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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Liberalismus und Organisation?
von punt Feucht

ir wagen ein unbotmäßiges Fragezeichen hinter diese Organisation
zu setze", die heute mit dem gebieterischen Ansrufzeichen wie mit
einen: Zepter und Marschallstab aufzutreten liebt. Wir setzen
sogar zwei Fragezeichen, das eine hinter die Sprachgestalt, das
andere hinter den Sachgehalt. Mit der Sprachgestalt können
wir uns kurz fassen: Organisation ist kein Rassewort, sondern ein Scherenschleifer
mit griechischem Rumpf und lateinischen! Schwanz, der sich auch noch französisch
trägt. Als Rassewort müßte das wenigstens Organik oder Organose heißen.

Alsbald indem wir so am griechischen Stamm hinabgraben, kommen wir
auch schon von der Sprachgestalt zum Sachgehalt, kommen zur Stelle, wo
die griechische Organik wurzeleins ist mit dem deutschen Wirken und Verwirke"
und Verwirklicher. "Lasset uns wirken, solang' es Tag ist": das wäre der
schlicht wörtliche, weiteste Sinn der "Organik mit Ausrufzeichen". Wie den
Pflanzenforscher, so führt auch den Wortforscher die Wurzel-Ergründung dann
weiter von der Form zum Wesen, zur Erkenntnis von Saft und Kraft des
ganzen Gebildes. Ordentlicherweise will alsbald eben diese Frage nach dem
Sachgehalt nicht nur aus der Sprache, sondern auch aus der menschlichen Gesell¬
schaft und Geschichte herausgewurzelt sein. "Es ist nicht gut, daß der Mensch
allein sei", sprach nämlich der Schöpfer und gab ihm eine "organische Ergänzung"
oder ein "ergänzendes Organ", wenn wir den Urtext genau nehmen wollen.
Und die erste Organisation war vollbracht, Organisation bereits im engeren
Sinn. Und wie hier der Schöpfer in der Ehe nicht Gleich zu Gleich fügte,
sondern die ungleichen Organe erst zu einen: gleichen neuen Schöpfungszweck
vereinigte, so will er alle weitere Organisation verstanden, will auf der Ehe und
den Familien die Gemeinde, auf den Gemeindell den Staat, auf den Staaten
dereinst vielleicht einen Areopag und Organismus der Völker errichtet sehen.
Gebilde immer nach dem Muster des körperlichen Organismus, all den: auch
kein Teil dem andern gleich sei, sondern jeder etwas Neues, Eigentümliches zum
Ganzen hinzubrächte.

Organisation im weiten Sinn, wäre also jede Verwirrung von Or¬
ganen, von Schöpfungsgliedern miteinander und dadurch Verwirklichung einer
höheren Schöpfnngsstufe. Soeben aber haben wir sie schon in jenem




Liberalismus und Organisation?
von punt Feucht

ir wagen ein unbotmäßiges Fragezeichen hinter diese Organisation
zu setze», die heute mit dem gebieterischen Ansrufzeichen wie mit
einen: Zepter und Marschallstab aufzutreten liebt. Wir setzen
sogar zwei Fragezeichen, das eine hinter die Sprachgestalt, das
andere hinter den Sachgehalt. Mit der Sprachgestalt können
wir uns kurz fassen: Organisation ist kein Rassewort, sondern ein Scherenschleifer
mit griechischem Rumpf und lateinischen! Schwanz, der sich auch noch französisch
trägt. Als Rassewort müßte das wenigstens Organik oder Organose heißen.

