Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Wessenberg
Zum 9. August

er Name Wessenberg reizt zur Studie über den Anachronismus, --
von der Zeitverfehltheit seines berühmten agitatorischen Gedankens,
der die Vorstellung unwillkürlich in den Begebnissen der napoleonischen
Zeit und des Wiener Kongresses sucht, bis zu der Äußerlichkeit
im Datum, daß dieser letzte Verwalter des Bistums Konstanz,
erst am 9. August 1860 von den Lebenden geschieden ist. Selbst seine Nach¬
dauer, deren Zeichen man jetzt wieder im deutschen Südwesten besonders wahr¬
nimmt, hat, wo sonst des Liedes Stimmen zu schweigen pflegen, von dem über-
wundnen Mann, etwas von -- wohltuender -- Geschichtswidrigkeit.

Im letzten Grunde gibt es keine geistigen Anachronismen von jener Art.
Was oft so erscheint, das sind die feinen Nebenspiele der gleichen Melodie in
Moll, die von den durcheinanderwogenden Zusammenklängen des härteren
Geschehens im Allegro überbraust und für die Wirkung vernichtet bleiben. Zu¬
weilen sind sie dennoch die Vorspiele für eine künftige, sei es noch so späte, aber¬
malige Transponierung des Motivs.

Alles ist bei Wessenberg zeitlich herkunftsecht. Schon die biographischen
Umstände. Die Familie vornehm, altfreiherrlich, von Hause aus aargauisch, durch
Lehnsgüter nach Vorderösterreich gehörig, der Vater kursächsischer Minister, so daß
Ignaz Heinrich von Wessenberg das Licht der Welt 1774 zu Dresden erblickt.
Sein älterer Bruder wird dann wieder kaiserlicher Diplomat und Minister, Heinrich
dagegen ist nach der Tradition der jüngeren Söhne zur Stistslaufbahn im Heiligen
Römischen Reiche bestimmt. Bevor der Jüngling nur studiert, ist er Inhaber
ansehnlicher Dompräbenden zu Augsburg, Konstanz und Basel, und im Jahre 1800
ernennt Karl von Dalberg, der an kumulierten fürstgeistlichen Würde,: so reiche
Kurerzkanzler, den Sechsundzwanzigjährigen als seinen Konstanzer Generalvikar
zum Haupt für diese große und altberühmte Diözese.

Das ist Freizügigkeit der Fähigkeiten und der Begünstigungen im acht¬
zehnten Jahrhundert, welche seitdem die liberale Staatsmodernität allein noch
den Universitäten -- mit ungefähr denselben Licht- und Schattenseiten -- übrig
gelassen hat. Vollends ist Ignaz Heinrich von Wessenberg in seiner persön¬
lichen Entwicklung ein Vertreter dieses ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts im
echtesten und besten Rang. Die Hader- und Jesuitenmüdigkeit des .damaligen
Katholizismus, das weltmännische Verständnis in dessen oberen geistlichen und




Wessenberg
Zum 9. August

er Name Wessenberg reizt zur Studie über den Anachronismus, —
von der Zeitverfehltheit seines berühmten agitatorischen Gedankens,
der die Vorstellung unwillkürlich in den Begebnissen der napoleonischen
Zeit und des Wiener Kongresses sucht, bis zu der Äußerlichkeit
im Datum, daß dieser letzte Verwalter des Bistums Konstanz,
erst am 9. August 1860 von den Lebenden geschieden ist. Selbst seine Nach¬
dauer, deren Zeichen man jetzt wieder im deutschen Südwesten besonders wahr¬
nimmt, hat, wo sonst des Liedes Stimmen zu schweigen pflegen, von dem über-
wundnen Mann, etwas von — wohltuender — Geschichtswidrigkeit.

Im letzten Grunde gibt es keine geistigen Anachronismen von jener Art.
Was oft so erscheint, das sind die feinen Nebenspiele der gleichen Melodie in
Moll, die von den durcheinanderwogenden Zusammenklängen des härteren
Geschehens im Allegro überbraust und für die Wirkung vernichtet bleiben. Zu¬
weilen sind sie dennoch die Vorspiele für eine künftige, sei es noch so späte, aber¬
malige Transponierung des Motivs.

