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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Sonutagsbriefe ans dem Bauernhaus

Hausleute zu quälen, zu knechten, zu tyrannisieren. Ich lese in ihren Mienen,
daß sie mich zum Teufel wünschen. Aus Trotz bleibe ich. Aber'nachts muß ich
mich in meinem Zimmer sorgfältig absperren. Wir stehen als Feinde einander
gegenüber. Der böse Geist, der in dem Hanse schaltet, hat meine Gestalt
angenommen. Ich treibe ans eine Katastrophe zu.


Neunter Sonntag.

Große Annonce im "Tageblatt":

Herrliche Sommerwohnung
in entzückender Gebirgslage, aus zweiter Hand, nuszer-
ordentlich billig abzugeben. Besonders geeignet für Er-
holnngsnchende, die der Ruhe und des Friedens ländlicher
Einsamkeit bedürfen.' Peinlichste Sauberkeit. Kein Un¬
geziefer. Aller neuzeitliche Komfort. Fünf Minuten von,
See. Sonnenbäder. Ruder- und Schwimmgelegenheit.
Zuschriften umgehend erbeten uuter "Zurück zur Natur!".

Nachschrift. Wenn der verehrliche Leser Reflektant aus meine Baueruwohnung
ist, so möge er sofort schreiben oder lieber gleich selbst kommen. Ich vergönne
ihm vom Herzen das Vergnügen,, das ich genossen habe, den Morgenspaziergang
um den Misthaufen, das Fußbad in der Jauche, die Spinnen am Kopf, die
schnüffelnden Schweine im Rücken, den stinkenden Hausatem, die Schwaben, das
Glück im Bauernhaus, den Gottesfrieden, die Unschuld vom Laude, die reine
unbeleckte Natur, das Zusammensein mit diesen heiteren, unverdorbenen, primitiven
Menschen, alles das, was in der Entfernung, in der Poesie, in der Erinnerung
so wunderbar schön aussieht. Wer seine Sünden abbüßen und wieder ein reiner
Mensch werden will, der kann nichts Besseres tun. als diese Badereise ins
Purgatorio unternehmen.


Zehnter Sonntag.

Ich sitze in Salzburg auf der Hotelterrasse als Geuesender. Ich bin über-
glücklich, die vorausbezahlte Miete eingebüßt zu haben. Was man auch gegen
die verruchte Zivilisation sagen mag. sie bedeutet dennoch etwas Ungeheures. Das
Bauernhaus ist unsere Vergangenheit. Wir sehnen uns nach den Galoschen des
Glücks, die uns in die früheren Jahrhunderte, gleichsam in unsere Uranfänge
Zurückführen. Aber es gibt nur Enttäuschungen. In der Phantasie sieht alles
schöner aus. Die Wirklichkeit ist ganz anders beschaffen. Wir dürfen die Ver-
gangenheit nicht durch die Butzenscheibenpoesie erleben wollen. Für uus Stadt-
weuschen ist das primitive Vauernhaus eine Vorstufe des Daseins! es ist fast
unmöglich, dahin dauernd zurückzukehren. Ich bin von meiner Sehnsucht geheilt.
Ich brauche um keinen Goldschatz mehr herumzugehen, es fallen mir keine Spinnen
auf den Kopf, dagegen finde ich weiße Kacheln und eine Wasserspülung vor.
Man sage nicht, es sei etwas Unwesentliches. Es gehört zu den größten Wesent¬
lichkeiten unseres Daseins. Es ist Anfang und Ende unseres Wohlbefindens,
unseres seelischen Gleichgewichts.

Aber ein infamer Mensch, der meine Leidensgeschichte erfahren, entgegnete
"un "Sie sind halt verwöhnt!"

Ich bin empört. "Herr," schreie ich ihn an, "ich bin an tue größte Ein¬
fachheit gewöhnt! Verstehen Sie mich?"


Sonutagsbriefe ans dem Bauernhaus

Hausleute zu quälen, zu knechten, zu tyrannisieren. Ich lese in ihren Mienen,
daß sie mich zum Teufel wünschen. Aus Trotz bleibe ich. Aber'nachts muß ich
mich in meinem Zimmer sorgfältig absperren. Wir stehen als Feinde einander
gegenüber. Der böse Geist, der in dem Hanse schaltet, hat meine Gestalt
angenommen. Ich treibe ans eine Katastrophe zu.


Neunter Sonntag.

Große Annonce im „Tageblatt":

Herrliche Sommerwohnung
in entzückender Gebirgslage, aus zweiter Hand, nuszer-
ordentlich billig abzugeben. Besonders geeignet für Er-
holnngsnchende, die der Ruhe und des Friedens ländlicher
Einsamkeit bedürfen.' Peinlichste Sauberkeit. Kein Un¬
geziefer. Aller neuzeitliche Komfort. Fünf Minuten von,
See. Sonnenbäder. Ruder- und Schwimmgelegenheit.
Zuschriften umgehend erbeten uuter „Zurück zur Natur!".

Nachschrift. Wenn der verehrliche Leser Reflektant aus meine Baueruwohnung
ist, so möge er sofort schreiben oder lieber gleich selbst kommen. Ich vergönne
ihm vom Herzen das Vergnügen,, das ich genossen habe, den Morgenspaziergang
um den Misthaufen, das Fußbad in der Jauche, die Spinnen am Kopf, die
schnüffelnden Schweine im Rücken, den stinkenden Hausatem, die Schwaben, das
Glück im Bauernhaus, den Gottesfrieden, die Unschuld vom Laude, die reine
unbeleckte Natur, das Zusammensein mit diesen heiteren, unverdorbenen, primitiven
Menschen, alles das, was in der Entfernung, in der Poesie, in der Erinnerung
so wunderbar schön aussieht. Wer seine Sünden abbüßen und wieder ein reiner
Mensch werden will, der kann nichts Besseres tun. als diese Badereise ins
Purgatorio unternehmen.


