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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Eben wollten sie sich zur Ruhe begeben, als draußen Hunderte von Stimmen
laut wurden:

"Sieg! Wir haben gesiegt! Es nutz illuminiert werden. Ein Schuft, wer
nicht illuminiert!"

Dazwischen hörte man das Klirren von Fensterscheiben.

"Sie werfen uns wahrhaftig auch noch die Scheiben ein, wenn wir kein
Licht hinstellen," schimpfte Hegerbarth. "Wir müssen ihnen schon den Willen
tun. Finster genug ist's ja auf der Straße, nachdem sie die Laternen zer¬
trümmert haben."

Auf das eine Fensterbrett wurde die Lampe gebracht, und auf das andere
stellte Minchen die silbernen Leuchter, die immer auf dem schöngemaserten Birken¬
schrank standen, mit den beiden angezündeten Zierkerzen. Hegerbarth kratzte sich
hinterm Ohr.

"Es ist nur gut, daß Mutter das nicht sieht; sie würde nicht wenig über
die schönen Kerzen jammern, die schon zwei Jahre lang unversehrt dort oben
geprunkt haben. -- Nun? Was schreien sie da schon wieder?"

"Lichter weg! Alle Lichter weg!" hieß es. "Wir zeigen unseren Feinden
nur den Weg! Alle Lichter weg!"

Sie blies schnell die Kerzen aus, und der Vater stellte die Lampe wieder auf
den Tisch.

"Die scheinen selbst nicht zu wissen, was sie eigentlich wollen. Gute Nacht,
Minchen!"

Er begab sich nach dem Schlafzimmer, und jeder legte sich halb angekleidet
nieder; denn an einen erquickenden, ungestörten Schlaf war nicht zu denken.

Mitten in der Nacht erhob sich Minchen einmal. Leise, ganz leise schlich
sie zur Tür und brauchte unendlich lange Zeit, um die Klinke geräuschlos nieder¬
zudrücken. Draußen näherte sie sich klopfenden Herzens ihrem Stübchen und
lauschte mit verhaltenem Atem. Kein Laut war von drinnen zu vernehmen, und
ebenso verstohlen, wie sie hinausgegangen war, kehrte sie wieder zurück.

(Schluß folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegcl

Abrüstungsgedanken -- Herr v. Kiderlen-Waechter in Marienbad -- Der
Großblock.

Die Wellenbewegung, die durch die Rede des englischen Prenuerimmsters
Asquith über die Flottenrüstungen hervorgerufen worden ist, hat, wie zu erwarten
war, noch weitere Kreise gezogen, insofern als nämlich auf der einen Seite der
von uns neulich gekennzeichnete Versuch, die deutsche öffentliche Meinung zugunsten
der englischen Wünsche gegen die deutsche Regierung aufmarschieren zu lassen, von
angesehenen Blättern der verschiedensten Art sehr energisch zurückgewiesen worden
ist, während auf der andern Seite weiter mit dem Gedanken der Abrüstung oder
der Einschränkung und Begrenzung der Rüstungen zur See gespielt wird. Auf-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Eben wollten sie sich zur Ruhe begeben, als draußen Hunderte von Stimmen
laut wurden:

„Sieg! Wir haben gesiegt! Es nutz illuminiert werden. Ein Schuft, wer
nicht illuminiert!"

Dazwischen hörte man das Klirren von Fensterscheiben.

„Sie werfen uns wahrhaftig auch noch die Scheiben ein, wenn wir kein
Licht hinstellen," schimpfte Hegerbarth. „Wir müssen ihnen schon den Willen
tun. Finster genug ist's ja auf der Straße, nachdem sie die Laternen zer¬
trümmert haben."

Auf das eine Fensterbrett wurde die Lampe gebracht, und auf das andere
stellte Minchen die silbernen Leuchter, die immer auf dem schöngemaserten Birken¬
schrank standen, mit den beiden angezündeten Zierkerzen. Hegerbarth kratzte sich
hinterm Ohr.

„Es ist nur gut, daß Mutter das nicht sieht; sie würde nicht wenig über
die schönen Kerzen jammern, die schon zwei Jahre lang unversehrt dort oben
geprunkt haben. — Nun? Was schreien sie da schon wieder?"

„Lichter weg! Alle Lichter weg!" hieß es. „Wir zeigen unseren Feinden
nur den Weg! Alle Lichter weg!"

Sie blies schnell die Kerzen aus, und der Vater stellte die Lampe wieder auf
den Tisch.

„Die scheinen selbst nicht zu wissen, was sie eigentlich wollen. Gute Nacht,
Minchen!"