Alles ist bei Wessenberg zeitlich herkunftsecht. Schon die biographischen
Umstände. Die Familie vornehm, altfreiherrlich, von Hause aus aargauisch, durch
Lehnsgüter nach Vorderösterreich gehörig, der Vater kursächsischer Minister, so daß
Ignaz Heinrich von Wessenberg das Licht der Welt 1774 zu Dresden erblickt.
Sein älterer Bruder wird dann wieder kaiserlicher Diplomat und Minister, Heinrich
dagegen ist nach der Tradition der jüngeren Söhne zur Stistslaufbahn im Heiligen
Römischen Reiche bestimmt. Bevor der Jüngling nur studiert, ist er Inhaber
ansehnlicher Dompräbenden zu Augsburg, Konstanz und Basel, und im Jahre 1800
ernennt Karl von Dalberg, der an kumulierten fürstgeistlichen Würde,: so reiche
Kurerzkanzler, den Sechsundzwanzigjährigen als seinen Konstanzer Generalvikar
zum Haupt für diese große und altberühmte Diözese.

Das ist Freizügigkeit der Fähigkeiten und der Begünstigungen im acht¬
zehnten Jahrhundert, welche seitdem die liberale Staatsmodernität allein noch
den Universitäten — mit ungefähr denselben Licht- und Schattenseiten — übrig
gelassen hat. Vollends ist Ignaz Heinrich von Wessenberg in seiner persön¬
lichen Entwicklung ein Vertreter dieses ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts im
echtesten und besten Rang. Die Hader- und Jesuitenmüdigkeit des .damaligen
Katholizismus, das weltmännische Verständnis in dessen oberen geistlichen und


