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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Wandlungen des Naturerkennens
von Wilhelm Wächter

as uns die griechischen Philosophen schon aus den fünf letzten
Jahrhunderten vorchristlicher Zeitrechnung über das Weltganze,
über unsern Sonderplanetcn "Erde", über deren natürliche Entstehung
und Beschaffenheit berichten, verdient mehr ein Naturahnen als
ein eigentliches Naturwissen genannt zu werden.

Die frühesten Spuren wissenschaftlich geläuterten Naturerkennens weisen auf
Kopernikus zurück. Seine im Jahre 1530 erstmals das Licht der Welt erblickenden
"I^ibri as orbiuln nocte8einen reve>Iutionibu8" stürzten das dreizehn Jahr¬
hunderte lang sich lebensfähig erhaltende geozentrische Weltensystem des Ptolemäus.
Das Dogma von der feststehenden Erde und der um sie kreisenden Sonne hatte
durch des Kopernikus wissenschaftliche Beweisführungen ein für allemal den
Todesstoß empfangen. Diesem Lebenswerk des genialen Mannes kommt die
Bedeutung einer wahren naturwissenschaftlichen Großtat zu, wennschon sie sich nur
langsam und mühevoll hindurchrang durch die Geistesmacht des späten Mittel¬
alters. Sie zeigt auf rein naturwissenschaftlichem Gebiet das erste feindliche
Zusammentreffen exakter Forschung mit traditionell überkommener, gedankenlos
und unkritisch nachgesprochener Hypothese.

Um des Kopernikus geistiger Großtat willen litt Giordano Bruno, einer
ihrer begeistertsten Verfechter, im Jahre IliOO den Feuertod der Inquisition in
demselben Rom, in dem genau hundert Jahre zuvor Kopernikus die akademische
Jugend in die Geheimnisse des Naturerkennens einzuführen sich bemüht hatte.
Und ebenda wurde weitere dreißig Jahre danach der greise Galilei der Folter
überantwortet, weil auch er schou geistig reif genug war, um Tatsachen von
Hypothese unterscheiden zu können, weil auch er von des Kopernikus bewiesener
Idee nicht lassen konnte.

Kants im Jahre 1755 erschienene "Theorie des Himmels" gibt den ersten,
wissenschaftlich wohlbegründeten Aufschluß speziell über das natürliche Entstehen
unseres Sonnensystems. Aus ihm erst leitete ein halbes Jahrhundert später der
französische Physiker und Astronom Laplace seine so berühmt gewordene kosmische
Nebeltheorie her, die heute noch als das Kant-Laplacesche Weltensystem allen




Wandlungen des Naturerkennens
von Wilhelm Wächter

as uns die griechischen Philosophen schon aus den fünf letzten
Jahrhunderten vorchristlicher Zeitrechnung über das Weltganze,
über unsern Sonderplanetcn „Erde", über deren natürliche Entstehung
und Beschaffenheit berichten, verdient mehr ein Naturahnen als
ein eigentliches Naturwissen genannt zu werden.

Die frühesten Spuren wissenschaftlich geläuterten Naturerkennens weisen auf
Kopernikus zurück. Seine im Jahre 1530 erstmals das Licht der Welt erblickenden
„I^ibri as orbiuln nocte8einen reve>Iutionibu8" stürzten das dreizehn Jahr¬
hunderte lang sich lebensfähig erhaltende geozentrische Weltensystem des Ptolemäus.
Das Dogma von der feststehenden Erde und der um sie kreisenden Sonne hatte
durch des Kopernikus wissenschaftliche Beweisführungen ein für allemal den
Todesstoß empfangen. Diesem Lebenswerk des genialen Mannes kommt die
Bedeutung einer wahren naturwissenschaftlichen Großtat zu, wennschon sie sich nur
langsam und mühevoll hindurchrang durch die Geistesmacht des späten Mittel¬
alters. Sie zeigt auf rein naturwissenschaftlichem Gebiet das erste feindliche
Zusammentreffen exakter Forschung mit traditionell überkommener, gedankenlos
und unkritisch nachgesprochener Hypothese.