Er begab sich nach dem Schlafzimmer, und jeder legte sich halb angekleidet
nieder; denn an einen erquickenden, ungestörten Schlaf war nicht zu denken.

Mitten in der Nacht erhob sich Minchen einmal. Leise, ganz leise schlich
sie zur Tür und brauchte unendlich lange Zeit, um die Klinke geräuschlos nieder¬
zudrücken. Draußen näherte sie sich klopfenden Herzens ihrem Stübchen und
lauschte mit verhaltenem Atem. Kein Laut war von drinnen zu vernehmen, und
ebenso verstohlen, wie sie hinausgegangen war, kehrte sie wieder zurück.

(Schluß folgt.)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegcl

Abrüstungsgedanken — Herr v. Kiderlen-Waechter in Marienbad — Der
Großblock.

Die Wellenbewegung, die durch die Rede des englischen Prenuerimmsters
Asquith über die Flottenrüstungen hervorgerufen worden ist, hat, wie zu erwarten
war, noch weitere Kreise gezogen, insofern als nämlich auf der einen Seite der
von uns neulich gekennzeichnete Versuch, die deutsche öffentliche Meinung zugunsten
der englischen Wünsche gegen die deutsche Regierung aufmarschieren zu lassen, von
angesehenen Blättern der verschiedensten Art sehr energisch zurückgewiesen worden
ist, während auf der andern Seite weiter mit dem Gedanken der Abrüstung oder
der Einschränkung und Begrenzung der Rüstungen zur See gespielt wird. Auf-


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[0251] Maßgebliches und Unmaßgebliches Eben wollten sie sich zur Ruhe begeben, als draußen Hunderte von Stimmen laut wurden: „Sieg! Wir haben gesiegt! Es nutz illuminiert werden. Ein Schuft, wer nicht illuminiert!" Dazwischen hörte man das Klirren von Fensterscheiben. „Sie werfen uns wahrhaftig auch noch die Scheiben ein, wenn wir kein Licht hinstellen," schimpfte Hegerbarth. „Wir müssen ihnen schon den Willen tun. Finster genug ist's ja auf der Straße, nachdem sie die Laternen zer¬ trümmert haben." Auf das eine Fensterbrett wurde die Lampe gebracht, und auf das andere stellte Minchen die silbernen Leuchter, die immer auf dem schöngemaserten Birken¬ schrank standen, mit den beiden angezündeten Zierkerzen. Hegerbarth kratzte sich hinterm Ohr. „Es ist nur gut, daß Mutter das nicht sieht; sie würde nicht wenig über die schönen Kerzen jammern, die schon zwei Jahre lang unversehrt dort oben geprunkt haben. — Nun? Was schreien sie da schon wieder?" „Lichter weg! Alle Lichter weg!" hieß es. „Wir zeigen unseren Feinden nur den Weg! Alle Lichter weg!" Sie blies schnell die Kerzen aus, und der Vater stellte die Lampe wieder auf den Tisch. „Die scheinen selbst nicht zu wissen, was sie eigentlich wollen. Gute Nacht, Minchen!" Er begab sich nach dem Schlafzimmer, und jeder legte sich halb angekleidet nieder; denn an einen erquickenden, ungestörten Schlaf war nicht zu denken. Mitten in der Nacht erhob sich Minchen einmal. Leise, ganz leise schlich sie zur Tür und brauchte unendlich lange Zeit, um die Klinke geräuschlos nieder¬ zudrücken. Draußen näherte sie sich klopfenden Herzens ihrem Stübchen und lauschte mit verhaltenem Atem. Kein Laut war von drinnen zu vernehmen, und ebenso verstohlen, wie sie hinausgegangen war, kehrte sie wieder zurück. (Schluß folgt.) Maßgebliches und Unmaßgebliches Reichsspiegcl Abrüstungsgedanken — Herr v. Kiderlen-Waechter in Marienbad — Der Großblock. Die Wellenbewegung, die durch die Rede des englischen Prenuerimmsters Asquith über die Flottenrüstungen hervorgerufen worden ist, hat, wie zu erwarten war, noch weitere Kreise gezogen, insofern als nämlich auf der einen Seite der von uns neulich gekennzeichnete Versuch, die deutsche öffentliche Meinung zugunsten der englischen Wünsche gegen die deutsche Regierung aufmarschieren zu lassen, von angesehenen Blättern der verschiedensten Art sehr energisch zurückgewiesen worden ist, während auf der andern Seite weiter mit dem Gedanken der Abrüstung oder der Einschränkung und Begrenzung der Rüstungen zur See gespielt wird. Auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/251>, abgerufen am 07.05.2024.