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0319" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316608"/>
            <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341891_316288/figures/grenzboten_341891_316288_316608_000.jpg"/><lb/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Wessenberg<lb/>
Zum 9. August </head><lb/>
          <p xml:id="ID_1423"> er Name Wessenberg reizt zur Studie über den Anachronismus, &#x2014;<lb/>
von der Zeitverfehltheit seines berühmten agitatorischen Gedankens,<lb/>
der die Vorstellung unwillkürlich in den Begebnissen der napoleonischen<lb/>
Zeit und des Wiener Kongresses sucht, bis zu der Äußerlichkeit<lb/>
im Datum, daß dieser letzte Verwalter des Bistums Konstanz,<lb/>
erst am 9. August 1860 von den Lebenden geschieden ist. Selbst seine Nach¬<lb/>
dauer, deren Zeichen man jetzt wieder im deutschen Südwesten besonders wahr¬<lb/>
nimmt, hat, wo sonst des Liedes Stimmen zu schweigen pflegen, von dem über-<lb/>
wundnen Mann, etwas von &#x2014; wohltuender &#x2014; Geschichtswidrigkeit.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1424"> Im letzten Grunde gibt es keine geistigen Anachronismen von jener Art.<lb/>
Was oft so erscheint, das sind die feinen Nebenspiele der gleichen Melodie in<lb/>
Moll, die von den durcheinanderwogenden Zusammenklängen des härteren<lb/>
Geschehens im Allegro überbraust und für die Wirkung vernichtet bleiben. Zu¬<lb/>
weilen sind sie dennoch die Vorspiele für eine künftige, sei es noch so späte, aber¬<lb/>
malige Transponierung des Motivs.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1425"> Alles ist bei Wessenberg zeitlich herkunftsecht. Schon die biographischen<lb/>
Umstände. Die Familie vornehm, altfreiherrlich, von Hause aus aargauisch, durch<lb/>
Lehnsgüter nach Vorderösterreich gehörig, der Vater kursächsischer Minister, so daß<lb/>
Ignaz Heinrich von Wessenberg das Licht der Welt 1774 zu Dresden erblickt.<lb/>
Sein älterer Bruder wird dann wieder kaiserlicher Diplomat und Minister, Heinrich<lb/>
dagegen ist nach der Tradition der jüngeren Söhne zur Stistslaufbahn im Heiligen<lb/>
Römischen Reiche bestimmt. Bevor der Jüngling nur studiert, ist er Inhaber<lb/>
ansehnlicher Dompräbenden zu Augsburg, Konstanz und Basel, und im Jahre 1800<lb/>
ernennt Karl von Dalberg, der an kumulierten fürstgeistlichen Würde,: so reiche<lb/>
Kurerzkanzler, den Sechsundzwanzigjährigen als seinen Konstanzer Generalvikar<lb/>
zum Haupt für diese große und altberühmte Diözese.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1426" next="#ID_1427"> Das ist Freizügigkeit der Fähigkeiten und der Begünstigungen im acht¬<lb/>
zehnten Jahrhundert, welche seitdem die liberale Staatsmodernität allein noch<lb/>
den Universitäten &#x2014; mit ungefähr denselben Licht- und Schattenseiten &#x2014; übrig<lb/>
gelassen hat. Vollends ist Ignaz Heinrich von Wessenberg in seiner persön¬<lb/>
lichen Entwicklung ein Vertreter dieses ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts im<lb/>
echtesten und besten Rang. Die Hader- und Jesuitenmüdigkeit des .damaligen<lb/>
Katholizismus, das weltmännische Verständnis in dessen oberen geistlichen und</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0319] [Abbildung] Wessenberg Zum 9. August er Name Wessenberg reizt zur Studie über den Anachronismus, — von der Zeitverfehltheit seines berühmten agitatorischen Gedankens, der die Vorstellung unwillkürlich in den Begebnissen der napoleonischen Zeit und des Wiener Kongresses sucht, bis zu der Äußerlichkeit im Datum, daß dieser letzte Verwalter des Bistums Konstanz, erst am 9. August 1860 von den Lebenden geschieden ist. Selbst seine Nach¬ dauer, deren Zeichen man jetzt wieder im deutschen Südwesten besonders wahr¬ nimmt, hat, wo sonst des Liedes Stimmen zu schweigen pflegen, von dem über- wundnen Mann, etwas von — wohltuender — Geschichtswidrigkeit. Im letzten Grunde gibt es keine geistigen Anachronismen von jener Art. Was oft so erscheint, das sind die feinen Nebenspiele der gleichen Melodie in Moll, die von den durcheinanderwogenden Zusammenklängen des härteren Geschehens im Allegro überbraust und für die Wirkung vernichtet bleiben. Zu¬ weilen sind sie dennoch die Vorspiele für eine künftige, sei es noch so späte, aber¬ malige Transponierung des Motivs. Alles ist bei Wessenberg zeitlich herkunftsecht. Schon die biographischen Umstände. Die Familie vornehm, altfreiherrlich, von Hause aus aargauisch, durch Lehnsgüter nach Vorderösterreich gehörig, der Vater kursächsischer Minister, so daß Ignaz Heinrich von Wessenberg das Licht der Welt 1774 zu Dresden erblickt. Sein älterer Bruder wird dann wieder kaiserlicher Diplomat und Minister, Heinrich dagegen ist nach der Tradition der jüngeren Söhne zur Stistslaufbahn im Heiligen Römischen Reiche bestimmt. Bevor der Jüngling nur studiert, ist er Inhaber ansehnlicher Dompräbenden zu Augsburg, Konstanz und Basel, und im Jahre 1800 ernennt Karl von Dalberg, der an kumulierten fürstgeistlichen Würde,: so reiche Kurerzkanzler, den Sechsundzwanzigjährigen als seinen Konstanzer Generalvikar zum Haupt für diese große und altberühmte Diözese. Das ist Freizügigkeit der Fähigkeiten und der Begünstigungen im acht¬ zehnten Jahrhundert, welche seitdem die liberale Staatsmodernität allein noch den Universitäten — mit ungefähr denselben Licht- und Schattenseiten — übrig gelassen hat. Vollends ist Ignaz Heinrich von Wessenberg in seiner persön¬ lichen Entwicklung ein Vertreter dieses ausgehenden achtzehnten Jahrhunderts im echtesten und besten Rang. Die Hader- und Jesuitenmüdigkeit des .damaligen Katholizismus, das weltmännische Verständnis in dessen oberen geistlichen und

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/319
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/319>, abgerufen am 07.05.2024.