Alsbald indem wir so am griechischen Stamm hinabgraben, kommen wir
auch schon von der Sprachgestalt zum Sachgehalt, kommen zur Stelle, wo
die griechische Organik wurzeleins ist mit dem deutschen Wirken und Verwirke»
und Verwirklicher. „Lasset uns wirken, solang' es Tag ist": das wäre der
schlicht wörtliche, weiteste Sinn der „Organik mit Ausrufzeichen". Wie den
Pflanzenforscher, so führt auch den Wortforscher die Wurzel-Ergründung dann
weiter von der Form zum Wesen, zur Erkenntnis von Saft und Kraft des
ganzen Gebildes. Ordentlicherweise will alsbald eben diese Frage nach dem
Sachgehalt nicht nur aus der Sprache, sondern auch aus der menschlichen Gesell¬
schaft und Geschichte herausgewurzelt sein. „Es ist nicht gut, daß der Mensch
allein sei", sprach nämlich der Schöpfer und gab ihm eine „organische Ergänzung"
oder ein „ergänzendes Organ", wenn wir den Urtext genau nehmen wollen.
Und die erste Organisation war vollbracht, Organisation bereits im engeren
Sinn. Und wie hier der Schöpfer in der Ehe nicht Gleich zu Gleich fügte,
sondern die ungleichen Organe erst zu einen: gleichen neuen Schöpfungszweck
vereinigte, so will er alle weitere Organisation verstanden, will auf der Ehe und
den Familien die Gemeinde, auf den Gemeindell den Staat, auf den Staaten
dereinst vielleicht einen Areopag und Organismus der Völker errichtet sehen.
Gebilde immer nach dem Muster des körperlichen Organismus, all den: auch
kein Teil dem andern gleich sei, sondern jeder etwas Neues, Eigentümliches zum
Ganzen hinzubrächte.

Organisation im weiten Sinn, wäre also jede Verwirrung von Or¬
ganen, von Schöpfungsgliedern miteinander und dadurch Verwirklichung einer
höheren Schöpfnngsstufe. Soeben aber haben wir sie schon in jenem


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[0428] [Abbildung] Liberalismus und Organisation? von punt Feucht ir wagen ein unbotmäßiges Fragezeichen hinter diese Organisation zu setze», die heute mit dem gebieterischen Ansrufzeichen wie mit einen: Zepter und Marschallstab aufzutreten liebt. Wir setzen sogar zwei Fragezeichen, das eine hinter die Sprachgestalt, das andere hinter den Sachgehalt. Mit der Sprachgestalt können wir uns kurz fassen: Organisation ist kein Rassewort, sondern ein Scherenschleifer mit griechischem Rumpf und lateinischen! Schwanz, der sich auch noch französisch trägt. Als Rassewort müßte das wenigstens Organik oder Organose heißen. Alsbald indem wir so am griechischen Stamm hinabgraben, kommen wir auch schon von der Sprachgestalt zum Sachgehalt, kommen zur Stelle, wo die griechische Organik wurzeleins ist mit dem deutschen Wirken und Verwirke» und Verwirklicher. „Lasset uns wirken, solang' es Tag ist": das wäre der schlicht wörtliche, weiteste Sinn der „Organik mit Ausrufzeichen". Wie den Pflanzenforscher, so führt auch den Wortforscher die Wurzel-Ergründung dann weiter von der Form zum Wesen, zur Erkenntnis von Saft und Kraft des ganzen Gebildes. Ordentlicherweise will alsbald eben diese Frage nach dem Sachgehalt nicht nur aus der Sprache, sondern auch aus der menschlichen Gesell¬ schaft und Geschichte herausgewurzelt sein. „Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei", sprach nämlich der Schöpfer und gab ihm eine „organische Ergänzung" oder ein „ergänzendes Organ", wenn wir den Urtext genau nehmen wollen. Und die erste Organisation war vollbracht, Organisation bereits im engeren Sinn. Und wie hier der Schöpfer in der Ehe nicht Gleich zu Gleich fügte, sondern die ungleichen Organe erst zu einen: gleichen neuen Schöpfungszweck vereinigte, so will er alle weitere Organisation verstanden, will auf der Ehe und den Familien die Gemeinde, auf den Gemeindell den Staat, auf den Staaten dereinst vielleicht einen Areopag und Organismus der Völker errichtet sehen. Gebilde immer nach dem Muster des körperlichen Organismus, all den: auch kein Teil dem andern gleich sei, sondern jeder etwas Neues, Eigentümliches zum Ganzen hinzubrächte. Organisation im weiten Sinn, wäre also jede Verwirrung von Or¬ ganen, von Schöpfungsgliedern miteinander und dadurch Verwirklichung einer höheren Schöpfnngsstufe. Soeben aber haben wir sie schon in jenem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/428>, abgerufen am 05.05.2024.