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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Der Anstcmschprofcssor

D
2) er Austauschprofessor
Humoreske von Wilhelm ooeck

"Ich glaube, Sie sind doch nicht mehr ein so guter Mensch." nahm Fräulein
Doktor Grautou ihre moralischen Erinnerungen von vorhin wieder auf, "wie damals,
wenn ich Sie auf dein .President Lincoln' kennen lernte. Ich glaube, Sie gehen
nicht viel in die Kirche. Wenn Sie wegen Ihr Heimweh für Persien kein Wein
und Laloric8 getrunken hätten, so hätten Sie heute morgen keine Kopfschmerzen."

"Das ist wahr. Aber auch nicht das Vergnügen, Sie heute morgen auf
dem Kruslakcr Damm getroffen zu haben."

"Vou are riZKt," sagte Miß Granton und wurde nachdenklich. In der
Tat, wenn Doktor Jerum sie nicht aus deu Klauen des Polizeimannes mit dem
großen Säbel und der rauhen Stimme befreit haben würde, dann hätte sie mit
ihrem schwarzen Ilm schön dagesessen. Der Gedanke verdichtete sich in ihr
zur Philosophie und sie fragte:

"Mr. Jerum, glauben Sie an Zufall? Oder glauben Sie an Bestimmung?"

"An beides," sagte Jerum.

"Aber ich glaube nur an Bestimmung," sagte Miß Granton.

"Wenn einer etwas glaubt," sagte Doktor Jerum, "so muß er daran fest¬
halten."

"Muß er nicht?" erwiderte Miß Granton erfreut. "O. Mr. Jerum, ich
glaube doch, Sie sind hier inwendig (sie tippte auf die linke Brustseite von
Doktor Jernms Paletot) ein guter, ein sehr guter Mensch geblieben."

Inzwischen war das Aut in Bergstadt angekommen nud rollte in lang¬
samem Tempo durch die Straßen. Miß Granton hatte, durch zahlreiche Blicke
der Neugier unangenehm berührt, das Brillenvisir heruntergeklappt und den
Schleier dicht zusammengezogen.

In Bergstadt wird fleißig zur Kirche gegangen, besonders von den besseren
Bürgerfamilien. Auch Oberpostsekretär Krause nebst Frau und Tochter waren
auf dein Wege zum Gotteshause. Hinter denen kam Kaufmann Wegerich, es
folgten Professor Grannzer, Deichinspektor Lühmcmn, Mühlenbesitzer Kloksnut
und verschiedene andere Honoratioren, sämtlich mit ihren Gattinnen.

Was war denn das? Doktor Jerum im Ant? Mit einer vermummten Dame?
Und einem schwarzen Chauffeur? -- Hin, hin! -- El, el!

Doktor Jerum hatte weiter nichts zu tun, als fortwährend den Hut abzunehmen
und wieder aufzusetzen und dachte in seinem durcheinander arbeitenden Gehirn:
Mit dein Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land. -- Na, was
die Bergstädter aber von dem wissenschaftlichen Hilfslehrer Doktor Jerum, der ihre
Bengels in der Sexta verdaut, für 'ne Vorstellung kriegen. Aut, maskierte
Dame, Nigger auf dein Bock. Ich glaube, die denken, ich werde von der
Tochter des Schäds nach Persien entführt.


Der Anstcmschprofcssor

D
2) er Austauschprofessor
Humoreske von Wilhelm ooeck

„Ich glaube, Sie sind doch nicht mehr ein so guter Mensch." nahm Fräulein
Doktor Grautou ihre moralischen Erinnerungen von vorhin wieder auf, „wie damals,
wenn ich Sie auf dein .President Lincoln' kennen lernte. Ich glaube, Sie gehen
nicht viel in die Kirche. Wenn Sie wegen Ihr Heimweh für Persien kein Wein
und Laloric8 getrunken hätten, so hätten Sie heute morgen keine Kopfschmerzen."

„Das ist wahr. Aber auch nicht das Vergnügen, Sie heute morgen auf
dem Kruslakcr Damm getroffen zu haben."

„Vou are riZKt," sagte Miß Granton und wurde nachdenklich. In der
Tat, wenn Doktor Jerum sie nicht aus deu Klauen des Polizeimannes mit dem
großen Säbel und der rauhen Stimme befreit haben würde, dann hätte sie mit
ihrem schwarzen Ilm schön dagesessen. Der Gedanke verdichtete sich in ihr
zur Philosophie und sie fragte:

„Mr. Jerum, glauben Sie an Zufall? Oder glauben Sie an Bestimmung?"

„An beides," sagte Jerum.

„Aber ich glaube nur an Bestimmung," sagte Miß Granton.

„Wenn einer etwas glaubt," sagte Doktor Jerum, „so muß er daran fest¬
halten."

