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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Neue Vücher

urz vor dem achtzigsten Geburtstage, den die "Grenzboten" jüngst
feiern halfen, hat Paul Heyse einen Band neuer Novellen unter
dem Titel: "Helldunkles Leben" (Stuttgart, Cotta) heraus-
gegeben, sämtlich Stücke aus den Jahren 1907 und 1908. Seit
den vor sieben Jahren erschienenen "Moralischen Unmöglichkeiten"
ist es der feinste und einheitlichste Prosaband, den Heyse veröffentlicht hat. Der
reine und sorgsam getönte Stil dieser Erzählungskunst gilt immer wieder
ungewöhnlichen Meuschen, im eigentlichsten Sinn interessanten Konflikten; und
immer wieder ergibt die Erzählung Bilder von farbigem Reiz, unter denen wohl
das der in Deutschland halb fremden Italienerin, die ihr Roß faltete und dem
im stillen Geliebten nachreitet, in der Novelle "Rita" das schönste ist. Es sind
die alten, Böcklinschem Farbenzauber vergleichbaren Mischungen der Palette, mit
denen der jetzt Achtzigjährige vor Jahrzehnten zu wirken wußte und immer noch
zu wirken weiß, wenn er in dem einfachen Ton, den er so liebt, seine Geschehnisse
hinerzählt. Wenn in dem eben veröffentlichten zweiten Bande von Theodor
Fontanes Briefen an Freunde von dem fremden Blutstropfen die Rede ist, der
Heyse gelegentlich das Konzept verderbe, so gilt das vielleicht für eine Reihe
novellistischer Stücke aus früheren Jahren ("Kleopatra", "Fedja", "Medea"),
keineswegs aber von Gaben wie diesen jüngsten einer immer noch nicht gealterten
und veralteten Kunst. So erfreuliche Blüten der deutsche Roman in den letzten
Jahrzehnten getrieben hat -- novellistische Erzähler von der Einheitlichkeit und,
was wohl anzumerken ist, der künstlerischen Abkürzung Paul Heyses hat uns das
jüngere Geschlecht noch nicht gegeben.

Unter den Romanen tritt zuvörderst ein alter Bekannter auf: Wilhelm
Hegeler hat eins seiner ersten Werke, den 1898 erschienenen Roman "Sonnige
Tage" (Berlin, Egon Fleischel u. Co.), umgearbeitet, erfreulicherweise ohne ihm
den Schimmer der Jngeno zu nehmen, der das Beste dieses Werks ist. Wie ein
junger, schwerblütiger Ostfriese hin und her schwankt zwischen dem ererbten,
nüchternen Beruf und einer Kunst, zu der ihm doch das volle Maß der Gaben
fehlt, wie er, parallel mit diesem Kampf, den Konflikt zu Ende streiten muß
zwischen einer aus der Kindheit ins junge Mannesleben hinüber geretteten nord¬
deutschen Liebe und einer neuen, jäh aufflammenden südlichen Leidenschaft, das
ist das Thema des Buchs; und das wird zum Dritten parallelisiert in dem
Gegensatz zwischen der melancholischen, düstern oldenburgischen Heimat Heinrich
Södings und dem blütenumkränzten, heitern, ganz in Sonne getauchten Gestade




Neue Vücher

urz vor dem achtzigsten Geburtstage, den die „Grenzboten" jüngst
feiern halfen, hat Paul Heyse einen Band neuer Novellen unter
dem Titel: „Helldunkles Leben" (Stuttgart, Cotta) heraus-
gegeben, sämtlich Stücke aus den Jahren 1907 und 1908. Seit
den vor sieben Jahren erschienenen „Moralischen Unmöglichkeiten"
ist es der feinste und einheitlichste Prosaband, den Heyse veröffentlicht hat. Der
reine und sorgsam getönte Stil dieser Erzählungskunst gilt immer wieder
ungewöhnlichen Meuschen, im eigentlichsten Sinn interessanten Konflikten; und
immer wieder ergibt die Erzählung Bilder von farbigem Reiz, unter denen wohl
das der in Deutschland halb fremden Italienerin, die ihr Roß faltete und dem
im stillen Geliebten nachreitet, in der Novelle „Rita" das schönste ist. Es sind
die alten, Böcklinschem Farbenzauber vergleichbaren Mischungen der Palette, mit
denen der jetzt Achtzigjährige vor Jahrzehnten zu wirken wußte und immer noch
zu wirken weiß, wenn er in dem einfachen Ton, den er so liebt, seine Geschehnisse
hinerzählt. Wenn in dem eben veröffentlichten zweiten Bande von Theodor
Fontanes Briefen an Freunde von dem fremden Blutstropfen die Rede ist, der
Heyse gelegentlich das Konzept verderbe, so gilt das vielleicht für eine Reihe
novellistischer Stücke aus früheren Jahren („Kleopatra", „Fedja", „Medea"),
keineswegs aber von Gaben wie diesen jüngsten einer immer noch nicht gealterten
und veralteten Kunst. So erfreuliche Blüten der deutsche Roman in den letzten
Jahrzehnten getrieben hat — novellistische Erzähler von der Einheitlichkeit und,
was wohl anzumerken ist, der künstlerischen Abkürzung Paul Heyses hat uns das
jüngere Geschlecht noch nicht gegeben.

Unter den Romanen tritt zuvörderst ein alter Bekannter auf: Wilhelm
Hegeler hat eins seiner ersten Werke, den 1898 erschienenen Roman „Sonnige
Tage" (Berlin, Egon Fleischel u. Co.), umgearbeitet, erfreulicherweise ohne ihm
den Schimmer der Jngeno zu nehmen, der das Beste dieses Werks ist. Wie ein
junger, schwerblütiger Ostfriese hin und her schwankt zwischen dem ererbten,
nüchternen Beruf und einer Kunst, zu der ihm doch das volle Maß der Gaben
fehlt, wie er, parallel mit diesem Kampf, den Konflikt zu Ende streiten muß
zwischen einer aus der Kindheit ins junge Mannesleben hinüber geretteten nord¬
deutschen Liebe und einer neuen, jäh aufflammenden südlichen Leidenschaft, das
ist das Thema des Buchs; und das wird zum Dritten parallelisiert in dem
Gegensatz zwischen der melancholischen, düstern oldenburgischen Heimat Heinrich
Södings und dem blütenumkränzten, heitern, ganz in Sonne getauchten Gestade


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/542>, abgerufen am 05.05.2024.