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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Endlich keine neue Aufsichtsbehörde. Die Oberlandesgerichte haben sich
vorzüglich bewährt. Ihr Ansehen, ihre Unbefangenheit, ihre gesellschaftliche
Freiheit von dem Verkehrskreis der fideikommißbesitzenden Familien, ihre
Tradition in der Erledigung dieser Geschäfte sind Vorzüge, die keine andere
Behörde böte. Für den Oberpräsidenten wäre es ein politisches Bleigewicht,
Streitigkeiten innerhalb einflußreicher Familien zu entscheiden, und seine Ent¬
scheidungen würden die Teile nicht als unbefangen hinnehmen. Weiter: Es
ist ein Unfug und eine Schwäche unserer heutigen Verwaltung, Behörden in
ihrem traditionellen Wirkungskreis zu "verstärken" durch Experten- oder Laien-
bcisitzer. Nur nicht die Fideikommißsenate der Obergerichte durch Sach¬
verständige oder Mitglieder anderer Behörden oder Vertretungen bereichern
wollen. Neun Zehntel der Sachen interessieren diese unglücklichen Herren gar nicht,
die oft von weither zu den Sitzungen angereiht kommen, oder würden jedenfalls
ebensogut ohne ihren Beisitz erledigt werden. Und für den Rest ist es das
allein Vernünftige und für Schonung von Menschenzeit und -kraft Verant¬
wortliche, man macht es so, wie es früher immer gemacht wurde, und zieht
vom Landrat oder der Landwirtschaftskammer, vom Landschaftsdirektor oder der
Generalkommision in besonderen Fällen ein Gutachten ein. So eilig ist es gewöhnlich
gar nicht. Nur nicht eine neue Spezies des deutschen Beisitzerunwesens.

So, mein lieber Freund, hier haben Sie in aller Kürze meine Gedanken
über ein neues Fideikommißgesetz. Glücklich, Ihren Beifall zu finden, wäre ich
noch glücklicher, Sie zu Betrachtungen angeregt zu haben, die meine bescheidenen
Bemerkungen in den Schatten stellten. Allein, Sie sind ein echter Deutscher:
Briefe erhalten ist schön, Briefe beantworten ist überflüssig. Wie sagt doch
Heinrich Heine? Und ein Nan wartet auf Antwort.




Intellektualismus und Dekadenz )
voll L6on Bazalgette
Berechtigte Übersetzung von L, v, Kraatz, geb. Gräfin Baudissin

le Inferiorität der heutigen Lateiner in bezug auf Energie und
nationale Lebenskraft ist meiner Ansicht nach kein strittiges Thema,
sondern eine sonnenklare Tatsache, die jeder einigermaßen ver¬
ständige und aufrichtige Mensch wahrnehmen muß. Ich halte es
daher für vollkommen unangebracht, mich weiter auf diese spezielle
Frage einzulassen.



") Bei der Überfülle deutscher, sich oft scharf widersprechender Urteile über die Franzosen
ist es nicht ohne Wert, sich wieder einmal das Urteil eines ihrer klarsten Köpfe und weit-

Endlich keine neue Aufsichtsbehörde. Die Oberlandesgerichte haben sich
vorzüglich bewährt. Ihr Ansehen, ihre Unbefangenheit, ihre gesellschaftliche
Freiheit von dem Verkehrskreis der fideikommißbesitzenden Familien, ihre
Tradition in der Erledigung dieser Geschäfte sind Vorzüge, die keine andere
Behörde böte. Für den Oberpräsidenten wäre es ein politisches Bleigewicht,
Streitigkeiten innerhalb einflußreicher Familien zu entscheiden, und seine Ent¬
scheidungen würden die Teile nicht als unbefangen hinnehmen. Weiter: Es
ist ein Unfug und eine Schwäche unserer heutigen Verwaltung, Behörden in
ihrem traditionellen Wirkungskreis zu „verstärken" durch Experten- oder Laien-
bcisitzer. Nur nicht die Fideikommißsenate der Obergerichte durch Sach¬
verständige oder Mitglieder anderer Behörden oder Vertretungen bereichern
wollen. Neun Zehntel der Sachen interessieren diese unglücklichen Herren gar nicht,
die oft von weither zu den Sitzungen angereiht kommen, oder würden jedenfalls
ebensogut ohne ihren Beisitz erledigt werden. Und für den Rest ist es das
allein Vernünftige und für Schonung von Menschenzeit und -kraft Verant¬
wortliche, man macht es so, wie es früher immer gemacht wurde, und zieht
vom Landrat oder der Landwirtschaftskammer, vom Landschaftsdirektor oder der
Generalkommision in besonderen Fällen ein Gutachten ein. So eilig ist es gewöhnlich
gar nicht. Nur nicht eine neue Spezies des deutschen Beisitzerunwesens.