„Muß er nicht?" erwiderte Miß Granton erfreut. „O. Mr. Jerum, ich
glaube doch, Sie sind hier inwendig (sie tippte auf die linke Brustseite von
Doktor Jernms Paletot) ein guter, ein sehr guter Mensch geblieben."

Inzwischen war das Aut in Bergstadt angekommen nud rollte in lang¬
samem Tempo durch die Straßen. Miß Granton hatte, durch zahlreiche Blicke
der Neugier unangenehm berührt, das Brillenvisir heruntergeklappt und den
Schleier dicht zusammengezogen.

In Bergstadt wird fleißig zur Kirche gegangen, besonders von den besseren
Bürgerfamilien. Auch Oberpostsekretär Krause nebst Frau und Tochter waren
auf dein Wege zum Gotteshause. Hinter denen kam Kaufmann Wegerich, es
folgten Professor Grannzer, Deichinspektor Lühmcmn, Mühlenbesitzer Kloksnut
und verschiedene andere Honoratioren, sämtlich mit ihren Gattinnen.

Was war denn das? Doktor Jerum im Ant? Mit einer vermummten Dame?
Und einem schwarzen Chauffeur? — Hin, hin! — El, el!

Doktor Jerum hatte weiter nichts zu tun, als fortwährend den Hut abzunehmen
und wieder aufzusetzen und dachte in seinem durcheinander arbeitenden Gehirn:
Mit dein Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land. — Na, was
die Bergstädter aber von dem wissenschaftlichen Hilfslehrer Doktor Jerum, der ihre
Bengels in der Sexta verdaut, für 'ne Vorstellung kriegen. Aut, maskierte
Dame, Nigger auf dein Bock. Ich glaube, die denken, ich werde von der
Tochter des Schäds nach Persien entführt.


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[0527] Der Anstcmschprofcssor D 2) er Austauschprofessor Humoreske von Wilhelm ooeck „Ich glaube, Sie sind doch nicht mehr ein so guter Mensch." nahm Fräulein Doktor Grautou ihre moralischen Erinnerungen von vorhin wieder auf, „wie damals, wenn ich Sie auf dein .President Lincoln' kennen lernte. Ich glaube, Sie gehen nicht viel in die Kirche. Wenn Sie wegen Ihr Heimweh für Persien kein Wein und Laloric8 getrunken hätten, so hätten Sie heute morgen keine Kopfschmerzen." „Das ist wahr. Aber auch nicht das Vergnügen, Sie heute morgen auf dem Kruslakcr Damm getroffen zu haben." „Vou are riZKt," sagte Miß Granton und wurde nachdenklich. In der Tat, wenn Doktor Jerum sie nicht aus deu Klauen des Polizeimannes mit dem großen Säbel und der rauhen Stimme befreit haben würde, dann hätte sie mit ihrem schwarzen Ilm schön dagesessen. Der Gedanke verdichtete sich in ihr zur Philosophie und sie fragte: „Mr. Jerum, glauben Sie an Zufall? Oder glauben Sie an Bestimmung?" „An beides," sagte Jerum. „Aber ich glaube nur an Bestimmung," sagte Miß Granton. „Wenn einer etwas glaubt," sagte Doktor Jerum, „so muß er daran fest¬ halten." „Muß er nicht?" erwiderte Miß Granton erfreut. „O. Mr. Jerum, ich glaube doch, Sie sind hier inwendig (sie tippte auf die linke Brustseite von Doktor Jernms Paletot) ein guter, ein sehr guter Mensch geblieben." Inzwischen war das Aut in Bergstadt angekommen nud rollte in lang¬ samem Tempo durch die Straßen. Miß Granton hatte, durch zahlreiche Blicke der Neugier unangenehm berührt, das Brillenvisir heruntergeklappt und den Schleier dicht zusammengezogen. In Bergstadt wird fleißig zur Kirche gegangen, besonders von den besseren Bürgerfamilien. Auch Oberpostsekretär Krause nebst Frau und Tochter waren auf dein Wege zum Gotteshause. Hinter denen kam Kaufmann Wegerich, es folgten Professor Grannzer, Deichinspektor Lühmcmn, Mühlenbesitzer Kloksnut und verschiedene andere Honoratioren, sämtlich mit ihren Gattinnen. Was war denn das? Doktor Jerum im Ant? Mit einer vermummten Dame? Und einem schwarzen Chauffeur? — Hin, hin! — El, el! Doktor Jerum hatte weiter nichts zu tun, als fortwährend den Hut abzunehmen und wieder aufzusetzen und dachte in seinem durcheinander arbeitenden Gehirn: Mit dein Hute in der Hand kommt man durch das ganze Land. — Na, was die Bergstädter aber von dem wissenschaftlichen Hilfslehrer Doktor Jerum, der ihre Bengels in der Sexta verdaut, für 'ne Vorstellung kriegen. Aut, maskierte Dame, Nigger auf dein Bock. Ich glaube, die denken, ich werde von der Tochter des Schäds nach Persien entführt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/527>, abgerufen am 05.05.2024.