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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Das Rultnrproblcni und die Religion

Einwände gegen unseren Vorschlag können allerdings von denjenigen Bundes¬
staaten kommen, die durch die Austeilung des Reichslandes keinen Gebiets¬
zuwachs erreichen würden. Im Interesse des Gesamtreichs darf man jedoch
von diesen Bundesstaaten (ernstliche Berücksichtigung verdienen natürlich nur die
größeren wie Sachsen, Hessen usw.) einen gewissen Verzicht auf das I^ucrum
LLSZans einer Gebietsvergrößerung erwarten. Auch ist zu bedenken, daß bei
einer Selbständigmachung Elsaß-Lothringens als Bundesstaat durch Schaffung
neuer Stimmen im Bundesrat die übrigen Staaten ebenfalls einen Teil ihrer
heutigen Machtbefugnisse aus der Hand geben.

Man darf nicht denken, daß der Inhalt dieser Ausführungen etwas
durchaus Neues, nie Gehörtes sei. Wer im Lande lebt und mit der Bevölkerung
viel zusammenkommt, der wird unseren Vorschlag häufig von den Lippen
alteingesessener, guter Elsaß-Lothringer zu hören bekommen, namentlich dann,
wenn sie sich sicher vor dem Terror der kleinen herrschenden Minderheit fühlen.
Und gerade diese Erfahrung hat den Verfasser dieser Zeilen bewogen, in letzter
Stunde nochmals auf eine Lösungsmöglichkeit der elsaß-lothringischen Autonomie¬
frage zurückzukommen, die in der Öffentlichkeit bisher nur angedeutet, nicht
aber genauer begründet wurde. Auch die letzten Reichstagsverhandlungen mit
ihren liebenswürdigen Reden von feiten verschiedener elsaß - lothringischer
Abgeordneter haben unsere Ansicht nicht erschüttern können. Die ruhigen
Elemente, die jetzt im Reichstage zu Worte kamen, werden im elsaß-loth¬
"R," ringischen Nationalstaat nicht die Führung erhalten.




Das Aulturproblem und die Religion
Von Aar! Udnig

le Herrscherworte des Tages tauchen ans den Tiefen der Volks¬
seele auf und drücken die Sehnsucht der Zeit aus. "Welt¬
anschauung" war das Wort, das noch bis in die letzten Jahre
hinein das tiefste Sehnen der modernen Geistesbewegung in sich
zusammenfaßte. Mittlerweile ist dies Wort wie müde geworden
und ein anderes ist erwacht und in den Vordergrund der Tagesarbeit und der
Tageskämpfe getreten, das Wort: Kultur.

Wenn wir nun auch der Meinung sind, daß die Weltanschauungskämpse
auf die Dauer weder ruhen können noch ruhen dürfen, so begrüßen wir es
dennoch als einen wesentlichen Fortschritt und als im Sinne des wahren
Protestantismus, daß jetzt mit dem Stillerwerden der überheizten und oft recht
sonderbar anmutenden Weltanschauungsproduktion sofort lauter und lauter das


Das Rultnrproblcni und die Religion

Einwände gegen unseren Vorschlag können allerdings von denjenigen Bundes¬
staaten kommen, die durch die Austeilung des Reichslandes keinen Gebiets¬
zuwachs erreichen würden. Im Interesse des Gesamtreichs darf man jedoch
von diesen Bundesstaaten (ernstliche Berücksichtigung verdienen natürlich nur die
größeren wie Sachsen, Hessen usw.) einen gewissen Verzicht auf das I^ucrum
LLSZans einer Gebietsvergrößerung erwarten. Auch ist zu bedenken, daß bei
einer Selbständigmachung Elsaß-Lothringens als Bundesstaat durch Schaffung
neuer Stimmen im Bundesrat die übrigen Staaten ebenfalls einen Teil ihrer
heutigen Machtbefugnisse aus der Hand geben.

Man darf nicht denken, daß der Inhalt dieser Ausführungen etwas
durchaus Neues, nie Gehörtes sei. Wer im Lande lebt und mit der Bevölkerung
viel zusammenkommt, der wird unseren Vorschlag häufig von den Lippen
alteingesessener, guter Elsaß-Lothringer zu hören bekommen, namentlich dann,
wenn sie sich sicher vor dem Terror der kleinen herrschenden Minderheit fühlen.
Und gerade diese Erfahrung hat den Verfasser dieser Zeilen bewogen, in letzter
Stunde nochmals auf eine Lösungsmöglichkeit der elsaß-lothringischen Autonomie¬
frage zurückzukommen, die in der Öffentlichkeit bisher nur angedeutet, nicht
aber genauer begründet wurde. Auch die letzten Reichstagsverhandlungen mit
ihren liebenswürdigen Reden von feiten verschiedener elsaß - lothringischer
Abgeordneter haben unsere Ansicht nicht erschüttern können. Die ruhigen
Elemente, die jetzt im Reichstage zu Worte kamen, werden im elsaß-loth¬
„R," ringischen Nationalstaat nicht die Führung erhalten.