Zehnter Sonntag.

Ich sitze in Salzburg auf der Hotelterrasse als Geuesender. Ich bin über-
glücklich, die vorausbezahlte Miete eingebüßt zu haben. Was man auch gegen
die verruchte Zivilisation sagen mag. sie bedeutet dennoch etwas Ungeheures. Das
Bauernhaus ist unsere Vergangenheit. Wir sehnen uns nach den Galoschen des
Glücks, die uns in die früheren Jahrhunderte, gleichsam in unsere Uranfänge
Zurückführen. Aber es gibt nur Enttäuschungen. In der Phantasie sieht alles
schöner aus. Die Wirklichkeit ist ganz anders beschaffen. Wir dürfen die Ver-
gangenheit nicht durch die Butzenscheibenpoesie erleben wollen. Für uus Stadt-
weuschen ist das primitive Vauernhaus eine Vorstufe des Daseins! es ist fast
unmöglich, dahin dauernd zurückzukehren. Ich bin von meiner Sehnsucht geheilt.
Ich brauche um keinen Goldschatz mehr herumzugehen, es fallen mir keine Spinnen
auf den Kopf, dagegen finde ich weiße Kacheln und eine Wasserspülung vor.
Man sage nicht, es sei etwas Unwesentliches. Es gehört zu den größten Wesent¬
lichkeiten unseres Daseins. Es ist Anfang und Ende unseres Wohlbefindens,
unseres seelischen Gleichgewichts.

Aber ein infamer Mensch, der meine Leidensgeschichte erfahren, entgegnete
"un „Sie sind halt verwöhnt!"

Ich bin empört. „Herr," schreie ich ihn an, „ich bin an tue größte Ein¬
fachheit gewöhnt! Verstehen Sie mich?"


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[0599] Sonutagsbriefe ans dem Bauernhaus Hausleute zu quälen, zu knechten, zu tyrannisieren. Ich lese in ihren Mienen, daß sie mich zum Teufel wünschen. Aus Trotz bleibe ich. Aber'nachts muß ich mich in meinem Zimmer sorgfältig absperren. Wir stehen als Feinde einander gegenüber. Der böse Geist, der in dem Hanse schaltet, hat meine Gestalt angenommen. Ich treibe ans eine Katastrophe zu. Neunter Sonntag. Große Annonce im „Tageblatt": Herrliche Sommerwohnung in entzückender Gebirgslage, aus zweiter Hand, nuszer- ordentlich billig abzugeben. Besonders geeignet für Er- holnngsnchende, die der Ruhe und des Friedens ländlicher Einsamkeit bedürfen.' Peinlichste Sauberkeit. Kein Un¬ geziefer. Aller neuzeitliche Komfort. Fünf Minuten von, See. Sonnenbäder. Ruder- und Schwimmgelegenheit. Zuschriften umgehend erbeten uuter „Zurück zur Natur!". Nachschrift. Wenn der verehrliche Leser Reflektant aus meine Baueruwohnung ist, so möge er sofort schreiben oder lieber gleich selbst kommen. Ich vergönne ihm vom Herzen das Vergnügen,, das ich genossen habe, den Morgenspaziergang um den Misthaufen, das Fußbad in der Jauche, die Spinnen am Kopf, die schnüffelnden Schweine im Rücken, den stinkenden Hausatem, die Schwaben, das Glück im Bauernhaus, den Gottesfrieden, die Unschuld vom Laude, die reine unbeleckte Natur, das Zusammensein mit diesen heiteren, unverdorbenen, primitiven Menschen, alles das, was in der Entfernung, in der Poesie, in der Erinnerung so wunderbar schön aussieht. Wer seine Sünden abbüßen und wieder ein reiner Mensch werden will, der kann nichts Besseres tun. als diese Badereise ins Purgatorio unternehmen. Zehnter Sonntag. Ich sitze in Salzburg auf der Hotelterrasse als Geuesender. Ich bin über- glücklich, die vorausbezahlte Miete eingebüßt zu haben. Was man auch gegen die verruchte Zivilisation sagen mag. sie bedeutet dennoch etwas Ungeheures. Das Bauernhaus ist unsere Vergangenheit. Wir sehnen uns nach den Galoschen des Glücks, die uns in die früheren Jahrhunderte, gleichsam in unsere Uranfänge Zurückführen. Aber es gibt nur Enttäuschungen. In der Phantasie sieht alles schöner aus. Die Wirklichkeit ist ganz anders beschaffen. Wir dürfen die Ver- gangenheit nicht durch die Butzenscheibenpoesie erleben wollen. Für uus Stadt- weuschen ist das primitive Vauernhaus eine Vorstufe des Daseins! es ist fast unmöglich, dahin dauernd zurückzukehren. Ich bin von meiner Sehnsucht geheilt. Ich brauche um keinen Goldschatz mehr herumzugehen, es fallen mir keine Spinnen auf den Kopf, dagegen finde ich weiße Kacheln und eine Wasserspülung vor. Man sage nicht, es sei etwas Unwesentliches. Es gehört zu den größten Wesent¬ lichkeiten unseres Daseins. Es ist Anfang und Ende unseres Wohlbefindens, unseres seelischen Gleichgewichts. Aber ein infamer Mensch, der meine Leidensgeschichte erfahren, entgegnete "un „Sie sind halt verwöhnt!" Ich bin empört. „Herr," schreie ich ihn an, „ich bin an tue größte Ein¬ fachheit gewöhnt! Verstehen Sie mich?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/599>, abgerufen am 06.05.2024.