So, mein lieber Freund, hier haben Sie in aller Kürze meine Gedanken
über ein neues Fideikommißgesetz. Glücklich, Ihren Beifall zu finden, wäre ich
noch glücklicher, Sie zu Betrachtungen angeregt zu haben, die meine bescheidenen
Bemerkungen in den Schatten stellten. Allein, Sie sind ein echter Deutscher:
Briefe erhalten ist schön, Briefe beantworten ist überflüssig. Wie sagt doch
Heinrich Heine? Und ein Nan wartet auf Antwort.




Intellektualismus und Dekadenz )
voll L6on Bazalgette
Berechtigte Übersetzung von L, v, Kraatz, geb. Gräfin Baudissin

le Inferiorität der heutigen Lateiner in bezug auf Energie und
nationale Lebenskraft ist meiner Ansicht nach kein strittiges Thema,
sondern eine sonnenklare Tatsache, die jeder einigermaßen ver¬
ständige und aufrichtige Mensch wahrnehmen muß. Ich halte es
daher für vollkommen unangebracht, mich weiter auf diese spezielle
Frage einzulassen.



") Bei der Überfülle deutscher, sich oft scharf widersprechender Urteile über die Franzosen
ist es nicht ohne Wert, sich wieder einmal das Urteil eines ihrer klarsten Köpfe und weit-
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[0031] Endlich keine neue Aufsichtsbehörde. Die Oberlandesgerichte haben sich vorzüglich bewährt. Ihr Ansehen, ihre Unbefangenheit, ihre gesellschaftliche Freiheit von dem Verkehrskreis der fideikommißbesitzenden Familien, ihre Tradition in der Erledigung dieser Geschäfte sind Vorzüge, die keine andere Behörde böte. Für den Oberpräsidenten wäre es ein politisches Bleigewicht, Streitigkeiten innerhalb einflußreicher Familien zu entscheiden, und seine Ent¬ scheidungen würden die Teile nicht als unbefangen hinnehmen. Weiter: Es ist ein Unfug und eine Schwäche unserer heutigen Verwaltung, Behörden in ihrem traditionellen Wirkungskreis zu „verstärken" durch Experten- oder Laien- bcisitzer. Nur nicht die Fideikommißsenate der Obergerichte durch Sach¬ verständige oder Mitglieder anderer Behörden oder Vertretungen bereichern wollen. Neun Zehntel der Sachen interessieren diese unglücklichen Herren gar nicht, die oft von weither zu den Sitzungen angereiht kommen, oder würden jedenfalls ebensogut ohne ihren Beisitz erledigt werden. Und für den Rest ist es das allein Vernünftige und für Schonung von Menschenzeit und -kraft Verant¬ wortliche, man macht es so, wie es früher immer gemacht wurde, und zieht vom Landrat oder der Landwirtschaftskammer, vom Landschaftsdirektor oder der Generalkommision in besonderen Fällen ein Gutachten ein. So eilig ist es gewöhnlich gar nicht. Nur nicht eine neue Spezies des deutschen Beisitzerunwesens. So, mein lieber Freund, hier haben Sie in aller Kürze meine Gedanken über ein neues Fideikommißgesetz. Glücklich, Ihren Beifall zu finden, wäre ich noch glücklicher, Sie zu Betrachtungen angeregt zu haben, die meine bescheidenen Bemerkungen in den Schatten stellten. Allein, Sie sind ein echter Deutscher: Briefe erhalten ist schön, Briefe beantworten ist überflüssig. Wie sagt doch Heinrich Heine? Und ein Nan wartet auf Antwort. Intellektualismus und Dekadenz ) voll L6on Bazalgette Berechtigte Übersetzung von L, v, Kraatz, geb. Gräfin Baudissin le Inferiorität der heutigen Lateiner in bezug auf Energie und nationale Lebenskraft ist meiner Ansicht nach kein strittiges Thema, sondern eine sonnenklare Tatsache, die jeder einigermaßen ver¬ ständige und aufrichtige Mensch wahrnehmen muß. Ich halte es daher für vollkommen unangebracht, mich weiter auf diese spezielle Frage einzulassen. ") Bei der Überfülle deutscher, sich oft scharf widersprechender Urteile über die Franzosen ist es nicht ohne Wert, sich wieder einmal das Urteil eines ihrer klarsten Köpfe und weit-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/31>, abgerufen am 05.05.2024.