Das Aulturproblem und die Religion
Von Aar! Udnig

le Herrscherworte des Tages tauchen ans den Tiefen der Volks¬
seele auf und drücken die Sehnsucht der Zeit aus. „Welt¬
anschauung" war das Wort, das noch bis in die letzten Jahre
hinein das tiefste Sehnen der modernen Geistesbewegung in sich
zusammenfaßte. Mittlerweile ist dies Wort wie müde geworden
und ein anderes ist erwacht und in den Vordergrund der Tagesarbeit und der
Tageskämpfe getreten, das Wort: Kultur.

Wenn wir nun auch der Meinung sind, daß die Weltanschauungskämpse
auf die Dauer weder ruhen können noch ruhen dürfen, so begrüßen wir es
dennoch als einen wesentlichen Fortschritt und als im Sinne des wahren
Protestantismus, daß jetzt mit dem Stillerwerden der überheizten und oft recht
sonderbar anmutenden Weltanschauungsproduktion sofort lauter und lauter das


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[0163] Das Rultnrproblcni und die Religion Einwände gegen unseren Vorschlag können allerdings von denjenigen Bundes¬ staaten kommen, die durch die Austeilung des Reichslandes keinen Gebiets¬ zuwachs erreichen würden. Im Interesse des Gesamtreichs darf man jedoch von diesen Bundesstaaten (ernstliche Berücksichtigung verdienen natürlich nur die größeren wie Sachsen, Hessen usw.) einen gewissen Verzicht auf das I^ucrum LLSZans einer Gebietsvergrößerung erwarten. Auch ist zu bedenken, daß bei einer Selbständigmachung Elsaß-Lothringens als Bundesstaat durch Schaffung neuer Stimmen im Bundesrat die übrigen Staaten ebenfalls einen Teil ihrer heutigen Machtbefugnisse aus der Hand geben. Man darf nicht denken, daß der Inhalt dieser Ausführungen etwas durchaus Neues, nie Gehörtes sei. Wer im Lande lebt und mit der Bevölkerung viel zusammenkommt, der wird unseren Vorschlag häufig von den Lippen alteingesessener, guter Elsaß-Lothringer zu hören bekommen, namentlich dann, wenn sie sich sicher vor dem Terror der kleinen herrschenden Minderheit fühlen. Und gerade diese Erfahrung hat den Verfasser dieser Zeilen bewogen, in letzter Stunde nochmals auf eine Lösungsmöglichkeit der elsaß-lothringischen Autonomie¬ frage zurückzukommen, die in der Öffentlichkeit bisher nur angedeutet, nicht aber genauer begründet wurde. Auch die letzten Reichstagsverhandlungen mit ihren liebenswürdigen Reden von feiten verschiedener elsaß - lothringischer Abgeordneter haben unsere Ansicht nicht erschüttern können. Die ruhigen Elemente, die jetzt im Reichstage zu Worte kamen, werden im elsaß-loth¬ „R," ringischen Nationalstaat nicht die Führung erhalten. Das Aulturproblem und die Religion Von Aar! Udnig le Herrscherworte des Tages tauchen ans den Tiefen der Volks¬ seele auf und drücken die Sehnsucht der Zeit aus. „Welt¬ anschauung" war das Wort, das noch bis in die letzten Jahre hinein das tiefste Sehnen der modernen Geistesbewegung in sich zusammenfaßte. Mittlerweile ist dies Wort wie müde geworden und ein anderes ist erwacht und in den Vordergrund der Tagesarbeit und der Tageskämpfe getreten, das Wort: Kultur. Wenn wir nun auch der Meinung sind, daß die Weltanschauungskämpse auf die Dauer weder ruhen können noch ruhen dürfen, so begrüßen wir es dennoch als einen wesentlichen Fortschritt und als im Sinne des wahren Protestantismus, daß jetzt mit dem Stillerwerden der überheizten und oft recht sonderbar anmutenden Weltanschauungsproduktion sofort lauter und lauter das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/163>, abgerufen am 05.05.2024.