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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Hans Memling

Wie einst Goethe sich über den ihn erschütternden Tod seines Herzogs Karl
August in der Stille des Schlosses Dornburg tröstete, wo er in: innigsten Verkehr
mit der herrlichen ihn umgebenden Natur neue Lebens- und Ewigkeitshoffnungeu
schöpfte, so schreibt Karoline Rochow am Abend ihres Lebens: "Die Sonne
scheint hell auf die gelben Blätter und der blaue, herbstliche Duft über der
Landschaft gibt trotz welken Blumen, fallenden Blättern den Hügeln und der
Heide einen eigenen Reiz, so daß man sagen kann: die Natur bleibt vollkommen
selbst in ihrer dürftigsten Gestalt; und esta repoge I'Las. Daß diese Voll¬
kommenheit existiert, gibt die Hoffnung, daß auch das Unvollkommene dereinst
dies Ziel erreichen könne; dem Leblosen kann sie doch nicht allein gegeben sein!"
Glücklich das Zeitalter, das.eine über die letzten Dinge so beruhigende Über¬
zeugung besaß!




Hans Neuling

o sehr die heutige Kunst ihren eigenen Weg geht, so stark die
Richtungen auseinander streben, den verschiedenen Schulen der
Vergangenheit wird man immer noch gerecht. Ja, wohl keine
Zeit ist in dieser Beziehung so universell gewesen wie die Gegen¬
wart. Findet doch sogar das italienische Barock des siebzehnten
Jahrhunderts, das Leuten wie Jakob Burckhardt, Kugler, Schnaase, Springer
so unsympathisch war, heute wieder Bewunderer, und zwar Leute von feinem
Kunstgefühl und umfassenden Kenntnissen. Die altflämische Schule ist wohl
niemals ganz verkannt worden, und seit dem Erwachen kunstgeschichtlicher
Studien verehrt man sie als einen Höhepunkt malerischen Könnens, wenn auch
ihr relativer Wert gegen andre starken Schwankungen unterworfen ist. Der
Stempel des Höhepunkts ist ihr so deutlich aufgeprägt wie kaum einer andern:
ihre Werke lassen sich nicht kopieren. Tizian, Rembrandt. Murillo, am leichtesten
Naffacl sind dem Pinsel zahlloser Kopisten zugänglich. Bei Jan van Evck,
Rogier van der Wenden, Memling hat die Wiederschaffung des Reproduzierenden
von jeher versagt.

Keine andre Richtung tritt uns so der dem Haupte des Zeus entspringenden
Pallas Athene vergleichbar entgegen wie die altflämische Malerei. Ihr ältestes
Werk, der Genter Altar der Brüder van Evck, ist in vieler Beziehung zugleich
ihr unübertroffenes Meisterstück. Wohl wird auch sie ihren Werdegang gehabt
haben, aber er ist so wenig reich an markanten Werken, daß sich davon nichts
Nennenswertes, erhalten hat. Auch die älteren Historiker, wie Karel van Mander


Hans Memling

Wie einst Goethe sich über den ihn erschütternden Tod seines Herzogs Karl
August in der Stille des Schlosses Dornburg tröstete, wo er in: innigsten Verkehr
mit der herrlichen ihn umgebenden Natur neue Lebens- und Ewigkeitshoffnungeu
schöpfte, so schreibt Karoline Rochow am Abend ihres Lebens: „Die Sonne
scheint hell auf die gelben Blätter und der blaue, herbstliche Duft über der
Landschaft gibt trotz welken Blumen, fallenden Blättern den Hügeln und der
Heide einen eigenen Reiz, so daß man sagen kann: die Natur bleibt vollkommen
selbst in ihrer dürftigsten Gestalt; und esta repoge I'Las. Daß diese Voll¬
kommenheit existiert, gibt die Hoffnung, daß auch das Unvollkommene dereinst
dies Ziel erreichen könne; dem Leblosen kann sie doch nicht allein gegeben sein!"
Glücklich das Zeitalter, das.eine über die letzten Dinge so beruhigende Über¬
zeugung besaß!




