheit der italienischen Poesie: ihre noch erdige
Gedankenfracht ist gehämmert und geschmiedet, und das Geschmiedete wurde mit Gold«
feilen geglättet und ziseliert. Es tst mir — ähnlich wie bei der Lektüre Dantes oder
bei dem Anblick der Werke Lionardos— auch hier wieder die dem alten Römergeiste
durchaus fremde Tiefe und Größe der dichterischen Phantasie und Gedankenarbeit
aufgefallen. Ich habe immer das Gefühl, als wäre dies alles — wie auch der hohe
Gedankenflug italienischer Fürsten, Staatsmänner und Feldherren der Renaissance —-
eine auf fremdem Boden üppig emporgewucherte germanische Kultur. Michel-
agniolos gedämpftes Pathos ist ganz Seele, es ist gar nicht romanisch äußerlich.
Charakteristisch für ihn ist, daß alle seine Verse Gelegenheitsgedichte und dem
Moment abgerungen sind, daß sie sich mit bitterster Notwendigkeit ergeben haben und
nur der Niederschlag eines Empfindens sind, das sich befreien will. So erklärt sich
ihr fragmentarischer Charakter. Heroisch sind sie und dunkel, schwer von Gefühl,
und unter ihren nach vollkommnem Ausdruck ringenden Worten glimmt eine ver-
haltne Leidenschaft. Aber immer wieder bändigt die ideale Schönheit, die himmlische
Liebe diese ewig mit sich ringende, sich zersetzende Seele. Nelson, ein neuer Über¬
setzer der Dichtungen Michelagniolos, hat auch die durchaus fragmentarische» Verse
übertragen. Diese Verse — oft nur Zeilen— besagen häufig recht wenig, und
es war wohl nur ein Akt der Pietät, daß auch sie in diesem ausgezeichneten Werke
miterschienen sind. Man hat so wenigstens alles beisammen. Anderseits erhöhen
gerade viele dieser Fragmente, dieser lyrischen Rotationen, dieser hingeworfnen
Gefühle und Gedanken, Bilder und Klänge den intimen Charakter der Sammlung-
Interessant sind die an Zeitgenossen gerichteten, die den Charakter der Zeit und
persönliche Beziehungen widerspiegelnden Gedichte, bedeutend sind die spinnenartigen
Sonette an die Nacht, an Dante, an die Schönheit, an den Tod, die „religiösen
Sonette", von besondern, intimen Reize die Selbstbekenntnisse, die Zerfaserungen deS
eignen Geistes- und Trieblebens. Im Mittelpunkt ober leuchten und überleuchten


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[0586] Maßgebliches und Unmaßgebliches vom Glück" (übersetzt von Walther Lohmeyer) geht er dem Pessimismus zuleide. Er scheint seine Gedanken für neu zu halten; in Wirklichkeit sind sie von Philosophen und von Predigern des Christentums schon unzähligemal ausgesprochen worden; aber wahre und nützliche Gedanken können ja nicht oft genug wiederholt werden, und einem,! der es mit so viel Wärme und Geschick tut, muß mau dankbar sein, — In dieselbe Kategorie gehört eines der winzigen Büchlein von Ralph Waldo Trine» die Dr. Max Christlich übersetzt und bei I. Engelhorn in Stuttgart herausgibt: „Auf,dem Wege zur Wahrheit." Es ist ein „Glaubensbekenntnis von unter¬ wegs, heute giltig, morgen geändert oder abgeschafft, je nachdem unsre Erkenntnis fortschreitet". Man k^ es auch einen Katechismus nennen. Es enthält sechzehn Sätze, deren jedem ein paar Seiten Erläuterungen beigegeben werden. Die bekannte mystische Tendenz Trines» als Kern und Schluß aller Lebensweisheit die bewußte Einheit mit Gott oder dem „Unendlichen" zu predigen, tritt erst im letzten Satze hervor. Die vielen Freunde Trines werden-auch dieses neue Büchlein mit Freuden L. I- begrüßen.,.. .v^/ , -,^ ,- Michelagniolo Buonarroti. Dichtungen. Übertragen von Heinrich Nelson. (Leipzig, Eugen Diederichs.) Die italienische Lyrik der Renaissance bezeugt trotz ihres formalen Charakters mehr von der Seele und dem Wesen des Menschen und der menschlichen Individualität und somit von dem wahren Geiste der Zeit als die Lyrik jedes andern Volkes jener Zeit. Man könnte zum Vergleich nur noch die gleichzeitige orientalische - arabische und persische — Dichtkunst heranziehen, die ebenfalls eine hohe Kultur des Geistes und der Seele sowie der Form erkennen läßt. Die- Verse Dantes, Petrarcas, Ariosts (Epistel») und Tassos unter wie moderne alt, weil sie ganz mit der Seele.und mit dem subtilsten Kunstgefühl gedichtet worden sind. Auch d,eS-Titans»,-,. deS' unvergleichlichen.> Wchelagnjow lyrische Knies erscheint in der schon traditionellen klassischen Schönheit der italienischen Poesie: ihre noch erdige Gedankenfracht ist gehämmert und geschmiedet, und das Geschmiedete wurde mit Gold« feilen geglättet und ziseliert. Es tst mir — ähnlich wie bei der Lektüre Dantes oder bei dem Anblick der Werke Lionardos— auch hier wieder die dem alten Römergeiste durchaus fremde Tiefe und Größe der dichterischen Phantasie und Gedankenarbeit aufgefallen. Ich habe immer das Gefühl, als wäre dies alles — wie auch der hohe Gedankenflug italienischer Fürsten, Staatsmänner und Feldherren der Renaissance —- eine auf fremdem Boden üppig emporgewucherte germanische Kultur. Michel- agniolos gedämpftes Pathos ist ganz Seele, es ist gar nicht romanisch äußerlich. Charakteristisch für ihn ist, daß alle seine Verse Gelegenheitsgedichte und dem Moment abgerungen sind, daß sie sich mit bitterster Notwendigkeit ergeben haben und nur der Niederschlag eines Empfindens sind, das sich befreien will. So erklärt sich ihr fragmentarischer Charakter. Heroisch sind sie und dunkel, schwer von Gefühl, und unter ihren nach vollkommnem Ausdruck ringenden Worten glimmt eine ver- haltne Leidenschaft. Aber immer wieder bändigt die ideale Schönheit, die himmlische Liebe diese ewig mit sich ringende, sich zersetzende Seele. Nelson, ein neuer Über¬ setzer der Dichtungen Michelagniolos, hat auch die durchaus fragmentarische» Verse übertragen. Diese Verse — oft nur Zeilen— besagen häufig recht wenig, und es war wohl nur ein Akt der Pietät, daß auch sie in diesem ausgezeichneten Werke miterschienen sind. Man hat so wenigstens alles beisammen. Anderseits erhöhen gerade viele dieser Fragmente, dieser lyrischen Rotationen, dieser hingeworfnen Gefühle und Gedanken, Bilder und Klänge den intimen Charakter der Sammlung- Interessant sind die an Zeitgenossen gerichteten, die den Charakter der Zeit und persönliche Beziehungen widerspiegelnden Gedichte, bedeutend sind die spinnenartigen Sonette an die Nacht, an Dante, an die Schönheit, an den Tod, die „religiösen Sonette", von besondern, intimen Reize die Selbstbekenntnisse, die Zerfaserungen deS eignen Geistes- und Trieblebens. Im Mittelpunkt ober leuchten und überleuchten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 68, 1909, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341889_314346/586>, abgerufen am 04.05.2024.