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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schiller und l^abhel

Taugenichtse. Ja, man schämt sich ihrer! Mit keinem Wort wird so viel
Mißbrauch getrieben wie mit der sogenannten christlichen Liebe. So oft wird
sie zur Vertuschung unlauterer Handlungen benutzt! Wie der Körper zu seiner
Lebensfähigkeit das Ausscheide" aller schlechten Säfte verlangt, so wird sich der
Adel als Stand nur durch das rücksichtslose Abstoße:: aller schädlichen Triebe
gesund erhalten können. Nur beim Zerschneiden des Tafeltuches zwischen sich
und allen entgleisten Mitgliedern wird sich die Verallgemeinerung abweisen lassen,
als ob deren Taten auf dem Boden der Standesanschauungen erwachsen seien.

. Einen plötzlichen Umschwung in den Verhältnissen des Adels wollen und
können diese Betrachtungen nicht, hervorrufen; eines solchen ist eine im langsamen
Feuer der Jahrhunderte gehärtete Lebenserscheinung ohne Selbstvernichtung nicht
fähig. Langsam und sicher muß der Adel auf das ihm durch die neue Zeit
gesteckte Ziel losgehen. Unverrttckt aber wird das Losungswort im Auge behalten
werden müssen: nicht äußere Vorrechte, sondern innere Kraft.




Schiller und Hebbel
Friedrich Lürle von

Ws gibt in Geschichte und Literatur Namen, die von vornherein
einen Gegensatz anzeigen, und die deshalb immer wieder zu einem
Vergleich herausfordern. Ein solcher Fall trifft bei Schiller und
Hebbel zu, und doch liegt ein Grund dafür nicht so ohne weiteres
^ auf der Hand. Jener Gegensatz wird hier von dem unbefangenen
Leser nie sofort deutlich erkannt, sondern immer zunächst mehr oder weniger
nur deutlich empfunden werden. Unmittelbar tritt dies bei Menschen in Er¬
scheinung, denen Schiller bis dahin der Gipfel der dramatischen Kunst bedeutete
und die zum ersten Male eines der großen Hebbelschen Stücke lesen oder hören.
Man fühlt da, wie eine starke, völlig anderes geartete Persönlichkeit, die hinter dem
Drama steht, plötzlich um Anerkennung ringt oder wenigstens zu einer grund¬
sätzlichen Stellungnahme und wohl auch zu einem Vergleich mit Schiller drängt.
Wohl hat der Dichter längst die Anerkennung als eines der bedeutendstell der
nachklassischen Dichter gefunden, und doch geht der Kampf für ihn und wider
ihn weiter, und immer steht Schiller auf der anderen Seite. Und so wird es
manchen wie eine kleine Gänsehaut überlaufen, wenn man sogar versucht, ihn
als Dramatiker Schiller gegemiberzustellen. Seinen Grund aber dürfte das
immer weniger in dein Dichter als vielmehr in den: Menschen Hebbel haben,
die man gemeinhin ebensowenig voneinander zu trennen weiß wie den Dichter


Schiller und l^abhel

Taugenichtse. Ja, man schämt sich ihrer! Mit keinem Wort wird so viel
Mißbrauch getrieben wie mit der sogenannten christlichen Liebe. So oft wird
sie zur Vertuschung unlauterer Handlungen benutzt! Wie der Körper zu seiner
Lebensfähigkeit das Ausscheide» aller schlechten Säfte verlangt, so wird sich der
Adel als Stand nur durch das rücksichtslose Abstoße:: aller schädlichen Triebe
gesund erhalten können. Nur beim Zerschneiden des Tafeltuches zwischen sich
und allen entgleisten Mitgliedern wird sich die Verallgemeinerung abweisen lassen,
als ob deren Taten auf dem Boden der Standesanschauungen erwachsen seien.

. Einen plötzlichen Umschwung in den Verhältnissen des Adels wollen und
können diese Betrachtungen nicht, hervorrufen; eines solchen ist eine im langsamen
Feuer der Jahrhunderte gehärtete Lebenserscheinung ohne Selbstvernichtung nicht
fähig. Langsam und sicher muß der Adel auf das ihm durch die neue Zeit
gesteckte Ziel losgehen. Unverrttckt aber wird das Losungswort im Auge behalten
werden müssen: nicht äußere Vorrechte, sondern innere Kraft.