Hans Neuling

o sehr die heutige Kunst ihren eigenen Weg geht, so stark die
Richtungen auseinander streben, den verschiedenen Schulen der
Vergangenheit wird man immer noch gerecht. Ja, wohl keine
Zeit ist in dieser Beziehung so universell gewesen wie die Gegen¬
wart. Findet doch sogar das italienische Barock des siebzehnten
Jahrhunderts, das Leuten wie Jakob Burckhardt, Kugler, Schnaase, Springer
so unsympathisch war, heute wieder Bewunderer, und zwar Leute von feinem
Kunstgefühl und umfassenden Kenntnissen. Die altflämische Schule ist wohl
niemals ganz verkannt worden, und seit dem Erwachen kunstgeschichtlicher
Studien verehrt man sie als einen Höhepunkt malerischen Könnens, wenn auch
ihr relativer Wert gegen andre starken Schwankungen unterworfen ist. Der
Stempel des Höhepunkts ist ihr so deutlich aufgeprägt wie kaum einer andern:
ihre Werke lassen sich nicht kopieren. Tizian, Rembrandt. Murillo, am leichtesten
Naffacl sind dem Pinsel zahlloser Kopisten zugänglich. Bei Jan van Evck,
Rogier van der Wenden, Memling hat die Wiederschaffung des Reproduzierenden
von jeher versagt.

Keine andre Richtung tritt uns so der dem Haupte des Zeus entspringenden
Pallas Athene vergleichbar entgegen wie die altflämische Malerei. Ihr ältestes
Werk, der Genter Altar der Brüder van Evck, ist in vieler Beziehung zugleich
ihr unübertroffenes Meisterstück. Wohl wird auch sie ihren Werdegang gehabt
haben, aber er ist so wenig reich an markanten Werken, daß sich davon nichts
Nennenswertes, erhalten hat. Auch die älteren Historiker, wie Karel van Mander


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[0137] Hans Memling Wie einst Goethe sich über den ihn erschütternden Tod seines Herzogs Karl August in der Stille des Schlosses Dornburg tröstete, wo er in: innigsten Verkehr mit der herrlichen ihn umgebenden Natur neue Lebens- und Ewigkeitshoffnungeu schöpfte, so schreibt Karoline Rochow am Abend ihres Lebens: „Die Sonne scheint hell auf die gelben Blätter und der blaue, herbstliche Duft über der Landschaft gibt trotz welken Blumen, fallenden Blättern den Hügeln und der Heide einen eigenen Reiz, so daß man sagen kann: die Natur bleibt vollkommen selbst in ihrer dürftigsten Gestalt; und esta repoge I'Las. Daß diese Voll¬ kommenheit existiert, gibt die Hoffnung, daß auch das Unvollkommene dereinst dies Ziel erreichen könne; dem Leblosen kann sie doch nicht allein gegeben sein!" Glücklich das Zeitalter, das.eine über die letzten Dinge so beruhigende Über¬ zeugung besaß! Hans Neuling o sehr die heutige Kunst ihren eigenen Weg geht, so stark die Richtungen auseinander streben, den verschiedenen Schulen der Vergangenheit wird man immer noch gerecht. Ja, wohl keine Zeit ist in dieser Beziehung so universell gewesen wie die Gegen¬ wart. Findet doch sogar das italienische Barock des siebzehnten Jahrhunderts, das Leuten wie Jakob Burckhardt, Kugler, Schnaase, Springer so unsympathisch war, heute wieder Bewunderer, und zwar Leute von feinem Kunstgefühl und umfassenden Kenntnissen. Die altflämische Schule ist wohl niemals ganz verkannt worden, und seit dem Erwachen kunstgeschichtlicher Studien verehrt man sie als einen Höhepunkt malerischen Könnens, wenn auch ihr relativer Wert gegen andre starken Schwankungen unterworfen ist. Der Stempel des Höhepunkts ist ihr so deutlich aufgeprägt wie kaum einer andern: ihre Werke lassen sich nicht kopieren. Tizian, Rembrandt. Murillo, am leichtesten Naffacl sind dem Pinsel zahlloser Kopisten zugänglich. Bei Jan van Evck, Rogier van der Wenden, Memling hat die Wiederschaffung des Reproduzierenden von jeher versagt. Keine andre Richtung tritt uns so der dem Haupte des Zeus entspringenden Pallas Athene vergleichbar entgegen wie die altflämische Malerei. Ihr ältestes Werk, der Genter Altar der Brüder van Evck, ist in vieler Beziehung zugleich ihr unübertroffenes Meisterstück. Wohl wird auch sie ihren Werdegang gehabt haben, aber er ist so wenig reich an markanten Werken, daß sich davon nichts Nennenswertes, erhalten hat. Auch die älteren Historiker, wie Karel van Mander

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/137>, abgerufen am 07.05.2024.