Um des Kopernikus geistiger Großtat willen litt Giordano Bruno, einer
ihrer begeistertsten Verfechter, im Jahre IliOO den Feuertod der Inquisition in
demselben Rom, in dem genau hundert Jahre zuvor Kopernikus die akademische
Jugend in die Geheimnisse des Naturerkennens einzuführen sich bemüht hatte.
Und ebenda wurde weitere dreißig Jahre danach der greise Galilei der Folter
überantwortet, weil auch er schou geistig reif genug war, um Tatsachen von
Hypothese unterscheiden zu können, weil auch er von des Kopernikus bewiesener
Idee nicht lassen konnte.

Kants im Jahre 1755 erschienene „Theorie des Himmels" gibt den ersten,
wissenschaftlich wohlbegründeten Aufschluß speziell über das natürliche Entstehen
unseres Sonnensystems. Aus ihm erst leitete ein halbes Jahrhundert später der
französische Physiker und Astronom Laplace seine so berühmt gewordene kosmische
Nebeltheorie her, die heute noch als das Kant-Laplacesche Weltensystem allen


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[0274] [Abbildung] Wandlungen des Naturerkennens von Wilhelm Wächter as uns die griechischen Philosophen schon aus den fünf letzten Jahrhunderten vorchristlicher Zeitrechnung über das Weltganze, über unsern Sonderplanetcn „Erde", über deren natürliche Entstehung und Beschaffenheit berichten, verdient mehr ein Naturahnen als ein eigentliches Naturwissen genannt zu werden. Die frühesten Spuren wissenschaftlich geläuterten Naturerkennens weisen auf Kopernikus zurück. Seine im Jahre 1530 erstmals das Licht der Welt erblickenden „I^ibri as orbiuln nocte8einen reve>Iutionibu8" stürzten das dreizehn Jahr¬ hunderte lang sich lebensfähig erhaltende geozentrische Weltensystem des Ptolemäus. Das Dogma von der feststehenden Erde und der um sie kreisenden Sonne hatte durch des Kopernikus wissenschaftliche Beweisführungen ein für allemal den Todesstoß empfangen. Diesem Lebenswerk des genialen Mannes kommt die Bedeutung einer wahren naturwissenschaftlichen Großtat zu, wennschon sie sich nur langsam und mühevoll hindurchrang durch die Geistesmacht des späten Mittel¬ alters. Sie zeigt auf rein naturwissenschaftlichem Gebiet das erste feindliche Zusammentreffen exakter Forschung mit traditionell überkommener, gedankenlos und unkritisch nachgesprochener Hypothese. Um des Kopernikus geistiger Großtat willen litt Giordano Bruno, einer ihrer begeistertsten Verfechter, im Jahre IliOO den Feuertod der Inquisition in demselben Rom, in dem genau hundert Jahre zuvor Kopernikus die akademische Jugend in die Geheimnisse des Naturerkennens einzuführen sich bemüht hatte. Und ebenda wurde weitere dreißig Jahre danach der greise Galilei der Folter überantwortet, weil auch er schou geistig reif genug war, um Tatsachen von Hypothese unterscheiden zu können, weil auch er von des Kopernikus bewiesener Idee nicht lassen konnte. Kants im Jahre 1755 erschienene „Theorie des Himmels" gibt den ersten, wissenschaftlich wohlbegründeten Aufschluß speziell über das natürliche Entstehen unseres Sonnensystems. Aus ihm erst leitete ein halbes Jahrhundert später der französische Physiker und Astronom Laplace seine so berühmt gewordene kosmische Nebeltheorie her, die heute noch als das Kant-Laplacesche Weltensystem allen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/274>, abgerufen am 21.05.2024.