Schiller und Hebbel
Friedrich Lürle von

Ws gibt in Geschichte und Literatur Namen, die von vornherein
einen Gegensatz anzeigen, und die deshalb immer wieder zu einem
Vergleich herausfordern. Ein solcher Fall trifft bei Schiller und
Hebbel zu, und doch liegt ein Grund dafür nicht so ohne weiteres
^ auf der Hand. Jener Gegensatz wird hier von dem unbefangenen
Leser nie sofort deutlich erkannt, sondern immer zunächst mehr oder weniger
nur deutlich empfunden werden. Unmittelbar tritt dies bei Menschen in Er¬
scheinung, denen Schiller bis dahin der Gipfel der dramatischen Kunst bedeutete
und die zum ersten Male eines der großen Hebbelschen Stücke lesen oder hören.
Man fühlt da, wie eine starke, völlig anderes geartete Persönlichkeit, die hinter dem
Drama steht, plötzlich um Anerkennung ringt oder wenigstens zu einer grund¬
sätzlichen Stellungnahme und wohl auch zu einem Vergleich mit Schiller drängt.
Wohl hat der Dichter längst die Anerkennung als eines der bedeutendstell der
nachklassischen Dichter gefunden, und doch geht der Kampf für ihn und wider
ihn weiter, und immer steht Schiller auf der anderen Seite. Und so wird es
manchen wie eine kleine Gänsehaut überlaufen, wenn man sogar versucht, ihn
als Dramatiker Schiller gegemiberzustellen. Seinen Grund aber dürfte das
immer weniger in dein Dichter als vielmehr in den: Menschen Hebbel haben,
die man gemeinhin ebensowenig voneinander zu trennen weiß wie den Dichter


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[0426] Schiller und l^abhel Taugenichtse. Ja, man schämt sich ihrer! Mit keinem Wort wird so viel Mißbrauch getrieben wie mit der sogenannten christlichen Liebe. So oft wird sie zur Vertuschung unlauterer Handlungen benutzt! Wie der Körper zu seiner Lebensfähigkeit das Ausscheide» aller schlechten Säfte verlangt, so wird sich der Adel als Stand nur durch das rücksichtslose Abstoße:: aller schädlichen Triebe gesund erhalten können. Nur beim Zerschneiden des Tafeltuches zwischen sich und allen entgleisten Mitgliedern wird sich die Verallgemeinerung abweisen lassen, als ob deren Taten auf dem Boden der Standesanschauungen erwachsen seien. . Einen plötzlichen Umschwung in den Verhältnissen des Adels wollen und können diese Betrachtungen nicht, hervorrufen; eines solchen ist eine im langsamen Feuer der Jahrhunderte gehärtete Lebenserscheinung ohne Selbstvernichtung nicht fähig. Langsam und sicher muß der Adel auf das ihm durch die neue Zeit gesteckte Ziel losgehen. Unverrttckt aber wird das Losungswort im Auge behalten werden müssen: nicht äußere Vorrechte, sondern innere Kraft. Schiller und Hebbel Friedrich Lürle von Ws gibt in Geschichte und Literatur Namen, die von vornherein einen Gegensatz anzeigen, und die deshalb immer wieder zu einem Vergleich herausfordern. Ein solcher Fall trifft bei Schiller und Hebbel zu, und doch liegt ein Grund dafür nicht so ohne weiteres ^ auf der Hand. Jener Gegensatz wird hier von dem unbefangenen Leser nie sofort deutlich erkannt, sondern immer zunächst mehr oder weniger nur deutlich empfunden werden. Unmittelbar tritt dies bei Menschen in Er¬ scheinung, denen Schiller bis dahin der Gipfel der dramatischen Kunst bedeutete und die zum ersten Male eines der großen Hebbelschen Stücke lesen oder hören. Man fühlt da, wie eine starke, völlig anderes geartete Persönlichkeit, die hinter dem Drama steht, plötzlich um Anerkennung ringt oder wenigstens zu einer grund¬ sätzlichen Stellungnahme und wohl auch zu einem Vergleich mit Schiller drängt. Wohl hat der Dichter längst die Anerkennung als eines der bedeutendstell der nachklassischen Dichter gefunden, und doch geht der Kampf für ihn und wider ihn weiter, und immer steht Schiller auf der anderen Seite. Und so wird es manchen wie eine kleine Gänsehaut überlaufen, wenn man sogar versucht, ihn als Dramatiker Schiller gegemiberzustellen. Seinen Grund aber dürfte das immer weniger in dein Dichter als vielmehr in den: Menschen Hebbel haben, die man gemeinhin ebensowenig voneinander zu trennen weiß wie den Dichter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/426>, abgerufen am 06.05.2024.